Würde

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Andreas

Beitragvon Andreas » 07.09.2007, 16:02

Wäre ich ein Wäre,
wäre ich gewesen ein War,
würde ich sein ein Ist,
wäre ich ein Wäre.

Wäre Ist Würde,
würde War gewesen sein.

geändertes Layout (gemäß Lisa 13.09.2007)

_________________________________________

Originalversion

Wäre ich
ein Wäre,
wäre ich gewesen
ein War,
würde ich sein
ein Ist,
wäre ich
ein Wäre.

Wäre Ist Würde,
würde War gewesen sein.
Zuletzt geändert von Andreas am 18.09.2007, 14:20, insgesamt 1-mal geändert.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 07.09.2007, 16:42

Hallo Andreas,

ich meine einen logischen Fehler zu sehen in dieser logischen Lyrik. Ich schaue auf die Zeilen 5 bis 8. Meiner Ansicht nach wäre ich nämlich kein Wäre, wenn ich ein Ist sein würde; vielmehr wäre die gesamte Hypothese, ein Ist zu sein, ein Wäre. Nicht aber das Ist per se. Denn das wäre ja dann eben ein Ist und kein Wäre.

Die Konklusion der vorletzen Zeile sehe ich Klugscheißer daher als Fehlschluss. Und die allerletze Zeile fasse ich als ein Taschenspielertrick auf, der heimlich eine Verbindung zwischen den einleitenden beiden Prämissen herstellen will, welche aber gar keine Verbindung haben, denn Ist ist keine zweite Konklusion aus Wäre, sondern schlicht eine separate Prämisse. Drittens hoffe ich, Du verstehst meinen geschwollenen Humor ebenso, wie ich den Deinigen in diesem Experiment.


Salute

Pjotr

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 07.09.2007, 22:37

Hallo Andreas,

ich muß eingestehen, daß ich Deinen Text leider überhaupt nicht verstehe. Weder die Logik noch den Humor.

Es gelingt mir auch nicht, den Text zu lesen. Ich weiß nicht, wo und wie ich die Betonungen setzen soll, trotz der gesetzten Kommata. Ich lese ihn anders, als Du die Kommas (heißt das jetzt Kommas oder Kommata?) gesetzt hast und daher stolper ich beim lesen.

Mein Fehler war zuerst, daß ich Würde, als "die Würde" gelesen habe. Vorallem im Titel.
Aber das ist ja nicht gemeint.
Aber was ist denn gemeint?

Ich kapiers nicht, seufz.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Andreas

Beitragvon Andreas » 11.09.2007, 14:59

Hallo Pjotr, hallo Sethe,

es ist für mich selber recht schwierig (jedenfalls mitunter) zu experimentellen Texten ein fundiertes Gerüst aufzubauen, was einer ordentlichen Antwort auf eure Kommentare genügt, aber ich versuche es natürlich dennoch.

Vielleicht fange ich an, indem ich die Zeilen erweitere, dass sie logisch nachvollziehbarer sind als in dieser verschlungenen Anhäufung diverser Tempi:

Wäre ich
jemand, der ich sein möchte / könnte,
dann wäre ich, sofern ich eben derjenige bin, der ich sein möchte / könnte,
nicht mehr das aktuelle ich, sondern war es
und würde damit den Zustand erreicht haben, der ich sein möchte / könnte,
also ein Ist Zustand.
wäre ich also / folglich
jemand, der ich sein möchte / könnte.

Wäre dieser erstrebte Ist Zustand dann eben doch (Sethe!) ein Zustand mit/in Würde (zu leben),
dann würde mein ehemaliger Ist Zustand = War, der Vergangenheit angehören.

Ich denke, wenn ich es jetzt selber lese, dass es immer noch sehr konfus ist. Je öfter ich es lese, desto mehr verwirrt es im Moment sogar mich. Ich wollte letztendlich vor allem mit diesem Experiment der Tempi ein wenig jonglieren (und habe mich verjongliert - Pjotr mit Zeile 5-8 hast du recht, komme ich aber gleich noch zu) und einen Ist Zustand, einem Soll Zustand gegenüberstellen bzw. als erstrebenswert hinstellen. Ist-Zustand hat keine Würde, Soll-Zustand soll genau das erfüllen.

Und ja, Pjotr, Zeile 5-8 ist nicht wirklich richtig, allerdings sehe ich es auch nur marginal falsch, da ich mich maximal zu einer Änderung in Zeile 8 hinreissen liesse, die danach lauten könnte "ein Wäre gewesen."

Ich gehe von einer theoretischen Erfüllbarkeit des Ist Zustandes aus. Das heisst, es ist nicht bloßer Konjunktiv, sondern letztendlich eine Art Perversion des Konjunktivzustands indem er wunschgemäß erfüllbar, erreichbar ist, was de fakto normalerweise der Konjunktiv ja ausschliesst.

Wenn du, Pjotr, nun davon ausgingest, dass sich 1-8 auf meine konjunktivische Weise liest, wäre dann Zeile 9 immer noch falsch und 10 in deinen Augen immer noch der Taschenspielertrick? Für mich bilden 9/10 einen sehr kompakten, logischen Abschluss zu 1-8 und kleben untereinander auch durchaus nachvollziehbar zusammen.

Hmm, ja, ich weiss nicht, ob mein Kommentar jetzt halbwegs befriedigend geraten ist, er hat mich aber zum Schmunzeln gebracht. Das Humoristische, Sethe, ist eigentlich nur insofern ein Element meines Experiments, wenn man sich beim mehrmaligen Lesen der Zeilen die Hirnwindungen verdreht. Ansonsten ist dieser lyrische Happen eher recht witzlos, jedenfalls rein inhaltlich.

Liebe Grüße
Andreas

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.09.2007, 15:36

Hallo Andreas,

ich habe leider den Faden verloren, um Deine Frage befriedigend antworten zu können. Aber Dein neu eingeführter Begriff "Perversion" klingt für mich auf jeden Fall schon mal interessant ...


Salute

Pjotr

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 11.09.2007, 19:54

Hallo Andreas,

danke für Deine Erläuterungen. Ich finde sie sehr gut.
Texte mit sehr viel konjunktiv (hätte, wäre, etc.pp) sind für mich eine harte Nuss. Ähnlich wie früher in Mathe Textaufgaben :- ) Also nicht böse sein, wenn ich immer noch nicht richtig verstanden habe, worum es geht.

Der erstrebte Ist-Zustand ist doch der Soll-Zustand, richtig?

Da lag ich mit "der Würde" doch nicht soo falsch, wie ich dachte.
Also die Würde suchen bzw. finden durch das würde/n, oder so ähnlich.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.09.2007, 23:17

Lieber Andreas,

ja, das kann man verstehen!

Ich denke aber auch, es ist ein Fehler drin - der Konjunktiv verwendest du "rückbezüglich" zeitlich falsch (?) ~~~

Es müsste, glaube ich, zumindest heißen:


Wäre ich
ein Wäre,
würde ich gewesen sein
ein War

Ne, so auch nicht ganz - ich glaube, da "wäre" in Vers ein reine Überlegung ist, kannst du es eigentlich nicht in die Vergangenheit rückbeziehen - OK, das ist gerade der Witz ~, das muss trotzdem noch besser gehen --- hmm. Aber wenn du richtiger sagst

Wäre ich gewesen
ein Wäre,
wäre ich gewesen
ein War,

ist der Witz weg.

Wäre es nicht das gleiche, wenn du sagen würdest:

Wäre ich gewesen
ein Wäre,
wäre ich
ein War,

nur umgedreht, aber der Witz bleibt erhalten? Ja...ich glaube, so ist das!

(...) (drei Stunden vergehen)

Mir scheint es zumindest gerade so, aber ich bin über mich selbst wirr geworden und zu faul nochmal darüber nachzudenken :mrgreen:
.



Insgesamt, egal wie du das oben auflöst oder ob du es so lässt, würde ich den Text etwas breiter setzen:


Wäre ich ein Wäre,
wäre ich gewesen ein War,
würde ich sein ein Ist,
wäre ich ein Wäre.

Wäre Ist Würde,
würde War gewesen sein.

Gemäßigte Kleinschreibung würde sich bei diesem (stimme selten dafür) Text meiner Meinung nach anbieten - sieht so etwas angestrengt/aufbereitet aus, das muss flutschen, find ich. Und ich glaube, es ist ein Irrtum, dass der Leser sich dadurch weniger zurecht fände. GERADE am Ende (ja, widersprich mir nur .-)), aber da irritiert das "Würde" nur (man denkt an die Würde, nicht das Würde).

(Das war übrigens das, warum der text mich am meisten eingenommen hat, dass unter dem Titel "Würde" kein moralisches Abhandlungsgedicht in Experimentalform kam, als ich halb missmutig draufklickte).

Fernab meiner Wirrniss:

Du beherrscht das kleine feine, ringförmige Konstrukt, das nie ganz aufgeht, ohne, dass man Sinn vermisst oder ihm böse sein könnte. Gefällt!



Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.09.2007, 18:58

Würde wäre
wenn Würde
weiter wäre

wenn Wahr
wäre Würde
wäre Würde
wahre Würde

weil Wahr
wartet Wahr
Würde weilt
wahre Würde

Würde weilt
Wahr weilt
Weilt wahr
wahre Würde

Max

Beitragvon Max » 18.09.2007, 13:49

Lieber Andreas,

die Idee finde ich sehr lustig, aber ähnlich wie Pjotr und Lisa geht der Text mit den Zeiotbezügen für mich nicht auf, auch mit den Erklärungen nicht - siehe Lisas Kommentar. Es wäre (sic) für mich aber lohnenswert den Versuch einer Rettung zu unternehmen ....

Liebe Grüße
Max

PS: Moshe, magst Du Deinen Text nicht separat posten, ich habe Sorge, dass er sonst untergeht.

Andreas

Beitragvon Andreas » 18.09.2007, 14:18

Liebe Konjunktivisten,

natürlich habe ich (wie üblich) nicht die Schar an Kommentaren übersehen, wollte mich dem aber nicht nur in 1 Minuten hingeben.

Sethe, was für dich die Mathematik, ist für mich das Deutsch. Ich war ein Musterbild eines schlechten Schülers mit Dauerabonnement auf 5 in Deutsch, weil ich a) nicht verstand und verstehen wollte und b) mich gegen übliche deutsch-pädagogische Eingleisintentionen zu wehren versuchte. Gefrustet vom unfruchtbaren Widerstand wählte ich Deutsch sobald als möglich ab. Du hast jedoch scheinbar dein Verständnis in Sachen Textaufgaben noch etwas aufpoliert denn deine Vermutung, dass Ist = Soll ist, ist solide.

Liebe Lisa, du hast wirklich einige interessante Anläufe unternommen, um in die Phalanx meines lyrischen Konstrukts einzudringen. Vor allem bin ich doch beeindruckt wie sehr du mit jeder deiner 3 Analysen Recht hast. Würde ich aber versuchen zu jeder Einzelnen Stellung zu nehmen, würde ich mich wie eine Katze verstricken, die man mit einem Haufen Wollknäule alleine lässt und vermutlich so enden wie du nach 3 Stunden - wirr.

Was mir auch hier auffällt, genau wie bei einem anderen Kommentar zu einem anderen Text von mir, das ist deine Vorliebe für das Layout, Stichwort "breiter setzen" z.B. Damit konnte ich in einem vorigen Kommentar nicht viel anfangen, hier jedoch finde ich es fast genial, weil es alleine durch die Breite schon etwas mehr flutscht, was du später im Kommentar mit der gemäßigten Kleinschreibung erreichen willst. Du magst auch hiermit Recht haben, dass der Leser sich dadurch genauso gut zurecht findet wie zuvor, aber ich fürchte er huscht zu schnell über die Zeilen. Einige Worte müssen in meinen Augen einen kapitalen Anfangsbuchstaben haben, um den Leser abzubremsen. Schriebe ich alles in Kleinschrift könnte zudem der Verdacht aufkommen, dass es nur ein sinnloses Aneinandergewurstel von Tempi ist, was de fakto eben nicht stimmt.

Max, du hast natürlich völlig Recht, dass es mit den Zeitbezügen nicht aufgeht. In meinem initialen Kommentar schrieb ich schon, und das pickte Pjotr anschliessend - zwar etwas kernlos - heraus, dass es eben u.a. meine Perversion des Konjunktivzustandes ist. Damit erkläre ich ja fast an Eides statt, dass ich um die Nicht-Erfüllbarkeit meiner Zeilen weiss. Allerdings sehe ich nachwievor einen logischen, roten Faden in meinen Zeilen. Logik ist etwas, was nicht Anspruch auf Korrektheit erhebt. Wichtig war mir, Max, dass es logische Nachvollziehbarkeit bietet. Als Mittel bediene ich mich der geballten (und teilweise verballhornten) Anhäufung von krummen Tempi, die aber hier, weil sie als Mittel zum Zweck dienen, in meinen Augen unkritisch sind, selbst wenn sie noch so falsch wären / sein würden / sind. Eine Überarbeitung möchte ich damit insofern lediglich auf die breite, von Lisa angesproche, Form anwenden, mich aber sonst eher konservativ zeigen. Ich hoffe, dass mir das keiner als Borniertheit ankreidet.

Moshe, was dich betrifft, so muss ich Max 100% Recht geben. Dein Kommentar hat hier nichts verloren und zwar im positiven Sinn. Das sollte für sich alleine stehen.

Liebe Grüße an euch alle
Andreas


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