Königsberger Lektion

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Sethe
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Beitragvon Sethe » 12.09.2007, 00:24

[align=left]Königsberger Lektion

Schlauer wollte ich sein
versuchen tat ich es mit Kant
werden sollte er mein
so war es eingeplant.

Doch schnell stand ich vor einer Wand
aus Wörtern und Begriffen
die ich nicht verstand:

a priori
a posterori
antimonien
transzendental
analystisch
synthetisch
ich habe mich bei Kant wohl vergriffen.

Das Fremdwörterlexikon versagte
die kant´schen Begriffe es auch nicht kannte
meine Unwissenheit ich beklagte
das Lexikon ich wieder ins Regal verbannte.

Als mich die Verzweiflung überkam
ich mich schon geschlagen geben wollte
mich dann aber die Erkenntnis überkam
daß ich nicht verzagen sollte.

Denn schlauer geworden ich bin
nicht alles zu verstehen und zu erkennen
hat seinen Sinn
nämlich die Unwissenheit zu benennen.

Aus der Unwissenheit zu lernen
das jetzige Wissen darüber nie alles zu wissen
bedeutet auch sich selber kennen zulernen
Dies möchte ich nicht mehr missen.[/align]

Sethe

Soll ich oder nicht, soll ich oder nicht, ach was, ich machs, und abgeschickt dieses "Machwerk".
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 12.09.2007, 09:39

Hallo Sethe,

Dein Text, besonders das Ende, strahlt auf mich eine gewisse Sympathie aus. Die beschriebene Lage kann ich in weiten Teilen gut nachvollziehen.

Mit den amtlichen Reimregeln kenne ich mich nicht aus, aber mein Eindruck ist, dass Du hier keiner Schulregel folgst, was bei mir als gesunde Gelassenheit und unbekümmerte Bescheidenheit ankommt, was wiederum im bescheidenen Einklang steht mit dem Wissen um das eigene Unwissen.

Zum kleingedruckten Thema "soll ich oder nicht", sage ich: "no risk, no fun". Ich finde, Dein Text muss sich keinesfalls verstecken.


Cheers

Pjotr

Nihil

Beitragvon Nihil » 12.09.2007, 09:46

Hallo Sethe,

wenn du erstmal die Begrifflichkeiten für dich geklärt hast, was für die Kant-Lektüre unerlässlich ist, dann ist es natürlich immer noch sehr anspruchsvoll, aber nicht mehr unmöglich .. sagt dir ein Nihil, der Kanten noch nicht gelesen, sondern nur mal kurz reingeschmökert hat .. ;-) aber ich bin kein Maßstab, denn ich bin Wenigleser .. Platon, Kant, Schopenhauer sind jedenfalls der heilige Dreiklang in der abendländischen Philosophie .. es lohnt sich! Erst wer zu diesen Dreien von der Philosophischen Tankstelle eine fundierte Meinung hat, der kann sich überhaupt erst einen Zwergenphilosophen nennen!

LG

Nihil
Zuletzt geändert von Nihil am 12.09.2007, 11:01, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 12.09.2007, 09:51

Hallo Sethe,

die Idee ist gut, auch der Titel, aber der Text wirkt auf mich unbeholfen. Vor allem die Wortstellung und die bemüht wirkenden Reime stören mich. Interessanter als die Erkenntnis der Unwissenheit ("Ich weiß, dass ich nichts weiß" - übrigens auf Sokrates zurückzuführen, nicth auf Kant), hätte ich ein paar Beispiele gefunden. Deutungsversuche. Pragmatische Lesungsarten von "a priori" und "a posteriori". So ganz nehme ich dir bzw. dem Lyrich das absolute Nicht-Verstehen nicht ab.

Und die Selbst-Erkenntnis könnte man so hübsch einbetten als Gegensatz zu "a priori" - nämlich (if I remember well) a postieriori: danach! Als Erfahrungserkenntnis.

Lieber Gruß
Klara

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.09.2007, 10:29

Liebe Sethe,

an Kant entlang über die Fragwürdigkeit mancher von jeglichen Bezügen zunächst unberührt scheinender Begrifflichkeiten nachzudichten, find ich eine feine Idee, gerade weil die "Figur" Kant ja nicht gerade unskurril wirkt, gestattet man sich das Anekdotische: Gerade das typische: nie aus Königsberg herausgekommen etc. macht das passend.

Sprachlich empfinde ich den Text allerdings als unschön - klar, man könnte sagen, die "naiv" wirkende Komposition sei dem Unverständnis des lyr. Ich analog gestaltet, aber für mich machen die den Reimen geschuldeten grammatischen Konstruktionen den Humor und die nötige Leichtigkeit eines solchen Textes zunichte, ich komm da nicht durch, ästhetisch betrachtet. Stilistisch gewitzter würde es, wenn du zum Beispiel Kants Begriffe zum Reimen gebräuchtest, à la

synthetisch - Verstandesfetisch
oder
transzendent - fänd etc..,

dann wären sie stilvoller eingebunden, das ganze bekäme einen Schwung. Auch würde ich auf Inversionen verzichten und den Schluss etwas pointierter gestalten.

Zur Kantlektüre empfehle ich ausdrücklich nicht: Mit Kant am Strand (was auch ein gelungener Titel wäre: Nicht mit Kant am Strand ,-))

Liebe Grüße,
Lisa



PS: Wahrscheinlich zeugt diese Frage von Humorlosigkeit, aber dass manche der Begriffe falsch geschrieben sind, ist Absicht, ja?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 12.09.2007, 10:37

Hallo Lisa,

transzendent fänd ich inkohäränd, dann doch lieber unreligiös transzendentaaal.


Prosteriori

Pjotr

Klara
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Beitragvon Klara » 12.09.2007, 10:42

transzendental ... verdammt noch mal!

,-)
k

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.09.2007, 10:45

nööö. das war ne Refernez an meine Humorlosigkeit. Potzblitz!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 12.09.2007, 16:23

inkohäränd jedenfalls, muss dänisch sein mit der End-ung ...


Liebe Sethe,

ich stimme Lisa und Klara zu.
Ich glaube auch du solltest dich von den Reimen "verabschieden", wenn ich es mal so fröhlich salopp sagen darf. :smile:
Was bietet allein der Satz:

Sethe hat geschrieben:Ich habe mich bei Kant wohl vergriffen
:daumen:

für gestalterische und inhaltliche Möglichkeiten, sich humorvoll mit Kant auseinaderzusetzen oder sich ihm zu nähern, was ja auch reichen würde ...

Ich weiß nicht wie erfahren du bist, was das Schreiben überhaupt, hier aber speziell von Gedichten angeht. Eine Möglichkeit um sich an ein doch nicht so einfaches Thema heranzutasten ist es, zunächst zu versuchen, das Thema in Prosa zu umreißen, darüber eine Art Aufsatz zu verfassen und sich von der eigenen Intention leiten lassen, wo der Text mit einem hin möchte.

Für mich ist der Schluss, ein wenig steif, er wirkt so, als ob das Lyrich sich mit sich selbst versöhnt, so als Selbsterkenntnis, das es doch etwas gelernt habe.
Da klingt es für mich nicht mehr nach Humor sondern gelehrig und beflissen.

Liebe Grüße
Gerda

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 12.09.2007, 18:08

Hallo zusammen,

ganz soooooooooo furchbar schlimm, wie befürchtet, ist es dann doch nicht mit der Kritik ausgefallen ;- ) Ich bedanke mich.

Ich hatte irgendwann mal spontan die Zeilen mit dem Lexikon aufgeschrieben, diese lange einfach so liegen gelassen, und jetzt den Rest dazu geschrieben. Gerda, es war daher der erste Versuch dieser Art.

Ich hatte nahezu schon verzweifelt versucht, auf die Begriffe direkt einen Reim zu schreiben. Mir ist nur nichts eingefallen, aber auch garnichts. Daraus folgte die Erkenntnis, hoppla mein Wortschatz ist scheinbar nicht so groß, wie ich dachte. Insofern werde ich das mit Reimen auch nicht lassen, so für mich, weil ich es als gutes "Training" empfinde, um mit der Sprache spielen zu können.
Die Anregungen, wie man so ein Thema aufgreifen kann, nehme ich gerne an.

Interessant finde ich die Bemerkung von Klara, daß man mir -pardon dem Lyrich- das mit dem Nichtverstehen nicht so ganz abnimmt. Da sage ich doch, da habe ich mein Ziel verfehlt.


Klara:
Und die Selbst-Erkenntnis könnte man so hübsch einbetten als Gegensatz zu "a priori" - nämlich (if I remember well) a postieriori: danach! Als Erfahrungserkenntnis.


Klara, das habe ich nicht verstanden.

Lisa:
aber für mich machen die den Reimen geschuldeten grammatischen Konstruktionen den Humor und die nötige Leichtigkeit eines solchen Textes zunichte,


Ganz ehrlich, das habe ich mit Absicht gemacht. D.h. ich wollte diese Konstruktionen. Weil ich gerade wollte, daß die Zeilen nicht so gerade und formalistisch nach deutscher Grammatik klingen, sie sollen gerade nicht formalistisch und streng nach Vorschrift sein. Das sollte wirklich ein Gegensatz zu dem "strengen" Kant sein. Also es soll gerade unbekümmert und leicht klingen.
Aber, dann muß ich wohl noch üben.

Ohne Rückmeldungen weiß man nicht, was falsch, unschön, unsauber etc. ist. Oder, ob das Thema getroffen, oder nicht getroffen wurde.
Das war der Beweggrund, den Text doch zu veröffentlichen.
Den Text nur so im PC vor sich "rumgammeln" lassen, ist doch nicht das wahre.
Ich weiß jetzt, wo er einzuordnen ist, danke dafür.

Es hat mir aber trotzdem Spaß gemacht, das zu schreiben.
(Ich muß immer noch über mich selber grinsen, als mir bei einer zuerst angedachten Zeile, die auf die Wörter "Haare raufen" folgen sollte, nichts besseres einfiel, als "besaufen" und "ersaufen".)

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Klara
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Beitragvon Klara » 12.09.2007, 18:42

Zitat:
Klara:
Und die Selbst-Erkenntnis könnte man so hübsch einbetten als Gegensatz zu "a priori" - nämlich (if I remember well) a postieriori: danach! Als Erfahrungserkenntnis.



Klara, das habe ich nicht verstanden.

Na, das sind doch beides philosophische Begriffe, Aristoteles, Descartes, Kant...
A priori - lat. vom Früheren her, meint diejenige Erkenntnis, die ohne Erfahrung möglich ist. Man könnte auch sagen: die Denk-Anlagen. Die Voraussetzungen.
A posteriori - lat. von dem, was nachher kommt, meint die Erfahrungserkenntnis, Empirisches Wissen, von Beispielen und Anschauung Erkanntes.

Ich wollte anregen, damit zu spielen:
a priori weiß das lyr Ich nichts (von Kant)
a posteriori WEIß es, dass es keine Ahnung hat - nämlich erfahrungshalber, und deshalb auf diese Selbst-Erkenntnis zurück greifen muss, um überhaupt zu erkennen ,-)
Oder so ähnlich. Ein kleines Spielchen halt...

Lieber Gruß
Klara


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