Vatersprache

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.04.2006, 13:29

Neue Setzung:

Vatersprache


Eines Tages werde ich einen Riesen sprechen

mit rotem Gebrüll und luftigem Geschrei steigt er aus meinem Höhlenmund

Stiefel fliegen über die Gipfel deiner Grundsätze

Echo trifft Deine aus Imperativen erbaute Stadt bis nichts mehr steht

außer deiner Heimat Turm, das beständige Ausrufezeichen

Neben diesen setzt er sich ins Gras

lässt das Schwarz des Turmes gegen seine Spiele verblassen

Straft Wortreich Lügen mit seinem Lachen

Und irgendwer, ich oder er, schriebe nach einer uralten Weile mit junger Tinte in die Wolken:

Sie versteht dich nicht mehr, kein einziges Wort








Eigentliche Version Version:

Vatersprache

Eines Tages
werde ich
einen Riesen
sprechen.

Mit rotem Gebrüll
und luftigem Geschrei
steigt er aus meinem
Höhlenmund.

Seine Stiefel fliegen
über die Gipfel deiner
erhabenen Grundsätze.

Sein Echo trifft Deine aus
Imperativen erbaute Stadt
bis nichts mehr steht.

Außer deiner Heimat Turm.
Das beständige
Ausrufezeichen.

Neben diesen setzt er sich
ins Gras und lässt
das Schwarz des Turmes
gegen seine Spiele verblassen.
Straft Wortreich Lügen
mit seinem Lachen.

Schafft ein Babel für mich
um endlich nicht mehr
deine Sprache zu sprechen.

Um endlich kein Wort mehr
von dir zu verstehen.







Frühere Version

Vatersprache

Könnte ich nur
einen Riesen
sprechen.

Mit rotem Gebrüll
und luftigem Geschrei
stiege er aus meinem
Höhlenmund.

Seine Stiefel
flögen über die Gipfel
Deiner Grundsätze
die über alles
und jeden erhaben sind.

Sein Echo träfe Deine aus
Imperativen erbauten Städte
bis nichts mehr stünde
außer deiner Heimat Turm
das immerwährende
Ausrufezeichen.

Neben diesen setzte er sich
lächelnd nieder ins Gras
wäre ganz ruhig und ließe
mit einem Stoß
das Schwarz des Turmes
gegen seine Spiele verblassen.
Strafte Wortreich Lügen
mit seinem Lachen.

Schüfe ein Babel für mich
um endlich nicht mehr
deine Sprache zu sprechen.

Und irgendwer, ich oder er,
schriebe mit junger Tinte
in die Wolken:

„Sie versteht dich nicht mehr,
kein einziges Wort.“


blau = geändert nach Cornelia und Max, scarlett, Leonie und Frank
Zuletzt geändert von Lisa am 04.05.2007, 15:38, insgesamt 6-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 24.04.2006, 13:45

Stark, Lisa, echt stark...
Treffende :thumbleft: außergewöhnliche Bilder, mit denen ich mich aber noch besser auseinadersetzen möchte. Dies ist mein Eindruck nach erstmaligem Lesen, später mehr, ich musste das nur los werden, zumal ich auch son "Vatergedicht" in den Untiefen meiner Festplatte vergraben hab. Wird auch gesucht, versprochen! - und das Muttergedicht ist nicht vergessen...

Liebe Grüße
Gerda

Max

Beitragvon Max » 24.04.2006, 13:53

Liebe Lisa,

das finde ich ein ganz starkes Gedicht von Dir. Die Beschreibung ist Dir wirklich plastisch gelungen und ich finde es sehr spannend zu sehen, wie Du Dich zu dieser Vaterfigur sprachlich hindistanzierst. Wenn die letzten beiden Sätze


„Sie versteht kein Wort
mehr von dir.“

„Sie versteht dich nicht mehr,
kein einziges Wort.“



eine Auzswahl darstellen sollen, so entscheuide ich mich für den letzten.

Ganz liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 24.04.2006, 14:48

Liebe Lisa,

auch ich bin beeindruckt! Eine tolle Idde, einen Riesen zu sprechen!
In der dritten Strophe könnte m. E. das "wohl" wegfallen, es schränkt ein, finde ich.
Meiner Meinung nach müsste es Babel heißen, Babylon ist mehr mit den vertriebenen Israeliten assoziiert, Babel mit der Sprachverwirrung (auch wenn es vermutlich derselbe Ort ist).
Auch die Idee, sich nach diesem Ort zu sehnen... Wirklich beeindruckend.

Ich habe vor einiger Zeit mal ein Babel-Gedicht geschrieben, vielleicht stelle ich es auch mal vor....

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.04.2006, 14:53

Hallo Leonie,

(und danke den anderen...)

danke! das Babylon ist verbessert! :-$ . Mit dem wohl weiß ich noch nicht...es ist ja alles im Konjunktiv...das heißt der Zweifel besteht noch. Ich muss noch etwas schwanken!

Danke! §blumen§
Lisa

ps: Wäre sehr gespannt auf deins!

Cornelia

Beitragvon Cornelia » 24.04.2006, 15:24

Hallo Lisa,

der stärkste Abgang bei diesem Gedicht wäre für mich, wenn es nach "sie versteht kein (einziges) Wort" enden würde.

Liebe Grüße
Cornelia

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.04.2006, 16:32

Hallo Cornelia und Max,
so besser?

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.04.2006, 19:15

Liebe LIsa,

die Idee deines Gedichtes finde ich auch sehr "stark", um mal bei der Ausdrucksweise zu bleiben!
Trotzdem - ich kann Vieles nicht nachvollziehen - vielleicht ist ja heut auch nur mein schlechter Tag für Lyrik, sorry.
Aber ich verstehe es nicht, wenn es erst heißt
"könnte ich nur einen Riesen sprechen" und danach
"stiege er aus meinem Hölenmund"...
Müßte es dann nicht heißen: könnte ich nur wie ein
Riese sprechen? oder "mit einem Riesen sprechen" so wie iregendwo in der Bibel wenn ich MIT Engelszungen redete... ?

Tja und der Konjunktiv von stehen ist - denk ich - stünde und nicht stände...
Überhaupt finde ich diese Konjunktive, wiewohl vom Inhaltlichen her verständlich, nicht sehr gelungen- die eine oder andere Umschreibung mit "würde" wäre besser.

NIx für ungut, ist ja vielleicht einfach nur nicht mein Text- ich MUSS mich ja wohl irren, wenn so viele andere sich mit Lob überbieten... :smile:

Liebe Grüße,

scarlett

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.04.2006, 19:43

Nachdem ich das Gedicht gelesen hatte, wußte ich nicht, was ich davon halten und was ich damit anfangen soll. Es war ein undefinierbares Gefühl der Ablehnung.
Trotzdem mußte ich es immer wieder aufrufen, weil es mir keine Ruhe ließ. Auch ich bin erstaunt über die Lobeshymnen, so wie scarlett.

Nun habe ich einiges für mich klar gekriegt und versuche, zu formulieren, was ich zu sagen habe.

Dank scarlett habe ich einen Anfang gefunden.

"Könnte ich nur einen Riesen sprechen" ginge ja noch (Könnte ich nur Herrn Sowieso sprechen geht ja auch), da stimme ich nicht mit scarletts Kritik überein. Danach folgt aber: "stiege er aus meinem Höhlenmund". Da muß ich dann mit scarlett übereinstimmen. Nicht, daß es grammatikalisch falsch wäre (könnte zwar sein, ich bin mir aber nicht sicher), aber es ist mir zu verquer, unnötig gestelzt.

Mit sind überhaupt zu viele "könnte" "würde" "hätte wenn und abers" in dem Gedicht.

Seine Stiefel
flögen über die Gipfel
Deiner Grundsätze
die wohl über alles
und jeden erhaben sind.


Warum "wohl"? Entweder sind die Grundsätze über alles und jeden erhaben, oder eben nicht, das "wohl" ist überflüssig.
Und wieso flögen seine Stiefel? Er selbst flöge doch, oder?

"bis nichts mehr stände"

"stände" ist tatsächlich nicht richtig. scarlett hat recht. Es muß "stünde" heißen.

"bis auf deine Heimat Turm"
sollte doch "bis auf deiner Heimat Turm" heißen...

und dann noch zweimal "bis" direkt untereinander. Das verstärkt jedoch nicht, klingt nur unglücklich.

Schüfe ein Babel für mich
um endlich nicht mehr
deine Sprache zu sprechen.

Um die Sprache eines anderen nicht mehr sprechen zu müssen/können, braucht man aber kein Babel. Ich brauche doch nicht die babylonische Sprachverwirrung (da versteht ja niemand mehr den anderen) dazu.
Es geht doch hier nur um explizit "eine bestimmte" Sprache, die das LyrIch nicht mehr sprechen und verstehen will.

Inhaltlich finde ich es auch nicht besonders dolle, ehrlich gesagt. Denn was genau wird gesagt?

"Ich wünsche mir jemanden, der für mich die Drecksarbeit erledigt und mir was Neues baut, in dem ich mich einrichten und den anderen, der mir seine Sprache aufzwingt, aussperren kann."

Für den ganzen Aufwand, den das Gedicht betreibt, ein bißchen dürftig, meine ich.

Mhm, das ist - ungelogen - das erste Gedicht von dir, Lisa, das ich wirklich von der Aussage her, vom Aufbau und vom Umgang mit den Worten ganz und gar mißlungen finde.

Das schreibe ich - ich kann nicht anders. :???:

Gruß
Frank

Max

Beitragvon Max » 24.04.2006, 21:48

Hi Frank,

ich habe ganz interessiert Deine Kritik gelesen, aber selbst nach mehrfachem Lesen finde ich, Du liegst gleich ein paar Mal daneben und vergreifst Dich auch im Ton - warum weiß ich eigentlich nicht.

Schon mit Deinem

Nun habe ich einiges für mich klar gekriegt


stimme ich nicht überein, denn m.E. hast Du eben gar keine Klarheit über den Text gewonnen:

1.) Wer "einen Riesen sprechen" verstehen möchte, wie "ich möchte gern Herrn XY sprechen", kann das Bild natürlich nicht verstehen. Wenn Du Dich auf das Gedicht einlässt, siehst Du, dass es natürlich darum geht zu sagen "wären meine Worte wie Riesen"

2.) Wenn man das verstanden hat, vesteht man auch den Höhlenmund, dem sie entsteigen, denn dort, in Höhlen, leben diese Riesen nun mal.

3.) Zu

Mit sind überhaupt zu viele "könnte" "würde" "hätte wenn und abers" in dem Gedicht.


Hm, das ist nun mal die Crux mit dem Konjunktiv, einmal damit angefangen, können die Sätze nicht im Indikativ enden. Also, wenn man fiktiv sein möchte, ist das m.E. völlig in Ordnung. Und nebenbei: Scarletts Vorschlag alle Konkunktive durch "würde" zu konstruieren, machte (Achtung ein Konjunktiv ;-) ) es sprachlich wirklich katastrophal. (natürlich wäre, nebenbei bemerkt, stünde richtig gewesen, aber darum geht es hier ja gar nicht).

4.) „Deine“ oder „deiner Heimat Turm“ kennzeichnet das nächste Missverständnis. Natürlich geht auch „deine Heimat Turm“ (um es auf Herrn XY herunterzuziehen, es geht ja auch „Deine Heimat Essen“, gell?).

5.) Zu


Denn was genau wird gesagt?

"Ich wünsche mir jemanden, der für mich die Drecksarbeit erledigt und mir was Neues baut, in
dem ich mich einrichten und den anderen, der mir seine Sprache aufzwingt, aussperren kann."



Nein, das wird eben genau nicht gesagt, sondern es wird gesagt, was im Gedicht steht. Das finde ich dann schon eine ziemlich unfaire Art einen Text zu besprechen: Erst zu unterstellen, was er aussagt und dann, diese Aussage anzugreifen. Man sollte sich schon mit dem Text auseinandersetzen und nicht mit der eigenen (Fehl)interpretation.

Kurz und eben nicht so gut: Was mich wirklich an Deiner Kritik stört, Frank, ist dass Du Dir gar keine Mühe gibst in den Text einzudingen, aber Dir am Ende das Recht zu einem „Ganz und gar misslungen“ herausnimmt. Da scheint mir die Freude am heiligen Zorn mit Dir durchgegangen. So ein Urteil hilft aber niemandem hier.

Gruß;
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 24.04.2006, 22:04

Jetzt habe ich gerade gesehen, dass Max schon einiges von dem, was ich gerade schreibe, ähnlich geäußert hat. Trotzdem nocheinmal von mir:

Ich habe es so verstanden, dass aus der Mundhöhle der Riese herauskommt, dass er also durch die Sprache erschaffen wird.
Seine Stiefel flögen... heißt für mich, dass sie die Grundsätze, etc. niedertreten, deshalb könnte es nicht heißen, „er flöge“.
Und ich könnte mir vorstellen, dass es darum geht, auch die verinnerlichte Stimme des Vaters loszuwerden. Und das ist doch oft nicht leicht.
Deshalb meine ich, dass es nicht darum geht, jemand anderen die Drecksarbeit machen zu lassen, sondern selbst so stark zu werden, dass man diese Stimme nicht mehr versteht, sondern seine eigene (oder überhaupt das Eigene) finden kann. Finde ich inhaltlich nach wie vor stark!
Den Konjunktiv finde ich angemessen und in Ordnung. Ich fände es sprachlich sehr unschön, ihn mit "würde" zu umschreiben...
Zu Deine Heimat Turm. Da habe ich auch zuerst gestutzt.
Vielleicht wäre es verständlicher, wenn Du das Turm absetzen würdest in eine eigene Zeile, Lisa.

Liebe Grüße

leonie

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.04.2006, 22:05

Lieber Max,

"wären meine Worte wie Riesen" ist mir beim besten Willen nicht möglich, darauszulesen.

Wenn aufgrund dessen meine Interpretation fehl läuft ist es m.E. nicht unbedingt meine Schuld. Mir aufgrund eines Satzes zum Einstieg des Gedichts (den ich verstanden habe wie ich ihn verstand im Kontext mit den letzten Sätzen des Gedichts) zu unterstellen, ich hätte fahrlässig kritisiert, läßt mich da ziemlich unbeeindruckt. Denn zum Schluß des Gedichts wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es neben dem LyrIch noch einen "er" gibt - wer sollte das denn bitteschön sein, wenn nicht der Riese?

Und warum es natürlich ist, daß Riesen in Höhlen wohnen sollen leuchtet mir ebenfalls nicht ein.

Na ja, und wenn Du mir Plattheit unterstellst (Herr Sowieso), dann frage ich mich, warum du mit einer Plattheit (Essen) an einem anderen Punkt meiner Kritik zurückschlägst.

Ich denke momentan, daß deine Kritik an meiner Kritk fragwürdiger ist als meine Kritik an dem Gedicht.

Mit heiligem Zorn hat das alles auch nichts zu tun - ich hatte keinen heiligen Zorn, auch keinen unheiligen.

Das trifft wohl eher auf deinen Kommentar zu mir zu.

Gruß
Frank

Ich halte also meine formalkritischen Anmerkungen in jedem Fall aufrecht und bin einfach mal gespannt darauf, was die Autorin selbst dazu sagen wird.

Und was meine (Fehl)Interpretation betrifft: Ich lasse mich jetzt einfach mal darauf ein, daß ich das Gedicht von der inhaltlichen Aussage falsch verstehe - dann fiele meine Anmerkung von der Dürftigkeit weg. Mißlungen fände ich das Gedicht trotzdem - denn ich sehe nicht, daß meine angemerkten Kritikpunkte (losgelöst vom Inhaltlichen) deshalb falsch sind.

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.04.2006, 23:38

Hallo,

ich habe nirgendwo den "Vorschlag" gemacht, "alle Konjunktive mit würde zu konstruieren" - das möchte ich hiermit klarstellen. Ein Konjunktiv mit würde klingt auch nicht besonders schön, ist aber in vielen Fällen - mal generell gesprochen - immer noch besser, als höchst ungewöhnliche, ungebräuchliche Formen wie "flöge", "schüfe" z.B.

Im übrigen schließe ich mich Franks Meinung an-
- eine Lesart, wie Max sie nahegelegt hat, leistet der Text SO nicht (so meint, wie er jetzt, in dieser Fassung vorliegt).

Sorry, aber dabei bleibe ich :???:

Gruß,
scarlett

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Beitragvon Lisa » 25.04.2006, 01:59

Hallo Frank,

ich habe deine Kritik vorhin schon gelesen, dachte aber, es sei besser erst morgen darauf zu antworten. Nun formulierte ich aber den ganzen weiteren Abend daran herum, was ich zu welchem Punkt schreiben könnte. So kann ich es auch jetzt aufschreiben.

Zunächst einmal finde ich es grundsätzlich nicht sinnvoll, ein Gedicht so vollständig zu erklären wie es hier nötig ist. Entweder es spricht durch sich (deshalb existiert es ja und nur darum, weil seine Form notwenig für den Ausdruck von etwas ist). Jemanden ein Gedicht zu erklären, das von ihm als misslungen bezeichnet wurde und dem er Ablehnung gegenüber empfindet, ist dann noch auswegloser, denn ich bin sicher: Eine Nähe zum Text kann nicht mehr entstehen, der analytische Weg ist zu affektlos.

Trotzdem will ich versuchen, dir bestmöglich zu antworten:

Das Gedicht handelt von einem Ich und seinem Vater (siehe Titel), die ganze Beziehung wird anhand von Sprache erzählt. Leonie hat das in ihrem letzten Posting für mich gut beschrieben.

Einen Riesen sprechen (ein mächtiges Wort sprechen, vielleicht ein lautes) bedeutet nicht jemanden zu erschaffen, der für das Ich die Drecksarbeit erledigt, denn es sind ja die eigenen Worte, die aus dem Mund (Mundhöhle –umgedreht Höhlenmund, der Riese entsteigt der Höhle, das Wort dem Mund) des Ichs kommen sollen (rot = Farbe des Mundes/Sprachraumes, Luft = Atem beim Sprechen). Das Wort ist ein mächtiger Riese oder, um von der Interpretationsseite zu kommen, der Riese ist ein Wort und das kann man sprechen. So hermetisch finde ich das nicht. Auch das der Riese zum Schluss als Person geschildert wird (der in die Wolken schreibt) finde ich nicht verwirrend sondern ich bewege mich innerhalb des Bildes. Ist das Wort erst einmal ein Riese, kann dieser auch am Schluss etwas schreiben.

Alle daran anschließenden Formulierungen führen die Wirkung eines solchen Worte, gäbe es dies, aus. Das Riesenwort hat die Stärke bisherige Sprachbarrieren zu durchbrechen und einen neuen, jungen Raum für das Ich fern der Sprache des Vaters zu sprechen. Die Stiefel habe ich gesetzt, weil ich an die Zauberkraft der Siebenmeilenstiefel denken musste, als ich mir die Riesenreise vorstellte, ich wollte die Kraft, die Weite seiner Schritte beschreiben. Es ist ja trotzdem der Riese (soviel Transfer muss möglich sein!)

Der Konjunktiv spielt eine entscheidende Rolle in dem Gedicht. Denn das Ich sagte ja zu Beginn: „Könnte ich nur“, es kann also nicht seinem Vater auf die Art, mit den Worten seinem Vater entgegnen, die es aus seinem Bann ziehen würden. Wirklichkeit als (schmerzliche,) nicht vorhandene Möglichkeit zu erzählen, ist für mich eine Grundmotivation zu schreiben. Ich bin am Versuch mit dem Konjunktiv zu arbeiten, aber auch schon in Prosatexten gescheitert und dort verschwindet er, weil einfach mehr Text um ihm steht. Vielleicht ist er daher für Lyrik als Stilmittel in so hoher Konzentration noch weniger geeignet. Ich überlege ob sich die unmögliche Möglichkeit noch anders erzählen lässt. Dafür brauche ich aber ein paar Tage.

Zusatz: Natürlich muss es stünde heißen. Heißt es jetzt auch, es tut mir leid, dass ich das nicht selbst bemerkt habe. Was den würde-Vorschlag angeht, scarlett, muss ich mich allerdings Max anschließen, auch was den Gebrauch an einzelnen Stellen betrifft. Würde ist für mich eindeutig die schwächere Form (grammatisch, stilistisch) und ungebräuchliche(r) (gewordene) nicht die schlechteren. Danke aber für den Hinweis, das war natürlich völlig falsch.


In dem Kontext der Möglichkeit ist auch das „wohl“ zu lesen. Für mich bedeutet es zum einen eine Relativierung der Sicherheit des Ichs (denn es findet ja die Worte nicht, also steigt der Riese auch nicht über die Gipfel, also ist das Ich sich mit seiner Kritik auch noch nicht sicher, da es noch in seiner alten Welt lebt, das wohl sollte also die spöttische, zweiflerische Zwischenstellung, in der sich das ich befindet kennzeichnen). Da es aber zugleich ein Lückenfüllerwort ist wirkt es (wohl) nicht. Ich werde es streichen. Manchmal sind die eigenen Intentionen zu weit.

Zum Turm:

"bis auf deine Heimat Turm"
sollte doch "bis auf deiner Heimat Turm" heißen...


Es heißt:

Sein Echo träfe Deine aus
Imperativen erbauten Städte
bis nichts mehr stände
bis auf deine Heimat Turm.


Bis nichts mehr stände bis auf deine Heimat Turm (Bis nichts mehr stände bis auf diesen oder jenen Gegenstand).

Das doppelte bis ist unschön. Ich habe es zum einen überlesen, da es einmal zeitlich und einmal numerisch gemeint ist und zum anderen, weil ich lange an der richtigen Setzung von „bis auf deine Heimat Turm“ hin- und her überlegt habe, da mir die Betonung an dieser Stelle wichtig war (denn deine Heimat Turm fand ich eigentlich neben dem gesprochenem Riesen die gelungensten Zeilen des Gedichts, weil der Turm für mich eine gräuliche Heimat wäre und zugleich über allem thront ). Ich habe das zweite bis in ein außer verbessert.


Abgesehen davon möchte ich noch zu Folgendem Stellung nehmen:

Inhaltlich finde ich es auch nicht besonders dolle, ehrlich gesagt. Denn was genau wird gesagt?

"Ich wünsche mir jemanden, der für mich die Drecksarbeit erledigt und mir was Neues baut, in dem ich mich einrichten und den anderen, der mir seine Sprache aufzwingt, aussperren kann."


Für den ganzen Aufwand, den das Gedicht betreibt, ein bißchen dürftig, meine ich.


Selbst wenn – und dass es nicht so ist habe ich versucht oben zu erklären – es so wäre, dass das Ich etwas tut, was nicht das „richtige“ wäre, warum müssen lyrische Ichs immer richtig handeln? Warum müssen sie Wahrheiten verkünden? Warum müssen sie Themen so behandeln, dass man zustimmen muss? Das ist mir zu ungebrochen. Ich finde es gerade interessant, wenn man an lyrischen Ichs Schwächen ausmachen kann. Alles andere ist Unwirklichkeit. Und Poesie ist nicht unwirklich.


Zu:

Um die Sprache eines anderen nicht mehr sprechen zu müssen/können, braucht man aber kein Babel. Ich brauche doch nicht die babylonische Sprachverwirrung (da versteht ja niemand mehr den anderen) dazu.


Du setzt die Geschehnisse des Gedichts in diese unsere existierende Welt (niemand, den anderen). In einem Gedicht existiert aber immer nur die Welt, die es beschreibt. Das ist hier: Ein Ich, der Vater (seine Sprache) und ein Riese.

Und es steht auch nicht dort:

„Babel wird geschaffen“ sondern „Schüfe ein Babel für mich“. Es geht um ein tabula rasa, hier ist auch der Titel wieder heranzuziehen: Vatersprache, eine Wortschöpfung in Anlehnung an „Muttersprache“, die für jedes Kind eine Ursprache ist wie die Sprache einst in Babel eine Ursprache für alle Menschen war). Ein Babel für das Ich ist eine eigene Sprache zu finden, die es zu sich finden lässt, zumindest zu einem Beginn.


Um „Drecksarbeit“ geht es übrigens nicht, denn der Riese lacht, lächelt, verhält sich kindlich, spielt, verhält sich entgegen den Imperativen. Gegen die karge, enge Sprache des Vaters wird eine Sprache gesucht, die mit durch eine stille, naive, einfache Art versucht mächtig zu sein um sich selbst zu behaupten.

Nun noch zum Ton: Ich kann Max Reaktion schon etwas verstehen. Worte wie „Drecksarbeit“ oder „nicht so dolle“ haben mich getroffen, nicht wegen der Kritik (die hat mich auch getroffen, aber die habe ich mir ja gewünscht und ich versuche sie zu nutzen), sondern weil der Ton lieblos klingt.


Insgesamt bin ich mir sicher, dass all diese Formulierungen nicht dazu führen können, dass du das Gedicht annehmen wirst ( davon abgesehen, ob es nun schlecht oder gut umgesetzt ist, das müssen andere entscheiden, nicht ich). Die Chance ist vertan :grin: . Dennoch glaube ich, dass dies nicht nur an der Form des Gedichts liegt, an seinem Mangel, das Gewollte richtig auszudrücken (was ganz bestimmt auch der Fall ist!! Ich werde versuchen daran zu arbeiten), sondern auch daran, dass du wirklich einige Passagen und dadurch das ganze Erzählte nicht verstanden hast. Vielleicht sind wir in unseren Thematiken oft auch verschieden und noch verschiedener in der Umsetzung :grin:

Ps: Ich habe mich jetzt nicht explizit an dich gewendet scarlett, aber vielleicht helfen auch dir meine (ellenlangen) Ausführungen!

Nächtliche Grüße,
Lisa


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