Heimatlose (geändert)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 04.05.2006, 21:46

I

Sie wohnen
In morschen Träumen,
Einen Radiergummi
In der Hosentasche.

Wenn sie gehen,
Tropfen Tränen
Nach innen.

Sie folgen dem,
Der sie zu loben oder gar zu
Lieben verheißt.

Ein immerleeres
Versprechen, denn
Sie vertrauen
Sich nicht.

Und ziehen weiter,
Im Nacken
Sich selbst.


II

Wende dich um,
Einmal nur.
Das Gesicht hinter dir
Könnte dich
Freundlicher anschauen
Als das des Vaters.
Zärtlich gar.

Augen, an die du dich
Lehnen kannst
Wurzeln in dir.




Erstfassung

Sie reisen mit leichtem Gepäck
einem Radiergummi
in der Hosentasche.

Sie wohnen
in alten Träumen
Und wenn sie
die bröckelnden Mauern verlassen,

weinen sie nicht.
Außer nach innen.

Durch graue Gassen
eilen sie,
dem Ruf des Neuen zu folgen.
Und ihrer Unruhe,
denn im Nacken
sitzen sie sich selbst.

Wende dich um,
einmal nur.
Das Gesicht hinter dir
könnte dich
freundlicher anschauen
als das des Vaters.
Zärtlich sogar.
Zuletzt geändert von leonie am 05.05.2006, 22:38, insgesamt 3-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.05.2006, 23:20

Hallo Leonie,

du hast ein Thema, das mir am Herzen liegt, schön dargestellt. Am Ende folgt sogar eine mit einer gewissen Selbstsicherheit vorgetragene Moral.

(Ich bin sonst sehr gegen eine Moral, aber in diesem Falle will ich eine Ausnahme machen). So ganz verstehe ich das letzte Bild nicht, aber gerade das macht es so interessant...

Verbesserungsvorschläge kann ich dazu nicht machen! Lass es so, wie es ist.

Grüße

Paul Ost

Gast

Beitragvon Gast » 04.05.2006, 23:48

...die Kraft aus sich selbst schöpfen...
denke ich...
Zuletzt geändert von Gast am 05.05.2006, 07:49, insgesamt 1-mal geändert.

maria

Beitragvon maria » 05.05.2006, 06:43

Ja, liebe Leonie, da stimme ich Gerda zu! Gefällt mir sehr gut. Ich war ja bisher wirklich weder Fan noch große Kennerin von Lyrik - aber hier im Salon entdeckt man ja wahre Schätze! Die Thematik und deine Umsetzung - toll.

LG maria

Gast

Beitragvon Gast » 05.05.2006, 07:51

ich halte mich noch ein wenig zurück, mit Kommentieren, liebe leonie, aber ich komme auf deine Umsetzung zu sprechen, die mir, wie könnte es anders sein gefällt, aber noch einige Kürzungen vertragen kann. ;-)

Liebe Grüße
Gerda

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.05.2006, 11:57

Gleich nach dem Aufwachen meldete sich heute morgen dieser Text zu Wort, weil er meinte, mit ihm stimme etwas nicht.
Es ist das, was Du, Paul Ost mit „Moral“ angesprochen hast. Das sollte keine sein (selbstbewusst schon gar nicht). Es war eher eine Idee, woher bei mir dieses Gefühl kommt. Ich meine, es hat mit einem Misstrauen mir selbst gegenüber zu tun. Insofern geht Eure Deutung, Gerda und Maria, in die richtige Richtung.

Ich habe mir jetzt überlegt, das Gedicht in zwei Teile aufzuteilen, um meiner Intention etwas näher zu kommen.

Trotzdem, so richtig zufrieden bin ich noch nicht, es denkt noch in mir, ich bin gespannt auf Deine Vorschläge, Gerda!

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 05.05.2006, 13:58

Liebe leonie, zwischenzeitlich hast du deine Version überarbeitet und ich finde beide Teile ansprechend, ein jeder kann für sich allein bestehen, den 2. Teil möchte ich weder erklären noch Kommentieren, mir sagt er, sowie er ist sehr viel - persönliches - was ich hier nicht breit treten möchte.
Der erste Teil und hier, habe ich mir die Freiheit erlaubt, die Strophe eins und zwei noch mehr zu verdichten und ein wenig umzustellen, könnte insgesamt gestrafft werden. Ich wollte dies beispielhaft aufzeigen...

Sie leben
in morschen Träumen.
mit leichtem Gepäck,
einem Radiergummi
in der Hosentasche.

Weinen
nach Innen
wenn sie ausziehen


Liebe Grüße und ein schönes WE
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.05.2006, 20:39

Hallo Leonie !
Das mit dem Radiergummi gefällt mir. Isa das ein Symbol für eine höchst philosophische Einbettung deinserseits ?

Sie halten sich an nichts fest, die Vagabunden, alles was sie einengen könnte wird einfach ausradiert (?)-

Mir gefällt das Thema, der Ton und die Worte, alle Heimatlosen gefallen mir (glaube ich).

Frühlingsgrüße, louisa

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.05.2006, 21:12

Liebe leonie,

Paul hat schon geschrieben, das Thema ist toll...und dein Text auch :grin: . Besonders das Radiergummi gefällt mir und überhaupt der Aufbau, wobei ich es mir auch in einem (wie in deiner erste Version) vorstellen kann...
Ich hoffe meine tausenderlei kleinen Anmerkungen bestürzen dich nicht :grin: ...

Sie leben mit leichtem Gepäck (Komma oder anders setzen)
einem Radiergummi
in der Hosentasche.

Und wohnen/hausen(?)
in morschen Träumen.

Wenn sie ausziehen (ich weiß in die Ferne..aber das Wort klingt hier als nicht getrenntes trennbares Verb komisch, vielleicht: weiterziehen?)
weinen sie nicht.
Außer nach innen. (würde ich streichen und eine Zeile vorher vielleicht anders formulieren wie...hinterlassen keine Tränen..oder so etwas)

Durch graue Gassen (staubige?)
eilen sie, (gibt es noch ein treffenderes Wort als eilen?)
dem zu folgen,
der sie zu loben oder gar zu
lieben verheißt.(schönes Wort!)

Ein immerleeres Versprechen.
Sie vertrauen
sich nicht.

Und wandern weiter,
denn im Nacken
sitzen sie sich selbst. (immer sich selbst auf den Fersen(?)


II.

Wende dich um,*
einmal nur. (nur einmal (?)(Inversion))
Das Gesicht hinter dir
könnte dich
freundlicher anschauen
als das des Vaters. (deines Vaters, ich könnte mir die Anrede auch un euch vorstellen)
Zärtlich (so)gar.

Augen, an die du dich
lehnen kannst (Komma)Wurzeln
in dir.


* vielleicht könnte man hier mit: Bleib für sie stehen arbeiten..in etwa so..
Bleib du an
ihrer statt stehen (nicht die tollste Formulierung, aber eine sprachlich bessere Variante könnte das Bild so einen Kontrast zu ihrem unsteten Leben bilden und die Liebe von oben ausdrücken, ohne moralisch zu wirken)
...Wende dich um,
einmal nur.


Liebe, gespannte Grüße,
Lisa

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.05.2006, 22:43

Hallo zusammen,

danke für die Kommentare, manches habe ich aufgenommen und eingearbeitet. Vor allem habe ich gekürzt.

Lisa, ich hatte mir gedacht, dass die Heimatlosen selbst stehen bleiben sollen, Du hast es anders aufgefasst...

Ich bin immer noch nicht so ganz zufrieden, weiß aber im Moment nicht, woran es liegt. Sacken lassen und drüber schlafen...

Liebe Grüße und schönes Wochenende!

leonie


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