Ich halte mich neuerdings

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 19.10.2007, 12:25

Ich halte mich neuerdings
lieber bedeckt
und träume
von fliegenden Federn

Zerstochene Kissen, ein Laken
legt sich über Augen und Mund
und ich höre andere Sprachen
und freunde mich an
mit der Fremde

Als Kind war ich nicht so
naiv, da traute ich niemandem
über den Weg –
Jetzt bin ich bekleidet. Jetzt mag ich mein Land.
Jetzt lieb ich die Welt nicht nur trotzdem.
Jetzt lob ich die Kraft in den Armen von Männern.
Jetzt hab ich mein Leben zum Pfand.

Als Kind war die Angst groß
das Haus zu verlassen (aus nahe liegenden Gründen) –
Jetzt geh ich und bleibe

denn keiner kennt, niemals, mein Lied.
Zuletzt geändert von Klara am 20.10.2007, 21:27, insgesamt 2-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 19.10.2007, 12:51

Liebe Klara,

erster Leseindruck: Toll ...

aber mir kommts eher vor als ob du aus zwei Texten einen gemacht hast.
Die Motive wiederholen sich implizit.
Für mich ist ab "Als ich als Kind ..." bis zum Schluss ein fertiges Gedicht zu lesen.

Der dann erste Text endet für mich hinter Fremde.

Aber ich lass mal sacken ... :blink2:

Liebe Grüße
Gerda

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.10.2007, 14:48

Hallo Klara,

die Sprachmelodie gefällt mir hier sehr gut. Ich habe nur inhaltlich Schwierigkeiten, die Situation des LIch zeitlich zu erfassen.
Als Entwicklung hätte ich gedacht:
Das LIch als Kind ist noch nicht naiv, misstraut, hat Angst (berechtigt),
dann folgt eine Phase des hinausgehens, der "Selbstsicherheit", in der es für sich selbst sorgt, Erfahrungen macht und nun im Jetzt, neuerdings, (erfahrungsbedingt?) kehrt es wieder zurück, "versteckt" sich unter der Decke und hört in sich selbst hinein. Schließt Freundschaft, mit der eigenen Fremdheit und träumt davon, dass es (das Leben) "leicht" ist?
So steht es aber da nicht. :confused: Denn die ersten zwei Strophen und die "jetzt" Feststellungen scheinen alle von der Gegenwart zu sprechen. Sie passen aber für mich so nicht zusammen.

Als Kind war ich nicht so
naiv, da traute ich niemandem
über den Weg –


:daumen: Das ist genial wahr.

denn keiner kennt, niemals, mein Lied.

Singst du es?

liebe Grüße smile

edit: müsste es nicht eigentlich heißen: denn keiner kennt, jemals, mein Lied ??

Klara
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Beitragvon Klara » 19.10.2007, 17:26

Hallo,

danke für euer Lesen!

Nein, Gerda, es sind nicht zwei Texte.

Smile, verzeih: Es widerstrebt mir, etwas "zu erklären" oder selbst zu deuten oder bis ins Letzte auszuleuchten. Hoffentlich ist das okay? Wenn der Text nicht selbst spricht, spricht er nicht. Ich finde ihn sehr klar ,-) Kann aber gut sein, dass es sich zu bedeckt hält.

Lieber Gruß
Klara

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.10.2007, 18:12

Hallo Klara,

ja, ist okay. Kann ich gut verstehen.

(Müsste es nicht trotzdem "jemals" heißen, oder wolltest du sagen, dass jeder irgendwann das Lied kennt?)

liebe Grüße smile

Klara
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Beitragvon Klara » 19.10.2007, 18:39

(Müsste es nicht trotzdem "jemals" heißen, oder wolltest du sagen, dass jeder irgendwann das Lied kennt?)

Entschuldige, das ist mir weggeflutscht: Ich glaube, durch die Kommas geht es so, wie es da steht? Stünde das "niemals" nicht zwischen Kommas, hättest du Recht.
Irre ich?
K.

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.10.2007, 15:14

Liebe Klara,

auch wenn ich ihn nicht ganz verstehe, fasziniert mich Dein Text. Mir kommt es vor, als drücke er ein neues Selbstvertrauen aus, dass seine Begründung darin hat, etwas ganz Eigenes entdeckt zu haben, was einem niemand nehmen kann. Es ist wie ein Ruhen in sich selbst.

Ich mag den letzten Satz als "Fazit" so sehr. Und meine auch, durch die Kommata ist er so richtig.

Liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 20.10.2007, 18:57

Hallo Leonie,
Mir kommt es vor, als drücke er ein neues Selbstvertrauen aus, dass seine Begründung darin hat, etwas ganz Eigenes entdeckt zu haben, was einem niemand nehmen kann. Es ist wie ein Ruhen in sich selbst.

Selbst-Vertrauen - möglich.
In-sich-Ruhen? - schön wär's ,-) (aber wer weiß)

Dank dir fürs Lesen und Fasziniertsein vom Nichtganzverstehen. (Ich überlege, ob ich kürze um dies:)
Als Kind war die Angst groß
das Haus zu verlassen (aus nahe liegenden Gründen) –

um noch mehr zu verklausulieren. Noch mehr Statement zu machen.
Aber ich weiß noch nicht...
Ist dir übrigens schon mal aufgefallen, dass Lied und Leid fast dasselbe Wort ist? (Wie nennt man so etwas noch gleich? Anagramm?) Mir ist es eben erst aufgefallen - ich schwöre ,-) Offenbar schreibe ich blind-tastend, wie Braille negativ, nur als Anagramm... Ach, es gibt doch kaum etwas Erquicklicheres als Worte, Sätze, Verbindungen in alle Welt dadurch, gibt es etwas Erquicklicheres? Die bleiben verbunden! Keine Warteschleife, nur Vorhandensein, und man kann sich nehmen, was man braucht, so oft man will, es ist ein Schatz und Geschenk!

Lieber Gruß
Klara

Max

Beitragvon Max » 20.10.2007, 20:49

Liebe Klara,

ich mag - ganz spontan - die Kraft, die Deiner Zeilen.

Formulierungen wie

träume
von fliegenden Federn


oder
Jetzt lieb ich die Welt nicht nur trotzdem.


oder
Jetzt geh ich und bleib


finde ich sehr gelungen

Gerdas Eindruck, dass es sich um zwei Texte handelt, kann ich insofern nachvollziehen, dass der Inhalt der Zeilen


Ich halte mich neuerdings
lieber bedeckt


und

Zerstochene Kissen, ein Laken
legt sich über Augen und Mund


in mir Bilder weckt, die dem Rest des Gedichts entgegenzustehen scheinen ....

Liebe Grüße
max

Klara
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Beitragvon Klara » 20.10.2007, 22:15

Hi Max,

danke fürs Lesen. Freut mich, dass du's magst.

Gerdas Eindruck, dass es sich um zwei Texte handelt, kann ich insofern nachvollziehen, dass der Inhalt der Zeilen


Zitat:
Ich halte mich neuerdings
lieber bedeckt



und

Zitat:
Zerstochene Kissen, ein Laken
legt sich über Augen und Mund



in mir Bilder weckt, die dem Rest des Gedichts entgegenzustehen scheinen ....

Find ich nicht. "Ich" halte mich bedeckt (neuerdings: also: jetzt!), bin JETZT bekleidet, bin jetzt kein Kind mehr, nicht mehr ausgeliefert, weil niemand "mein" Lied kennt, niemand meine Geschichte weiß, meine Motive entschlüsselt, niemand auch seine dusslige Moral auf "mich" anwenden kann, weil er ja gar nicht weiß, welches meine Motive sind oder worin meine ganz persönliche Anständigkeit besteht, und weil dieses Sich-Kennen (auch: das grundsätzliche Alleinsein) der Preis ist, den in letzter Instanz jeder zahlen muss.
Das mit dem Laken: "Ich" muss nicht alles wissen und alles sagen. "Ich" bin keine Rechenschaft schuldig, muss nicht mal Gründe angeben. Und die fliegenden Federn... aus dem zerstochenen Kissen... wirbeln wie Schnee, befreit - oder sind es Schreibfedern?

Lieber Gruß
Klara

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 20.10.2007, 23:08

Guten Abend Klara,

ich glaube, ich weiß jetzt woran es liegt, warum ich ein Verständnisproblem mit diesem Text habe.

Du verwendest den Ausdruck "sich bedeckt halten" und das Wort "naiv" offenbar in einem anderen Sinn, als ich bislang kenne.

Wenn sich jemand bedeckt hält, gibt er/sie so gut wie nichts von sich preis, sagt nicht laut, was er/sie denkt, hält sich eben aus alles raus. Man bezieht keine Position. In diesem Sinne ist mir der Ausdruck "sich bedeckt" halten bekannt.

Als Kind warst "du" nicht naiv. Jetzt bist "du" naiv, und hast jetzt kein Mißtrauen mehr?
Ich meine, daß was Du in dem letzten Beitrag erklärt hast, klingt nicht nach naiv.
Jetzt bist "du" selbstbewußt.
Und hälst "dich" trotzdem jetzt bedeckt?

Ein zerstochenes Kissen erzeugt bei mir eine Assoziation mit Gewalt. Wieso ist das Kissen zerstochen, und wer hat es warum zerstochen?

Ich denke, deshalb verstehe ich Deinen Text nicht.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Klara
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Beitragvon Klara » 21.10.2007, 12:28

Hallo Sethe,

das ist schade.

"Naiv" kommt aus dem Französischen - "naif" - und bedeutet im ersten Sinn: "kindlich", "ursprünglich". Ich benutze das Wort sowohl in dieser, als auch in der übertragenen Bedeutung. Das hilft wahrscheinlich nichts, aber macht ja nix .-)

Grüße
Klara

Max

Beitragvon Max » 21.10.2007, 13:42

Hai Klara,

für mich steht bedeckt halten in erster Linie für den übertragenen Ausdruck, das Zurückhaltende, Vorsichtige, daher meine Interpretation.

Liebe Grüße
Max

Gast

Beitragvon Gast » 21.10.2007, 15:45

Liebe Klara , Sethe und lieber Max:

"Sich bedeckt halten" heißt:

Weniger sagen als man weiß
- laut dieser Nachschlagmöglickeit im Netz

http://www.redensarten-index.de/suche.php

Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und meinen:

Sich zu einer Sache nicht zu äußern.

Man erlangt Kenntnis, aber lässt sich nichts anmerken, was die andere Seite evtl. stärken oder schwächen könnte, damit sie sich in Sicherheit wiegen kann.

Ich glaube, dass dein Text hier schwächelt. Denn wo ist das Gegenüber vor dem du dich bedeckt hältst?
Meinst du das Leben, die Realität?
Intendierst du, dass Lyrich sich aus konkreten Dingen heraushält?
Irgendwie ist mir das zu schwammig.
Man kann sich nämlich nicht grundsätzlich bedeckt halten, als Lebenseinstellung ist das eher untauglich und führt über kurz oder lang dazu, dass man sich im Vagen verliert und letztlich verloren ist.
Das wäre aber nicht das, was du intendierst...

Du möchtest eher einen "Fortschritt" beschreiben, wenn ich es richtig lese.

Lyrich soll sich in gewisser Weise befreien von dem Zwang sich äußern zu müssen, sondern auf die innere Stimme hören.

Das transportiert dein Text für mich nicht wahrhftig genug - immer vorausgesetzt dass ich richtig verstanden habe, was du beabsichtigst auszusagen.

Abgesehen davon, dass ich nach wie vor glaube zwei Gedichte zu einem Thema zu lesen.
Für mich ist der erste Teil bis "Fremde" verzichtbar ...
Aber eindeutig ist die Trennung nicht möglich, weil in beiden Teilen ein wenig von "allem" (Der Gedichtidee) steckt. ... ich denke fast hier müsste die innere Konsistenz dessen, was du intendierst besser gestützt werden.

Liebe Grüße
Gerda


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