Verhüllter Schein

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Franktireur

Beitragvon Franktireur » 03.05.2006, 23:03

Verhüll nur weiter Deinen Schein
ich erblicke trotzdem*
die Schale in Deinen Händen
seltsam ist es schon zu sehen
daß immer die das Lichtlein suchen
die es bereits in sich tragen
daß immer die den Gral suchen
die ihn schon in Händen halten

Vielleicht ist es so
weil sie den Grund nicht sehen
sondern nur die Fülle gefrorenen Wassers
ein wenig trüb geworden
durch die Salzablagerung der Tränen
doch Tränen bedeuten Tauwetter
und tauendes Wasser gerät in Bewegung
zieht Kreise schlägt Wellen
und läßt mitunter einen kurzen Blick auf Grund zu

Und die Schale ist da
das war sie immer
für die die sie suchen
und das Licht von dem ich spreche
das leuchtet auch unter Wasser
das leuchtet auch in der Tiefe
selbst unterm Eis

Verhülle ruhig Dein Licht
ich schau es trotzdem
Verhülle weiter Deinen Schein
es nutzt Dir nichts
die Schattenwürfe
weisen mir den Weg



(c)2003 Franktireur
Prosagedicht an meine Liebste


*Ihr habt beide recht (2x sehen ist unglücklich). Ich habe Gerdas Vorschlag gern angenommen.
Zuletzt geändert von Franktireur am 04.05.2006, 10:23, insgesamt 1-mal geändert.

Mark_Leo

Beitragvon Mark_Leo » 04.05.2006, 09:27

Hallo,

gefällt mir sehr gut, das Gedicht. Nur das doppelte "sehen" in der ersten Zeil, egal ob das nun irgendwie gewollt ist oder nuicht, stört noch etwas meinene lesefluss.

Bis dann
mark

Gast

Beitragvon Gast » 04.05.2006, 10:19

Hallo Frank,
ja sehr schön das von dir zu lesen, sehr harmonisch und ausgewogen. Die Klitzekleinigkeit hat ja Mark schon bemängelt.
Ich würde für das erste sehe erblicke einsetzen.
(Schaue hast du bereits im weiteren Verlauf)
Das also ist ein Prosagedicht...
Hm, auch "Erzählgedicht" genannt?
(Anderorsts hier im Blauen Salon wírd darüber diskutiert)
Ich würde es als Lyr.Kurzprosa bezeichnen. Unter diesem Begriff habe ich derartige Texte kennen gelernt.

Liebe Grüße
Gerda

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 04.05.2006, 10:30

Hallo mark_leo, danke für die Anmerkungen und gleichzeitig ein Herzliches Willkommen.
Hallo Gerda, ich übernehme gern Deinen Vorschlag.


Ich nenne diese Art Gedichte immer Prosalyrik. Lyrische Prosa ist vielleicht der korrektere Ausdruck - doch bitte nicht "Erzählgedicht".

Ich habe gelesen, was dazu geschreiben wurde. Ich persönlich kann mit dem Begriff "Erzählgedicht" nix anfangen. Nach der Definition von diesem Piontek träfe das auf vieles und zugleich kaum etwas zu...

Und was ich bisher als Erzählgedicht deklariert fand, würde ich als Kurzprosa bezeichnen. Aber in Wirklichkeit möchte ich das gar nicht diskutieren, weil es eine reine "Meinungsdiskussion" wäre...

Gast

Beitragvon Gast » 04.05.2006, 10:35

Trotzdem, danke :smile:

carl
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Beitragvon carl » 04.05.2006, 10:38

Hallo Frank,

ich empfinde es als sehr tiefsinnig reflektierendes Gedicht (mit Betonug auf "Gedicht", weil die Begründung der Gedanken metalogisch bzw. metaphorisch ist und etwas Unnennbares umschreiben wollen).
Es verdient meiner Meinung nach aber durchaus eine Straffung!
Jetzt nur als Inspiration oder Anlass zur Vergewisserung (dass es doch so bleiben soll):

Verhüll nur weiter Deinen Schein
ich sehe doch
die Schale in Deinen Händen
seltsam ist es zu sehen ("schon" relativiert)
daß immer die das Licht suchen ("lein" verniedlicht)
die es in sich tragen
daß immer die den Gral suchen
die ihn schon in Händen halten

Vielleicht weil sie (nicht "räsonieren")
den Grund nicht sehen
sondern nur gefrorenes Wasser
ein wenig trüb geworden
durch die Salzablagerung der Tränen (toll!)
doch Tränen bedeuten Tauwetter (bedeuten oder sind?)
und tauendes Wasser gerät in Bewegung
zieht Kreise schlägt Wellen
öffnet einen kurzen Blick zum Grund (schon wieder relativiert!)

Und die Schale ist da
das ist sie immer
für die die sie suchen
und dieses Licht (Du sprichst die ganze Zeit)
das leuchtet auch unter Wasser
das leuchtet auch in der Tiefe
unterm Eis

Verhülle ruhig Dein Licht
ich schau es trotzdem
Verhülle weiter Deinen Schein
[es nutzt Dir nichts] (sie macht das nicht Dir zum Trotz, vgl. Strophe 1)
die Schattenwürfe
weisen mir den Weg (toll!!!)

Liebe Grüße, Carl

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leonie
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Beitragvon leonie » 04.05.2006, 16:06

Hallo Frank,

ich finde, das ist ein ganz toller Text. Für mich durchaus ein Gedicht, so, wie Du es gesetzt hast und aufgrund der enthaltenen Metaphorik. Aber ich traue mich kaum noch, mich zur Formfrage zu äußern (werde auch das Wort „Erzählgedicht“ erst mal in meine Wortschatz-Mottenkiste packen).
Die Tränen und das Tauwetter samt Folgen haben mich besonders fasziniert! Und die Schattenwürfe, die den Weg weisen.
Ich hätte wie immer auch hier noch einige Ideen, wo man kürzen könnte, um manche Doppelungen rauszunehmen. Aber ich bin mir unsicher, ob das zuviel an Eingriff wäre. Ich schreibe mal, was ich meine, nur als Vorschlag:


Verhüll nur weiter Deinen Schein
ich erblicke trotzdem*
die Schale in Deinen Händen
seltsam (ist es schon zu sehen)
daß immer die das Licht(lein) suchen
die es bereits in sich tragen
und (da?) immer die den Gral (suchen )
die ihn schon in Händen halten

Vielleicht ist es so
weil sie den Grund nicht sehen
sondern nur die Fülle gefrorenen Wassers
ein wenig trüb geworden
durch die Salzablagerung der Tränen
doch Tränen bedeuten Tauwetter
und tauendes Wasser gerät in Bewegung
zieht Kreise schlägt Wellen
und läßt (mitunter) einen kurzen Blick auf Grund zu

Und die Schale ist da
das war sie immer
für die die sie suchen
und das Licht (von dem ich spreche
das) leuchtet auch unter Wasser
und (das leuchtet auch) in der Tiefe
selbst unterm Eis

Verhülle ruhig Dein Licht
ich schau es trotzdem
Verhülle weiter Deinen Schein
es nutzt Dir nichts
die Schattenwürfe
weisen mir den Weg


Das Ganze hat mich an einen Text von Nelson Mandela mit einer ähnlichen Thematik erinnert, der jedoch allgemeiner ist, keine Liebeslyrik. Wenn er Dich interessiert, kann ich ihn mal raussuchen.

Viele Grüße

leonie

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 04.05.2006, 19:50

Hallo carl, hallo leonie :smile:

Danke für die ausführliche Auseinandersetzung und Kommentierung des Gedichts. Ich werde mir in Ruhe Eure Vorschläge durch den Kopf gehen lassen und weiß auch schon dank Euch, wo ich noch Änderungen vornehmen werde.

Aber da ich mir immer etwas Zeit nehmen möchte, bitte ich um etwas Geduld.

carls Vorschläge sind ja auch inhaltlich wesentlich mehr verändernd als leonies Anregungen, worüber ich nachdenken muß ist also hauptsächlich: Ist es dann noch die Sprache, die ich bewußt gewählt habe? Darüber muß ich mit mir erst mal einig werden.

Danke und Gruß an Euch beide
Frank


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