Ein lebhaftes Standbild

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
woitek

Beitragvon woitek » 24.03.2006, 20:04

gefallener Engel

Ein Tautropfen auf dem Gesicht
des schweigenden Engels. Marmoriert
die Gestalt des aufstrebenden Wesens. Sehnsuchtsvoller
Blick in die Unendlichkeit. Gebunden
am Sockel, von Menschenhand zementiert.

Umwachsen vom Grün, Mutter Erde entsprossen. Auf den Schultern
Geschmeiß ahnungsloser Vögel. Eine Nachricht
zweier Liebender, achtlos geritzt. Kein Tropfen Blut
fließt in deinen nicht vorhandenen Adern.
Doch du warst vorher da und wirst auch nach mir bleiben!
Zuletzt geändert von woitek am 26.03.2006, 14:46, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 25.03.2006, 15:12

Hallo woitek,
ein lebhaftes Standbild als Gedichtsidee, gefällt mir.
Engelstandbilder auf alten Friedhöfen, sowie die Atmoshäre dort, mag ich sehr...

Sicher bin ich also "Für" eingenommen.
Die erste Strophe, finde ich so wie sie ist wunderbar, auch die ungwöhnlichen Zeilen(um) brüche, lassen einen beim Lesen inne halten.
Ich were von dem Gedicht einvernommen.
Die zweite Strophe kann den von dir begonnenen Weg leider nicht vollenden, da stört, die "Mutter Erde" und ich habe auch letztlich ein Problem mit der angesteuerten Aussage, was Göttliche oder "Engelsgleiche" "Ewigkeit" angeht...
Denn von einem aus Marmor gehauenen Engel, also von einer Skulptur kann ich Ewigkeit nicht ableiten...

Menschenwerk ist immer dem Verfall preisgegben, es ist nur eine Frage der Zeit...
Ich ddenke doch dass diese Ebene in dem Gedicht mitschwingt und dass es dir nicht ausschließlich um das verhöltnismäßig kurze "Erdendasein" eines Menschen geht...

Interessiert und gern gelesen.

Liebe Grüße
Gerda

Solltest du eine Schwäche für solche Statuen haben... Isolde Ohlbaum hat meisterlich Engel fotografiert.

woitek

Beitragvon woitek » 26.03.2006, 14:45

Hallo Gerda,

ich danke dir für deine ernsthafte Auseinandersetzung mit meinem Text. Auch freue ich mich, dass er bei dir Wirkung erzielte.

Was die Aussage, des Textes angeht scheint er vielschichtig zu sein.

Die Intention des Autors verliert an dem Punkt an Bedeutung, wo Autor selbst Leser wird.

Eine kleine Änderung werde ich noch einfügen, denn das strophenübergreifende Enjambement

"Umwachsen
vom Grün, Mutter Erde entsprossen."

stört mich doch ein wenig.

Ich habe mir die Bilder von Isolde Ohlbaum angeschaut, kann mit ihnen persönlich aber nichts anfangen(finde Engelsabbildungen irgendwie kitschig)

Liebe Grüße
Woitek

Julek

Beitragvon Julek » 28.03.2006, 22:31

...aber Menschenwerk steht, wenn auch nicht für ewig, dann doch oft länger, als der Mensch selbst - und manchmal erstaunlich lange.

Und wäre doch ohne ihn nichts - das finde ich , Woitek, in deinem Gedicht sehr gut eingefangen - und sprachlich, rein sprachlich, nicht als Bild, stören mich allein die "nicht vorhandenen Adern". Aber den gefallenen Engel sehe ich.

Schönen Abend

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.04.2006, 10:37

Hallo woitek,

habe dieses Gedicht von dir gerade erst gefunden. Auch ich finde die Zeilenumbrüche interessant.

Gibt es nicht von Strophe eins zu zwei einen er-du-Wechsel in Bezug auf die Marmorskulptur? Ich weiß nicht, ob es Absicht ist, aber ich würde für ein permanentes Du plädieren :grin:

Und zu Mutter Erde: Könntest du nicht einfach Mutter Erde entsprossen streichen...dann lautete die Zeile:

Umwachsen vom Grün, auf den Schultern

Denn aus Mutter Erde ist eine Skulptur meiner Meinung nach (ich lese das im organischem Sinne) nicht entwachsen...

Eichendorff hat in seinem Marmorbild übrigens eine Marmorskulptur (der Venus) zugleich zum Sinnbild des Todes und des Lebens gemacht...er lässt sie erwachen und erstarren.


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