Von der Würde

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Last

Beitragvon Last » 15.10.2006, 17:03

Was ich tun würde und
was ich nicht tun würde,
das alles soll meine Würde heißen
und soll mir eine Bürde sein.
Sonst müsste ich auch auf Steine beißen
und mitten in mein Herz hinein.

Max

Beitragvon Max » 18.10.2006, 21:28

Lieber Last,

Hilfe, so viele Kommentare zu Deinen Zeilen.

Die ersten vier Zeilen sind Dein Kant, das verstehe ich auch so ... aber mit den Stein- und Herzbissen verlässt mich meine Philosophie ....

Liebe grüße
max

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 18.10.2006, 22:09

Lieber Max,

ich lese das so: Wenn das lyrische Ich sich nicht an seine Maxime hält, muss er bittere Kompromisse eingehen. Das ist dann so angenehm wie Steine beißen.

Natürlich lese ich das so, weil ich zur Zeit nichts anderes mache. :rolleyes:

Grüße

Paul Ost

Gast

Beitragvon Gast » 18.10.2006, 22:39

Nein, lieber lichelzauch,
es geht mir nicht darum, dass jemand Ehrfurcht gebierendes Verhalten an den Tag legt.
Sondern genau um das, was ich o. definiert habe und wozu mir das Beispiel aus Herbys Geschichte "Der Alte", so sehr zu passen scheint. (Man kann es nachlesen, wie sich der Alte m. E. würdevoll verhält)
Würde strahlt etwas aus und fordert nicht ein.
Ist für dich z. B. der Begriff "In Würde alt werden" hohl?
Wieso gibt es Menschen, die trotz Folter in Gefangenschaft ihre Würde behalten?
Würde als ein From einer geistigen Haltung, die sich konkret über Handlungen ausdrückt.

Es würde zu weit führen in diesem Faden weitere Beispiele einzufügen, die das, was ich unter "Würde" verstehe, unabhängig von jeder Lehrmeinung stützen können.
So definiere ich"Würde", völlig unvoreingenommen und unabhängig von Verpflichtungen, Ehrfurcht, Verantwortung, Ehre.

Ich glaube allerdings, dass ich mit meinen Gedanken, nicht die Annäherung an Lasts Text unterstütze.

Entschuldige bitte Last.


Liebe Lisa,

sollte das bei dir so angekommen sein, dass ich Lasts Textinhalt und Kants katgorischen Imperativ gleich setzt, habe ich mich vielleicht missverständlich geäußert.
Bitte betrachte dass ich bei meiner Äußerung: ."...seht ihr den Begriff, des kategorischen Imperativs individuell in Worte gefasst", den Schwerpunkt auf das individuell gelegt wissen möchte.

Liebe Abendgrüße
Gerda

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.10.2006, 11:26

Liebe Gerda,

ich glaube, du argumentierst beim Anführen von Herbys Geschichte (ich habe sie gelesen) mit dem Begriff "Würde behalten". Dass der Mensch Würde haben kann, scheint in der Welt der Geschichte schon geklärt, es ist nur die Frage, ob er sie im Einzelfall behält/verliert/verdient/hat so wie es die anderen verdient haben, ist die Fragestellung. Für mich sind das zwei verschiedene Ebenen.

Lustigerweise kommt ja gerade durch Kants kategorischen Imperativ, der Begriff Würde konkret (wieder) ins Spiel. Würde ist philosophisch/theologisch erst einmal etwas, was den Menschen von allen anderen Wesen abgrenzt, es ist ein absoluter Wert (ob das stimmt, sei mal dahin gestellt, darüber streiten sich immer noch alle und werden es weiterhin tun! es ist nicht meine Meinung)...allerdings ist das so ein weitreichendes Thema, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, um ihm gerecht zu werden...man pauschalisiert so schnell, die Ebenen von Begriff und Alltagsgebrauch vermischen sich schnell.

Ich habe mal eine Arbeit über den Personenbegriff geschrieben. Du kannst Person in diesem Text getrost durch Würde ersetzen, da der Mensch nur person ist, wenn er Würde hat (soll heißen, sich von anderen Wesen durch einen absoluten Wert abgrenzt). Es ist nur ein Ausschnitt...und sicher nicht optimal, ich weiß abe rnicht, wie ich es anders anschneiden soll...vielleicht hilft es ja...


In den wenigsten Situationen des alltäglichen gesellschaftlichen Miteinander ist der absolute Charakter des Personenbegriffes greifbar. Versteht man unter der Gesellschaft die Gesamtheit möglicher Beziehungen, so ist diese vorwiegend – sprachlich passend - unpersönlich, denn der Einzelne kann zu den meisten anderen schon aus rein quantitativen Gründen nur unpersönliche Beziehungen herstellen. In jeder Begegnung dem Anderen in der vollen Tragweite eines absoluten Personenbegriffes gerecht werden zu wollen, wäre unmöglich zu leisten. Hieraus entsteht eine rudimentäre Anwendung des Personenbegriffes. Es verhält sich hiermit ähnlich wie mit dem Gottesbegriff in Hume Religionstheorie. Nach dieser sind alle Religionen zunächst polytheistisch. Der Übergang zum Monotheismus erfolgt aus dem Bedürfnis heraus, eine lokale Gottheit, von der man sich besonders abhängig glaubt, gegenüber anderen aufzuwerten, um in ihren besonderen Schutz zu gelangen. Im Laufe der Zeit wird der Gottesbegriff abstrakter und rationaler, dadurch übersteigt er allerdings die Fassungskraft der großen Mehrheit, was bei dieser wiederum zu Aberglauben führt .

Die metaphysische Natur des absoluten Personenbegriffes ähnelt der von Hume als abstrakt bezeichneten Natur des Gottesbegriffes. So wie sich neben dem kirchlichen Gottesbegriff ein Aberglaube herausbildet, so bildet sich neben dem absoluten Personenbegriff eine säkularisierte Version des Personenbegriffes, die allerdings – analog zum Aberglauben – die Erinnerung an den absoluten Charakter mitschwingen lässt.

So existieren heutzutage eine Vielzahl von Formulierungen, in welchen der Begriff in einem Kontext verwendet wird, der vor dem Hintergrund eines absoluten Personenbegriffes widersinnig erscheint. Trinkt Herr X z.B. nach dem Unfalltod seiner Tochter so viel, dass er darüber zum Alkoholiker wird und sich immer seltener unter Kontrolle hat, wird die Umgebung, angefangen bei der Nachbarschaft bis hin zu seiner Ehefrau, früher oder später davon sprechen, dass Herr X nicht mehr wiederzuerkennen, dass er nicht mehr derselbe Mensch, dieselbe Person sei. Gleichzeitig würden Nachbarn und Ehefrau jedoch nicht bestreiten, dass der Mensch, und damit auch Herr X, generell gegenüber den anderen Lebewesen eine besondere Stellung einnimmt, sich ihnen gegenüber besonders auszeichnet (was dem absoluten Wert der Person entspricht) und diese weder ablegen noch verlieren kann. Ohne dass es nötig ist, dass semantische Wortfeld aus Person, Persönlichkeit und Menschsein genauer zu differenzieren, wird an diesem Beispiel klar, dass hier ein Widerspruch zur absoluten Veranschlagung der Person besteht. Dieser Widerspruch resultiert daraus, dass der absolute Personenbegriff durch Maxime des praktischen Handelns überlagert wird. Je nach Situation verleihen wir den an sich absolut gesetzten Personenbegriff in graduellen Abstufungen. Dies wird deutlich, wenn man seine Assoziationen hinsichtlich der Würde folgender gesellschaftlicher Gruppen beobachtet: Obdachloser – Putzfrau – Sachbearbeiter – Arzt.

Kann in solch einer Umgebung von einem absoluten Personenbegriff gesprochen werden? Wo ist der Erlebnisraum solch eines Begriffes zu finden?


Im Weiteren finde ich, dass du die Ebenen vermengst, ich habe ja Bürde gar nicht im Zusammenhang mit Würde definiert, sondern nur gesagt, dass Bürde die schmerzliche Form von Ehre ist. Würde ist da erstmal außen vor. Sich Würde dann zu erkämpfen/erhalten kann eine Bürde sein.

Die Würde ist das Einzige, was ihn nicht endgültig verzweifeln lässt.
Wo ist hier die Ehre?


Sehe ich anders - Nicht die Würde ist das Einzige, was ihn nicht entgültig verzweifeln lässt, die Würde ist ja nicht einfach etwas, was da ist. Sondern, weil er in seiner Situation nicht verzweifelt, hat er Würde. Wobei das eben wieder auch zutiefst gesellschaftlich abhängig ist, ja, fast eine Unterstellung der gesellschaft an die Figur, denn warum muss überhaupt die Frage gestellt werden (und die Frage wird mit der geschichte gestellt), ob dieser Alte Würde hat?
Die Ehre lasse ich hier unbeantwortet, da es in meiner defintiion wie gesgat um Bürde ging und nicht um Würde. Du bist aber im Kontext Würde.


Nimm mal Herbys Geschichte: Der Alte.
Der Protagonist hat in meinen Augen Würde, obwohl er dasteht und bettelt.
Hier ist nicht die Würde= Bürde, sondern die Lebensumstände sind Last/Bürde.


In dem letzten satz setzt du Bürde und Last einfach gleich...das tue ich ja eben nicht - also kann ich da schlecht argumentieren, da das nicht mein Ausganspunkt ist. Eine Bürde ist für ich eine last, aber nicht nur. Eine Last ist für mich das, was übrig bleibt, zieht man von der Bürde die Ehre ab. Auch habe ich Würde nie gleich Bürde gesetzt?

Ich weiß nicht, ob dir meine Ausführungen klarer machen konnten, was ich (wahrscheinlich wieder mal wirr ;-)) sagen wollte...

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 19.10.2006, 13:19

Liebe Lisa,

Dein Personenbegriff erscheint mir schauderhaft konsequent. Ähnliches schrieb Niklas Luhmann schon in den sechziger Jahren in seinen Bücher über die Grundrechte als Institution und über das Vertrauen.

Gut, dass wir uns in unserer Verfassung immer noch auf Gott (oder Kant) stützen, um einen absoluten Begriff von Würde aufrecht zu erhalten. Sonst hätten wir ein echtes Problem.

Im tatsächlichen Leben, da hast Du Recht, bedeuten Menschen in unterschiedlichen System- und Rollenverhältnissen unterschiedlich viel. Ob wir uns wohl bald ein Recht auf Identität erklagen dürfen?

Lasts Text habe ich als persönliche Handlungsmaxime verstanden.

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.10.2006, 13:51

Lieber Paul,

die Frage ist ja nicht das Ende meiner Überlegungen. Da geht es für mich ja erst los.

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 19.10.2006, 14:33

Hallo Last,
und ein Hallo in Runde meiner Vorredner,

Auch ich sehe die Würde hier nicht als die Unantastbare des Grundgesetzes, sondern als ein Synonym für "Selbstachtung"

Die "falsche Würde" die auf eine gute gesellschaftliche Stellung abzielt, mag anstrengend sein, wenn man sich dafür verstellen muß. Die Selbstachtung aber mißt sich an der Befolgung selbstgesteckter Ideale. Was im Konfliktfall schwerer zu ertragen ist, als eine fallen gelassene Maske.

Der Text ist hier aber nicht eindeutig.
Ist es ein eigener Apell an sich selbst,
oder der empfundene gesellschaftliche Druck,
(die Stimme des Kollektivs) der hier reflektiert wird?

Ein Problem habe ich mit der fünften Zeile:

Warum beißt jemand, der es sich leichter macht, auf Steine?
"hart" ist nun einmal das erste Atribut, was mir zu Steinen einfällt.
Du hast natürlich Recht in dem Sinne, daß sie nicht nahrhaft sind,

aber die letzte Zeile ist als Fazit für mich genug.


LG: ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Max

Beitragvon Max » 19.10.2006, 20:43

Lieber Paul,

danke für deine Erläuterungen - da ich keine Zähen mehr habe, muss ich mich auch nicht um Steine kümmern ;-) ...

Lisas mehrbändiges Werkl muss ich jetzte erstmal lesen.

Liebe Grüße
max

Last

Beitragvon Last » 20.10.2006, 16:37

Hallo zusammen,

es freut mich wirklich sehr hier eine solche Diskussion sehen zu dürfen :)
Vielleicht sollte ich des Öfteren über Meinungen schreiben ;-)

In der Tat ist dieses Gedicht selbst eine Aufarbeitung einer Diskussion, die ich mit anderen Soldaten über die Würde führte. AUsgang war meine provokante These, es gäbe gar keine Würde, diese sei eine Erfindung, die nötig ist um das Leben in der Gesellschaft für alle angenehmer zu gestalten. Die bekannten Zeilen aus unserem Grundgesetz von der Unantastbarkeit der Würde bedeuten folglich für mich:
1.) Die Würde ist ein Gesetz, d.h. sie wurde gesetzt, erschaffen, von Menschen erdacht. Also keine existentielle Lebensgrundlage, wie beispielsweise die Seele, sondern rein praktischer Natur.
2.) Die Würde ist ein Gesetz, d.h. man kann sich an sie halten, oder auch nicht. Während ein weiteres Gesetz besagt, die Würde des anderen nicht zu verletzen, bedeutet das nicht, dass man seine eigene Würde nicht verletzen könne.
Obwohl niemand meiner Meinung war, konnte mir auch keiner erläutern, was denn die Würde sei, man hätte sie einfach, war das eine Gegenargument, das andere drehte den Satz, es gäbe keine Würde, um in, ich hätte keine Würde. Ein überaus geistreiches Gespräch für mich also :confused:

Wenn allerdings jeder einfach so eine Würde hätte, dann wäre diese auch nichts wert und nur ein Argument gewisse Dinge nicht tun zu müssen, die man als unangenehm empfindet. Dies ist allerdings eine "falsche Würde" wie ihr das hier genannt habt.
Wirklich ist nur die Würde, die nicht das was, sondern das wie betrifft. Die unabhängig von der äußeren Situation ist, sondern das benennt, wie man damit umgeht.
In dem Sinne gebe ich also beiden Parteien dieses jetzigen Gespräches recht. Einerseits ist die Würde eine Verhaltensmaxime und mein Gedicht eine Art kat. Imp. (ich mag Kant übrigens sehr, aber auch Hans Jonas, der aus Mönchengladbach stammte, wie ich). Andererseits ist sie auch, wenn richtig angwandt, Hilfestellung. Man kann mit und ohne Würde ein Bettler, Bänker oder Politiker sein (beim letzten bin ich mir nicht ganz so sicher...).
Wer allerdings ohne Würde handelt, der gewinnt dadurch nicht allzuviel, zwar scheint er zwar seine Situation zu erleichtern, aber diese kann trotzdem hart sein, und er würde sich selbst aufzehren, denn man würde vor sich selbst wissen nicht korrekt gehandelt zu haben, was zu Gewissenskonflikten führt (und zu einem Herz aus Stein, nach längerer Dauer. Schade, dass niemand diese Assoziation hatte :sad: )

So, das war jetzt erst einmal alles, was mir einfällt, hoffe es hilft beim Verständnis.

LG
Last

Gast

Beitragvon Gast » 20.10.2006, 20:03

Hallo Last,

das mit dem "Herz aus Stein" drängt sich wohl nicht so auf.
Allerdings habe ich ohnehin mit der Würde so meine liebe Not.
Verzeih wenn ich jetzt frage: Was wäre denn, wenn jemand ein Herz aus Stein hat, kann der jenige denn Würde "besitzen"?

Liebe Lisa,

vielen Dank für die Mühe die du dir gemacht hast, meinem Unverständnis und dem Defizit an exemplarischen Wissen entgegen zu wirken.
Du hast bestimmt nichts Wirres geschrieben.
es tut mir leid, aber es bleibt mir alles so fern und so theoretisch für mich. :sad:

Liebe Abendgrüße in die Diskussionsrunde.
Gerda

Last

Beitragvon Last » 22.10.2006, 11:22

Nein, die hat er verloren.


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