Grabschmuck, vorher: Zerhofft

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.05.2007, 11:00

Grabschmuck

Das gestorbene Kind
ist groß geworden
und hat sich verliebt

statt bunter Windräder
auf dem Grab
rote Rosen


Änderung: vorher: Windmühle statt Windrad
Zuletzt geändert von leonie am 31.05.2007, 17:00, insgesamt 4-mal geändert.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 27.05.2007, 11:25

Hallo Leonie,

Da bewegt sich etwas beim Lesen, aber eine Deutung fällt zunächst einmal schwer.

Das Kind ist nicht physisch gestorben, ok, aber der Zweite Teil?
Wirst du (das Lyrich) für etwas geliebt, was längst gestorben ist?
Gelten die Rosen gar nicht der Erwachsenen Frau, die sich darüber freuen würde, sondern dem Kind, das vor langer Zeit gestorben ist?

oder sind die Rosen nicht auf dem Grab, und es geht um Metamorphose, daß das Kind sterben muß wenn man erwachsen werden will?

Der Text ist für mich nicht eindeutig.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 27.05.2007, 15:02

Hallo Leonie!

Diese wenigen Zeilen gefallen mir sehr gut! Im Gegensatz zu Zaunkönig kann ich mir auch ohne weiteres ein körperlich gestorbenes Kind vorstellen, dessen Angehörige sich durch die Jahre seine Entwicklung vorstellen und dann eben, irgendwann, Rosen aufs Grab bringen...

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.05.2007, 15:14

Hallo leonie,

ich las es auch erst so: Das Kind ist gestorben, als es klein war. Deshalb lag dort ein Spielzeug (Windmühle) am Grab. Die Eltern gehen im Geiste das Älterwerden des Kindes mit, stellen sich vor, wie es sich verliebt hat und deshalb dann die Rosen.

Aber der Titel "Zerhofft" und die "Windmühle" lassen mich an dieser Interpretation zweifeln. Denn eine Windmühle ist ja kein typisches Spielzeug, so dass ich doch auf das LI komme.
Im LI könnte das "Spielerische", das Kindliche gestorben sein, weil es sich verliebt hat. Doch es kämpfte gegen "Windmühlen", sprich, führte einen aussichtslosen Kampf, den es verlor, deshalb "Grab" und "rote Rosen".
Aber auch diese Interpretation ist nicht stimmig, da ja da steht:
"statt der Windmühle", sprich: die Windmühle quasi vorher da war. Hm, ich grüble noch.

Saludos
Mucki

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 27.05.2007, 18:17

Hallo Leonie,

ich muss ebenso raten wie alle anderen. Starb dort ein junger Mensch, der für seine Eltern immer noch das Kind war? Werden die Eltern nicht fertig damit, dass es da noch jemanden gibt - ein Jemand, der klar macht, dass die Eltern keinen Alleinanspruch an das tote Kind haben?

Fragende Grüße
Marlene

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 27.05.2007, 18:42

Hi Leonie,

und es kommt noch ein Hilfloser hinzu, der sich Deinen Text nicht zusammenreimen kann.
Rote Rosen - ein Symbol für Liebe, aber die Windmühlen erschließen sich für mich nicht. Die Deutung als Spielzeug kann ich nicht zustimmen. Vage könnte ich an Zermahlen denken, an Zerfall durch die Windmühlen der Zeit, die durch die Liebe aufgehalten wurde. Das scheint mir aber derart an den Haaren herbeigezogen, dass ich es nicht glauben kann.

Ratlose Grüße

Jürgen

PS: An ein körperlich gestorbenes Kind mag ich auch nicht glauben, hier geht es um emotional Gestorbenes.

scarlett

Beitragvon scarlett » 27.05.2007, 19:59

Hallo leonie,

das verschließt sich mir ganz, alle Versuche, eine Systematik in die Gedanken zu bringen schlagen fehl und das ärgert mich sogar ein wenig.
Schade.

Liebe Grüße,

scarlett

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.05.2007, 21:38

Liebe leonie,

ich lese es wie ferdi (und als zweite Lesart kann man den Text dann sogar übertragen lesen auf innere /emotionale/kindliche Zustände des lyr. Ich: Hoffnungen etc.). Ich glaube, die Verwirrung liegt daran, dass man die Stelle mit der Windmühle leicht anders liest, nämlich dass sie auf dem Grab ist (das ist ja extra so nah gesetzt?). Aber das ist gar nicht so?

ich muss an Don Quichotte denken...seltsam...

Ich bin nicht ärgerlich, dass es sich mir nicht ganz erschließt. Ich komme zwar auch an einer Zwsichenposition an, aber an einer, die mir lieber ist als ein zu klarer Text a la: Oh wei traurig, dass das Kind tot ist....so kann man sich dem Thema nämlich nicht nähern, findet...Lisa ;-)

Ich bin zwar auch gespannt, was du sagen wirst, aber auch zufrieden mit dem Text, wie er jetzt für mich bekannt ist.

Liebe Grüße,

Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 27.05.2007, 22:31

Hallo Leonie,

die Hauptfrage ist, scheint mir, ob die roten Rosen auch auf dem Grab liegen - oder woanders, in den Armen einer schönen Frau zum Beispiel.

Wie kann das gestorbene Kind groß werden?
Das innere Kind... ach, hm, grmpf - naja, wer weiß, vielleicht.

Die Windmühle auf dem Grab - die scheint mir klar. Eine echte Windmühle auf einem echten Kindergrab. - naja, wer weiß, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist die Windmühle ja auch zweideutig, sie dreht sich und dreht sich und dreht sich. Aber wenn ich von dem ausgehe, was ich bisher von deinen Texten kenne, gehe ich hypothetisch von einer eindeutigen Windmühle an einem eindeutigen Kindergrab aus.

Ein totes Kind also.
Wie kann es groß werden?

Und der Titel (der Schlüssel, wie mir scheint): da hat jemand gehofft und gehofft und gehofft - aber was? ein totes Kind bleibt tot, da gibt es nichts zu hoffen. Hoffnung zerrissen. Vielleicht ist ein zweites Kind gestorben, auweh, das schon älter war. Oder noch ein anderes: Jemand besucht zwei Gräber....

Nein! Es ist ein und -dasselbe Grab, auf dem zunächst eine Windmühle stand, und nun rote Rosen liegen.

Die Trauer ist erwachsen geworden. Der Schmerz bleibt unendlich. Das Weinen um all die Zukunft, die nie sein wird. Die Liebe, die gewünscht wurde, so sehr, diesem Kind. Das Eingeständnis des Vergeblichen im Hoffen. Ja. Ich glaub, jetzt hab ichs... Und doch ein lebendiger, lebensroter, liebender Trotz gegen den Tod: Die Rosen.

(Leider habe ich in Wirklichkeit keine Ahnung, du ahnst es, bitte verzeih mein lautes Denken.)

Aber ich finde das ein hinreißendes Stück Text.

Herzlich
Klara

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.05.2007, 12:04

Lieber Zaunkönig, ferdi, Gurke, liebe Mucki, Marlene, scarlett, Lisa, Klara,

vielen Dank für Eure Rückmeldungen und soviel Resonanz. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich eine Sammelantwort gebe, da es ja im Großen und Ganzen um das Verständnis des Textes geht.

Klara, Du bringst es für mich auf den Punkt, was vorher ja auch schon einige angedeutet haben:

Nein! Es ist ein und -dasselbe Grab, auf dem zunächst eine Windmühle stand, und nun rote Rosen liegen.
Die Trauer ist erwachsen geworden. Der Schmerz bleibt unendlich. Das Weinen um all die Zukunft, die nie sein wird. Die Liebe, die gewünscht wurde, so sehr, diesem Kind. Das Eingeständnis des Vergeblichen im Hoffen. Ja. Ich glaub, jetzt hab ichs... Und doch ein lebendiger, lebensroter, liebender Trotz gegen den Tod: Die Rosen.


Mit der Windmühle ist eine dieser bunten Kinderwindmühlen gemeint. Der Text entstand dadurch, weil ich oft an einem Friedhof vorbei komme, auf dem man dieses Grab sieht. Jedes Jahr war eine andere bute Windmühle auf das Grab gesteckt. In diesem Jahr sah ich dort rote Rosen liegen. Und ich stellte mir vor, wie Eltern das gestorbene Kind in ihren Gedanken erwachsen werden lassen.

Die Probleme des Verstehen-Könnens machen sich wie, Du, Mucki, auch sagst, an den Begriffen "Windmühle" und am Titel fest. Wie könnte ich das besser lösen?
Vor allem beim Titel bin ich sehr unsicher, habe aber noch keine andere Idee. Für Anregungen bin ich dankbar.

Liebe Grüße und danke Euch allen!

leonie

Natürlich mag ich es, wenn Texte für andere Deutungen offen sind, hier aber scheint es sehr ins Mißverständliche und fast Paradoxe zu gleiten...So dass ich zu mehr Eindeutigkeite tendiere...

Klara
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Beitragvon Klara » 28.05.2007, 12:39

Hallo Leonie,

bitte nichts an dem Text ändern um der Eindeutigkeit Willen!
Eigentlich ist doch alles klar ,-)

Naja, kommt drauf an, in welchem Rahmen er steht, der Text, aber trotzdem.

Oder du erreichst mehr Eindeutigkeit durch einen anderen Titel ("zerhofft" gibt zwar einige Hinweise, ist aber so eine schöne Wortschöpfung auch nicht...).

Titelvorschlag:
Das gestorbene Kind

Herzlich
Klara

aram
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Beitragvon aram » 28.05.2007, 12:50

liebe leonie,

auch für mich gab die windmühle dem text das unauflösliche - was du im kommentar beschreibst kenne ich als windrad - ich finde, der text hängt von diesem verständnis ab - er ist schön, einfach und eigen, sobald klarheit einkehrt - ich denke, die mühle ist da fehl am platz bzw. behindert das verständnis.

liebe grüße
aram
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Beitragvon ZaunköniG » 28.05.2007, 13:11

Das gestorbene Kind
ist groß geworden


ist ja ein offener Widerspruch,
aber statt das "groß geworden" metaphorisch zu lesen, habe ich das "gestorben" allegorisch gedeutet.
So unterschiedlich kann man einen Text lesen.
Vermutlich ist das unerheblich, da es bei den anderen Kommentatoren woanders gehakt hat.

Mit der Windmühle hatte ich kein Problem, das ist für mich geläufig, auch für diese bunten Pusteräder für Kinder. Windrad ist zwar die korrektere Bezeichnung, da das gemeinte Ding nicht mahlt, aber Windräder gibt es ja auch in groß und neuerdings immer mehr, sei es zur Stromerzeugung, sei es (etwas kleiner) um die Windstärke anzuzeigen. Und vom Windrad zur Windrose ist es auch nur ein kleiner Schritt. Wer da allegorien sucht, landet schnell in einer anderen Falle ;)

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.05.2007, 13:58

Hallo leonie,

ja, der Titel ist hier vor allem die Crux. Wie wäre denn vielleicht: dem Tod zum Trotz oder etwas in dieser Richtung, denn darum geht es ja hier.

Mit der Windmühle fällt mir nichts anderes ein. In diesem Fall hast du ja die Windmühle gesehen, doch es einfach zu mehrdeutig, um es als Kinderspielzeug zu identifizieren. Hier hatte das Kind wohl einen besonderen Bezug zur Windmühle, sonst hätten die Eltern es nicht hingestellt.
Ich würde ein anderes Spielzeug wählen, ein eindeutiges Kinderspielzeug.
Saludos
Mucki


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