Das sexste Gebot

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Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 01.09.2025, 01:59

Ich saß gerade am Schreibtisch,
verfasste einen letzten Wunsch:

Schatzi, sollte ich vor Dir sterben,
lass es nicht zu, dass mein Leichnam
auf dem Friedhof bestattet wird,
wo die Würmer an der Kiste klopfen.
So böse darfst Du nicht sein, und
vielleicht noch einen Stein aufstellen
mit der Aufschrift „Hier ruht …“ Nein,
Schatzi, so sarkastisch bist Du nicht.

Lass Dir aus meiner Asche einen
Diamanten anfertigen und in einen
goldenen Ring einfassen. Und wenn
Du nach ungefähr zwanzig Jahren
einen neuen Kerl kennenlernst,
nimm bitte den Ring ab, bevor ihr
ins Bettchen hüpft.

Für immer Dein.

Da klingelte der Postbote, übergab
mir dies Überraschungspaket aus
Australien von der Konsulatsbehörde.

Oh Schatzi, darin befanden sich deine
Fingerabdrücke aus dem Register.
Anhand jener identifizierte man dich.
Mir war so, als reichtest du mir die eiskalte
Hand, abgetrennt vom fehlenden Kadaver.
Es lag ein klärendes Schreiben bei,
oh du, mein liebestoller Schutzengel.

Mit erschrockenem Blick hob ich dich
hervor aus unserem heiligen Ehe-Schein,
welcher dem aktuellen Streckenabschnitt
zum Opfer gefallen ist und wo du zwischen
die Fronten geraten bist auf den Streifen der
verlorenen Seelen, den Blinker lange gesetzt,
du, meine Schutzempfohlene (in guten sowie
schlechten Zeiten), abtrünnig wandeltest
auf verschlungenen Pfaden der Aborigines, dich
räkeltest im Beutel eines Riesen-Riesenkängurus
beim Liebesspiel mit George Clooney.

Ob es nun das heftige Liebesspiel war, welches
dich aus dem Beutel geworfen hatte oder
das Stolpern des Tieres über das sechste Gebot,
konnte nicht eindeutig geklärt werden.

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