Die Weide schreit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.03.2006, 19:00

Die Weide schreit

Die Weide schreit.
Ich höre sie.

Wie viele Hochzeiten
mag es heute
schon gegeben haben?

Mein Brautkranz
ist ein Kranz aus Erde.

Die Weide schreit
Ich höre sie.
Nur mich,
mich hört man nie.
Zuletzt geändert von Lisa am 28.03.2006, 22:23, insgesamt 3-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.03.2006, 15:19

Lieber Herby und lieber Frank,

(Herby: Zum Zeitpunkt deines Postings habe ich immerhin schon 31 Minuten geschlafen :grin: )

muss ich nun "verraten", wie ich das Gedicht "meine"? Natürlich hatte ich etwas bestimmtes vor Augen, als ich es schrieb, aber darum stecken im Gedicht nicht weniger eure Leseweisen...der Kern (der Schmerz) ist ja immer gleich geblieben und darum ging es mir. Ob nun die konkrete "Story" in der sich das Verständnis im Einzelnen formt alle gleich empfinden müssen?

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.03.2006, 18:20

Hallo Herby,

da hab ich jetzt was losgetreten :???: , scheint mir...

Das mir die von Lisa evtl. gemeinte Bedeutung "völlich wurscht" ist sollte nicht so gemeint sein, wie du es gelesen hast (ich hatte extra das "Zunge-raus-Smilie" dazugetan, damit es nicht zuuuu ernst genommen wird).

Ist wohl falsch rübergekommen - es hat dich verärgert und ich entschuldige mich dafür, in Ordnung?

Anhand der bisherigen Diskussion und Lisas Kommentaren hatte ich halt den Eindruck, daß die Diskussion ums Gedicht sich im wesentlichen darum handelte, wie der Kranz aus Erde zu verstehen sei, und irgendwie hatte ich den Eindruck, es läuft darauf hinaus, ob tote Blumen noch Blumen oder schon Erde sind. Bei allem Verständnis für die Detailfragen fand ich den Gang, den diese Diskussion nahm, ein bißchen "irrwitzig".
Ich wollte also nicht Lisas mögliche Intention (die sie bis dato vermied, zu erläutern - bis jetzt eigentlich, genaugenommen) schmälern oder ihre Leistung herabwürdigen - sondern eher das Gegenteil.
Für mich bleibt meine Interpretation eine der möglichen, für mich als Leser die mir liebste der Möglichkeiten. Würde Lisa mir eine andere erläutern, würde ich darüber nachdenken, aber nichtsdestotrotz wohl an meiner festhalten (weil mir darum ja das Gedicht lieb ist). Klar könnte man nun sagen: das ist nicht korrekt.
Meine Interpretation ist natürlich nur eine Interpretation.
Ich glaube auch nicht, daß es immer wichtig ist, daß alle Deutungen verschiedener Leser übereinstimmen. Es kommt auf den Text selbst an. Es gibt Texte, die arbeiten auf eine, und nur eine zulässige Interpretation hin. Wenn diese nicht rübergebracht wird, stimmt was nicht. Dieses Gedicht hier von Lisa ist eines von jenen, die verschiedene Interpretationen zulassen, eben ohne an Wert zu verlieren. Und das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun.

Vielleicht habe ich mich von meiner Freude über das Gedicht und das aufkommende Mißbehagen wegen der Diskussion zu sehr hinreißen lassen, so das alles absoluter klang, als ich es meinte. Dann ist es halt mein Fehler, mich mißverständlich ausgedrückt zu haben.

Nun hoffe ich, zumindest diese Sachen geklärt zu haben.

Gruß
Frank

pandora

Beitragvon pandora » 24.03.2006, 19:58

liebe lisa,

diese variante hier mag ich sehr:

Die Weide schreit.
Ich höre sie.

Wie viele Hochzeiten
mag es heute
schon gegeben haben?

Mein Brautkranz
ist ein Kranz aus Erde.

Die Weide schreit.



für mich spricht schmerz aus den zeilen, aber auch und vor allem die trauer um eine verpasste chance. das gefühl, etwas nicht rückgängig machen zu können.

lg

p.

Herby

Beitragvon Herby » 24.03.2006, 23:29

Hallo Frank,

ich danke dir herzlich für deine Antwort, die mir geholfen hat, dein Posting, auf das ich mich bezog - bzw. den Teil daraus - besser nachvollziehen zu können! Du verweist auf das von dir gesetzte smily ... es ist schon etwas Seltsames um die virtuelle Kommunikation, in der so wichtige Verständnishilfen wie Tonfall, Mimik und Gestik entfallen bzw. durch graphische Hilfsmittel ersetzt werden - und um die Macht des geschriebenen Wortes. Möglicherweise hätte mich der gleiche Satz, an dem ich mich stieß, weitaus weniger oder überhaupt nicht gestört, wäre er während einer angeregten Unterhaltung bei einem guten Glas Wein zwischen uns gefallen.
Aber gestern saß ich vor meinem Lap, las dein Posting, war tatsächlich verärgert im Moment, grummelte rum, las es dann Stunden später nochmals und dachte, nee, das kann's nicht sein und hieb in die Tasten. ( Im Zustand akkuter Verärgerung vermeide ich tunlichst den Griff zu Feder oder Taste, sowohl aus Selbstschutz als auch aus Rücksichtnahme auf den Adressaten meiner Zeilen ;-) )

Ich stimme dir völlig zu, wenn du schreibst:


"Ich glaube auch nicht, daß es immer wichtig ist, daß alle Deutungen verschiedener Leser übereinstimmen. Es kommt auf den Text selbst an. Es gibt Texte, die arbeiten auf eine, und nur eine zulässige Interpretation hin. Wenn diese nicht rübergebracht wird, stimmt was nicht. Dieses Gedicht hier von Lisa ist eines von jenen, die verschiedene Interpretationen zulassen, eben ohne an Wert zu verlieren. Und das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun."

Genau das macht die Auseinandersetzung mit Texten so vielfältig, bereichernd und spannend.

Liebe Grüße und ein schönes und nach Kräften kreatives Wochenende!
Herby

Louisa

Beitragvon Louisa » 25.03.2006, 08:49

Hallo liebe, fröhliche Diskussionsrunde.

Das Gedicht enthält viele neue, frische Ideen und Bilder, die es mir sehr angetan haben.

Wunderbar, Lisa! Ich kann nur meinen nicht vorhandenen Hut ziehen.

Was die Interpretation anbelangt, möchte ich nicht noch eine Variante auf den Stapel werfen, aber ich glaube: Herby ist schon ziemlich nah dran.

Passt auf, dass die Weide nicht heiser wird....

In diesem Sinne: LG, Louisa

Gast

Beitragvon Gast » 25.03.2006, 08:50

Hallo ihr Lieben alle,
ich kann dem von euch allgemein Gesagten über unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten von Lyrik generell zustimmen.
Es ist interessant und wertvoll wie unterschiedlich die selben Worte doch zu verschiedenen Menschen sprechen können.

Liebe Lisa, ich wollte nicht in dich dringen, dich hier in irgendeiner zu "entäußern", ich hatte mit mit deiner Erläuterung zum Kranz aus Erde letztlich noch größere Probleme.
Aber du hast Recht, ich habe die Freiheit es so zu lesen wie ich mag...

Es ist ein guter Text.

Liebe Grüße in die Runde
Gerda

Julek

Beitragvon Julek » 25.03.2006, 12:11

Hallo Lisa, hallo liebe Interpreten,

also, ich möchte noch einmal an den Anfang der Diskussion zurückkehren, also meine Einschätzung auf die Frage geben, ob die letzten 3 Verse auch weggelassen hätten werden können oder eben nicht.
Glaubt mir, ich bin der Reduktionist unter den Reduktionisten, und überzeugter Minimalist, aber ich finde, dass hier die letzten Verse auf jeden Fall stehen müssen - ansonsten würde für mich das lyrische Ich in der ersten Strophe wenig Sinn machen - so aber "behauptet es sein Recht".
Der Kranz aus Erde hat mir gar keine Probleme bereitet, schließlich ließen Hochzeit und Weide mich sofort an Weidenkranz denken. Die Weide schreit aber, also kann es hier auch keinen frischen Weidenkranz geben sondern eben etwas vergangenes.... wie den Kranz
aus Erde
.
Ein tolles Gedicht!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.03.2006, 20:11

Hallo ihr alle,
danke für all die Blumen! Ich bin froh, dass einige dafür plädiert haben, den Schluss stehen zu lassen. Das bleibt er auch.

Danke für all die Gedanken zu diesem kleinen Text! §blumen§

Cornelia

Beitragvon Cornelia » 26.03.2006, 13:53

Für mich persönlich passt der Kranz aus Erde sehr gut in die Symbolsprache.
Ein Kranz ist für mich das Symbol für Sieg und Tod und für den ewigen Kreislauf. Der Kranz ist ein Kreis.
Symbolische Bedeutung:
Erde hängt mit der Meisterung des Alltagslebens, mit Halt, Dauer, Verlässlichkeit, Beständigkeit, Realismus und Verwurzelung zusammen. Es geht um Tradition, Sicherheit und den ruhenden Pol, von dem aus die Welt betrachtet wird. Im Inneren der Erde wohnen die Erinnerungen.
Ein Kreis aus geflochtener Erde finde ich eine wunderschöne Metapher.

LG
Cornelia

Julek

Beitragvon Julek » 26.03.2006, 14:40

Stimmt ja, Cornelia, die Erde ist nicht nur Symbol des Vergangenen, sondern auch des Entstehenden, der Humus, aus dem frisches wächst.
Ich hatte das wegen des eher elegischen Tons des Gedichts zu einseitig betrachtet ....

Max

Beitragvon Max » 26.03.2006, 19:42

Liebe Lisa,

das Gedicht finde ich sehr stark. Gerade der Brautkranz, der ein Kranz aus Erde ist, hat es mir angetan. Ich würde auch den Reim in der letzten Stophe lassen, zum einen finde ich, er stärkt das Gedicht, zum anderen enthält er doch die wesentliche Aussage.
Ich würde eher darüber nachdenken, ob man nicht wegen dieses Reims zum Schluss alles reimt. Außerdem finde ich die Zeilen

Wie viele Hochzeiten
mag es heute
schon gegeben haben?


ein wenig zu sperrig, was vor allem daran liegt, dass das "mag" eben die Ergännzung "gegeben haben" fordert. Eine (wenn auch unegreimte) Variante, wäre vielleicht

Hör doch
die Weide schreit
ich spüre sie

Wieviele Hochzeiten
versprach
der heutige Tag

Mein Brautkranz
ist ein Kranz aus Erde.

Hör doch
die Weide schreit
ich spüre sie
Und mich
mich hört man nie


Was denkst du davon?

Liebe Grüße
Max

scarlett

Beitragvon scarlett » 26.03.2006, 21:51

Hallo Lisa,

ein wunderbares Gedicht....
Und der Kranz aus Erde ein wirklichn starkes, aussagekräftiges Bild.
Auf keinen Fall weglassen!

Anerkennende Grüße,

scarlett

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Beitragvon Lisa » 27.03.2006, 13:17

Hallo,
ich weiß, das Gedicht hat schon mehr Aufmerksamkeit bekommen als es verdient hat, trotzdem, könntet ihr alle noch einmal schreiben, ob:

Wie viele Hochzeiten
versprach wohl
der heutige Tag?


oder:

Wie viele Hochzeiten
mag es heute
schon gegeben haben?


euch besser gefällt? Das wäre mir sehr wichtig! Danke!

Cornelia

Beitragvon Cornelia » 27.03.2006, 14:26

Hallo Lisa,
die Version 1 gefällt mir entschieden besser:

Wie viele Hochzeiten
versprach wohl
der heutige Tag?

Liebe Grüße
Cornelia


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