glatter schnitt

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Hakuin

Beitragvon Hakuin » 17.08.2007, 16:53

glatter schnitt
letzter faden
fesselt freiheit

© hakuin07

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.08.2007, 19:03

Hallo Hakuin,

hm ... eigentlich steht der Titel im Widerspruch zu den zwei Zeilen, finde ich. Bzw. drückt der Titel nicht das aus, was darunter steht.

Ich frage mich, welchen "Faden" du hier meinst: die Nabelschnur kann es imho nicht sein, da die Nabelschnur, ob durchtrennt oder nicht, keine Freiheit bedeutet, sondern in beiden Fällen Abhängigkeit impliziert.
Du könntest das "goldene Band" meinen, welches die Seele eines Menschen an seinen Körper bindet. Esoteriker, wie ich, glauben an dieses Band. Geht man auf Astralreise, so hält einen nur dieses Band am Irdischen fest.
Aber auch wenn du dieses Band meinst, geht die Rechnung nicht auf, da die Seele sich wieder reinkarniert, somit wieder gebunden sein wird, es sei denn, sie hat ihre karmischen Aufgaben bis zur letzten erfüllt und kann endlich als reine Energie existieren.
Die Frage ist also, an welchen Faden denkst du hier? *grübel*
Saludos
Mucki

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 17.08.2007, 19:21

Hallo,

ich find es immer wieder faszinierend, wie unterschiedlich doch die Interprationen ausfallen.
Auf Nabelschnur wäre ich nie gekommen.

Es ist ein glatter Schnitte erforderlich, um den letzten Rest des Fadens abzutrennen.
Ein Faden, den man ähnlich wie das berühmte Päckchen, mit sich schleppt.
Vergangenes, Erlebtes, Erinnerungen etc., was einem durch das Leben begleitet und beinflußt.
Man hängt quasi an so einem Faden bzw. hangelt sich an so einem Faden durch das Leben.

Trennt man sich nicht mittels eines glatten Schnittes im Sinne eines Neuanfanges von bestimmten Fäden seines Lebens, fesselt der Rest von solchen Fäden - auch wenn diese schon eingerissen, ausgefranst sind- das Leben.
Man braucht einen glatten Schnitt. Vorallem wohl bei einem Faden, der sehr domierend das eigene Leben bestimmte. Hmm, das kann auch im übertragenden Sinne die Nabelschnur sein. Diese steht ja auch für die Herkunft, die man sich ja nicht aussuchen konnte.
Sonst fesselt so ein Restfaden die Freiheit. Man engt sich selber ein.

Das ist mir zu dem Text eingefallen.

Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.08.2007, 19:39

Hallo Sethe,

ja, so kann man es auch lesen. Doch hängen wir nicht alle an tausenden von Fäden?
Hakuin schreibt hier von einem bestimmten Faden, dem letzten Faden. Wie ich Hakuin einschätze, meint er hier etwas Vergeistigtes, etwas, das mit der Lösung des Egos von seinem Körper zu tun hat, so dass der Geist frei wird. (Daher meine Assoziation zu diesem besonderen "Band")
Aber, warten wir mal ab,-)
Saludos
Mucki

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 17.08.2007, 20:08

Hallo Mucki,

ich habe es nicht so mit der Esoterik, auch nicht mit Lösung des Egos vom Körper.

Aber das mit tausend Fäden hat mich auf eine Idee gebracht.

Beim letzten Faden könnte es sich um den Tod handeln.

Der Tod, als ein das Leben der Menschen beherrschendes Thema.
Warum lebe ich überhaupt, wenn ich doch sterbe. Dem Tod kann man nicht entrinnen. Wozu hat das Leben dann einen Sinn? All diese Fragen resultieren letztendlich aus dem Umstand, daß der Mensch ein endliches Wesen ist. Schon bei der Geburt ist klar, der Mensch lebt nicht ewig.

Trennt man sich nicht davon, die Sinnsuche andauernd an dem Tod festzumachen, fesselt es einen. Es nimmt einem die Freiheit, das Leben "einfach" zu leben.

Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Beitragvon Mucki » 17.08.2007, 20:13

Hallo Sethe,

glaubt man nicht an Karma, Reinkarnation u.s.w. könnte es der Tod sein, ja.
Da würde auch der "glatte Schnitt" im wahrsten Sinne des Wortes passen (ziemlich makaber), doch ich persönlich kann nicht den Tod als den Faden sehen, da ich an den karmischen Zyklus glaube.
Saludos
Mucki

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 19.08.2007, 15:36

hallo mucki, hallo sethe,

danke euch für die anmerkungen und habe eure diskussion sehr interessiert gelesen.

für mich war das wesentliche die verdichtung, die reduzierung des textes, der in der urfassung erheblich länger war.

es geht mir nicht um ein rätsel, was gelöst werden möchte. besser ist die frei interpretierbare form, wenn die geling, hat es funktioniert.

sethe, dein gedanke: auch ein noch so dünner faden fesselt ALLES
und
mucki: freiheit des geistes, EGO abschneiden
...wunderbar... ;-)

einen entfesselten tag noch für euch
salve
hakuin

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Beitragvon Mucki » 19.08.2007, 16:27

Hallo Hakuin,

frei interpretierbar sind deine Zeilen allemal.
Die Frage ist nur: wie schneidet man sein Ego ab? Ist es nicht ständig präsent, ob man will oder nicht :frage:
Saludos
Mucki

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Beitragvon Sethe » 19.08.2007, 17:25

Hallo Hakuin,

ich habe zwar in Deinem Text Fäden bzw. einen Faden gelesen, der fesselt. Abgesehen von den praktischen Fällen, in denen man einen Faden zum fesseln braucht - von der Rinderroulade bis hin zu einem Paket- sehe ich uns Menschen nicht an Fäden - an tausend Fäden - hängend, gleich einer Marionette.

Die Freiheit des Geistes ohne Ego, welches vom Körper abtrennt ist/wird?
Ohne Ego keine Freiheit des Geistes. Ohne Körper kein Ego.
Das Ego kann ohne Körper nicht existieren, der Geist -manche nennen es auch Seele- auch nicht.

Wir werden erst dann gleich einer Marionette von wem auch immer an Fäden durchs Leben "gezogen" bzw. gefesselt, wenn wir uns vom Ego trennen.

Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Beitragvon Pjotr » 19.08.2007, 19:56

Hallo,

ich komme hier nicht mit.

Was versteht Ihr unter "Ego"?

Und was versteht Ihr unter Freiheit? Frei wovon? Frei von Input? Frei von Kausalzwang? Frei von Chaos? Frei von Regeln? Frei von Ich-Empfindung? ...? Wovon redet Ihr?

Wenn ein Vöglein aus seinem Käfig gelangt, ist es nur frei hinsichtlich Schwedischer Gardinen, aber nicht frei bezüglich des Sauerstoffbedarfs und drei Zillionen anderer Zwänge. Nicht einmal der Gott jener Theisten ist vollkommen frei, denn er ist gezwungen, Gott zu sein; wenn er das nicht mehr konsequent tut, ist er ein Ex-Gott.

Also frei wovon?

Ich kenne nur eine Große Freiheit. Die befindet sich in Hamburg und bietet eine gemütliche Bühne.


Ahoi

Pjotr

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Beitragvon Mucki » 19.08.2007, 20:08

Hi Pjotr,

sehe ich auch so. Siehe oben. Der Mensch kann sich von seinem "Ich" nicht trennen, es sei denn, man sieht es esoterisch und hat die letzte Existenzebene der Seele erreicht.
Aber auch das ist ja nur eine Glaubenssache. Ob das wirklich so ist, wer weiß das schon ...
Oooooooooohm-Grüße
Mucki

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Beitragvon Sethe » 19.08.2007, 20:37

Hallo,

Freiheit des Geistes: Denken, Wahrnehmen, Empfinden (dieses gehört auch zum Ego z.B. die Ich-Empfindung)

Ego: Ich, das Ich-Erleben, Selbstbewußtsein (Bewußtsein ein Ich zu sein), die eigene Identität und Individualität

Das eine geht nicht ohne das andere. Oder kann man denken, wahrnehmen, empfinden ohne ein Ich zu sein? Man kann diese beiden Dinge nicht trennen. Wie soll man das überhaupt trennen können? Das eine baut auf dem anderen auf, das eine kann nicht ohne das andere.

Man liest auch öfters die Gleichzetzung von Geist mit Seele.

Seele für mich: Alles, also Denken, Wahrnehmen, Empfinden, Ich-Erleben etc.

Ist der Körper nicht mehr da, gibt es auch keine Seele. Wenn ich tot bin ist beides tot, Körper und Seele. Es gibt kein Ego mehr, keinen Geist mehr. Tot eben.

Freiheit:
Ich definiere dies erstmal mal negativ: Unfreiheit liegt dann vor, wenn jemand durch Zwang, Gewalt versucht auf mein Denken, auf mein Handeln, Wahrnehmungen, Empfindungen Einfluß zu nehmen.
Daß ich atmen muß, essen muß, ist keine Einschränkung der Freiheit.
Ich bin als Mensch in der glücklichen Lage, denken zu können, Gedanken entwickeln zu können, lernen zu können, Wahrnehmungen zu machen, Empfindungen machen zu können, mich selber - also das Ich- weiter entwickeln zu können. Das ist Freiheit.

Meine Gedanken sind meine Gedanken, und niemand anderes hat diese genauso wie ich. Das ist Freiheit.

Wenn ich mich vom Ego abschneide, was bleibt denn da noch?
Keine eigenen Gedanken, kein eigenes Denken, keine Wahrnehmungen, keine Empfindungen. Nüx.
Jemand anderes müßte für mich Denken, denn es gibt ja kein Ich mehr.
Irgendwer bestimmt über mich.
Das ist ja wohl total unfrei.

Soweit in Kürze, was ich so unter den genannten Begriffe verstehe.

Edit:
Auch wenn es zigmillionen Fäden gibt, an denen ich hänge, solange es meine eigenen Gedanken sind, solange ich Denke, und darauf meine Entscheidungen aufbaue und danach handel, sind es meine Entscheidungen, und nicht die von jemand anderes, dann bin ich frei. Trotz oder gerade wegen der vielen Beinflussungen etc. durch Fäden. Es ist mein Ich das denkt, fühlt und handelt. Deshalb fesseln mich auch keine Fäden.

Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

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Beitragvon Ylvi » 20.08.2007, 10:30

Hallo Hakuin,

wenn ich das Gedicht mal reduziere und von der philosphischen und esoterischen Ebene herunterhole, würde ich es so lesen:

Ein glatter Schnitt würde ein Band (Beziehung) trennen und ein (weiter-) weg-gehen ermöglichen.
Aber er gelingt nicht. Es bleibt immer ein Faden (Erinnerung, Gefühl) irgendetwas, das einen fesselt und somit ein wirkliches (inneres) Gehen (Trennen) nicht möglich macht.
Der glatte Schnitt ist eine Illusion.


liebe Grüße smile

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 20.08.2007, 11:57

montagmorgen,
bin baff, was sich hier jetzt aufgetan hat, an gedanken und meinungen.
ein erstes lesen ist noch nicht genug...

smile, der aspekt der illusion ist ein wahrer schatz.
hiermit lassen sich wohl auch die genannten gedanken und meinungen
auf eine neue ebene heben...

aus einer buddhistischen rezitation:

"täuschende gedanken und leidenschaften sind unerschöfplich -
ich gelobe, sie alle zu lassen"

salve
hakuin


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