Ostwestfalen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.05.2006, 22:07

Es war als hätte der
Herrgott mich mit der
Nase voran in den
Acker gestoßen und gerufen:
Hier, Mensch, riech!
Das ist die Heimat der
Heimat.

Grab' nur mit deiner
Hand eine Furche in
Den Boden. Diese
Scholle ist fruchtbar.
Die anderen haben
Sich schon längst
Ein Feld abgesteckt,
Ein Weib gesucht
Und gebaut.

Während du umhergeweht
Wurdest wie ein Saatkorn
Auf felsigem Grund
Haben sie Raps gesät
Und Mais geerntet.

Ihre Scheunen sind
Prall gefüllt, ihre
Weiber sind trächtig.
Aus ihren Samen
Entsprossen Töchter,
Schön wie Weizenfelder,
Und Söhne, stattlich
wie Teutoburger Eichen.

Deine Worte verhallen
Hier auf dem Land.
Der Wind trägt sie
Fort, sie fallen niemandem
Ins Gehör.

Hör' auf dich zu suhlen!
Kralle dich in den
Grund. Lass ihn dir
Nicht mehr nehmen.

Und wenn du frierst,
Zünd' dir ein Feuer an
Aus deinen Büchern.
Fang an mit Voltaire.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 10.06.2006, 17:01, insgesamt 1-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 06.05.2006, 22:28

Räusper.

Wenn es die "eigenen" Werke gewesen wären. Nun gut. Das wäre amüsant. Aber ich glaube ein Got, der zur Bücherverbrennung aufruft.

Keine gute Idee.

Ansonsten ist diese derbe Bauernsprache ganz abwechslungsreich. Ich war noch nie in Ostwestfalen, aber so richtig wild bin ich nach diesem Text auch nicht darauf.

Dieses Gedicht erinnert mich ein bisschen an die Diskussion mit "Stigma".

Eine gewisse Dynamik muss man den Zeilen aber lassen.

LG, louisa

An einen Anderen: Vielleicht bis später (unterwegs)...

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.05.2006, 11:39

Hallo Louisa,

die meisten Bücher wurden im Namen von Fundamentalisten und ideologisch verwirrten Menschen angezündet. Gerade in Deutschland, auch in Ostwestfalen, aber natürlich nicht nur dort.

Vielleicht wäre es besser, man würde sich an den religionskritischen Gedanken von Voltaire orientieren.

Deine Diskussion mit Stigma kenne ich leider nicht, also kann ich darauf auch nichts sagen.

Grüße

Paul Ost

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.05.2006, 13:06

Gut. Aber Gott ist doch nicht gleich Religion. Ich finde es einfach sehr daneben gegriffen, wenn du von einem Gott schreibst, der Dich dazu auffordert Bücher zu verbrennen.

-Zudem Du den historischen Hintergrund weißt.
Nein, das finde ich nicht gut.

Dir fällt bestimmt etwas Besseres ein.

LG, louisa

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 07.05.2006, 16:17

Hmmm, wer weiß, was Gott denkt??? Ich nicht, und daher stören die Zeilen mich nicht.

Schönen Sonntag

Jürgen

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leonie
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Beitragvon leonie » 07.05.2006, 16:17

Ich lese dieses Gedicht als eine Art Rebellion gegen eine Frömmigkeit, die keine Kritik verträgt. Und gegen eine ebenso seltsame Art der Heimatverbundenheit samt einer Erwartungshaltung an die dort Geborenen, die scheinbar damit zusammenhängt. Ich meine mich zu erinnern, dass diese Frömmigkeit in Ostwestfalen als Resultat einer pietistisch geprägten Erweckungsbewegung präsent ist und möglicherweise seltsame Ausprägungen angenommen hat (Aber da kann ich mich täuschen). Dort wird dann scheinbar ein Gott verkündet, der nicht kritikfähig ist und der durchaus in der Lage wäre, zu Bücherverbrennungen aufzufordern. Insofern finde ich die Provokation, die in diesem Text liegt, berechtigt.
Bleibt die Frage, ob Gott, so es ihn gibt, dieser Gott ist. Ich persönlich glaube das nicht. Ebenso wenig wie ich glaube, dass Gott Selbstmordattentäter will oder andere militante Formen von Religiosität.
Da wird er für menschliche Interessen mißbraucht...

„sie fallen niemandem ins Gehör“ fällt für mich aus dem bäuerlich-biblischen Sprachduktus, ist im Grunde ja im oberen Teil der Strophe schon gesagt.

Viele Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.05.2006, 17:09

Hallo zusammen,

es scheint mir in vielen Religionen eine gewisse Kunst- und Bilderfeindlichkeit (einschließlich derjenigen, mit der ich groß geworden bin) zu geben. Bei Bücherverbrennungen denken wir natürlich schnell - und mit Recht - an das Dritte Reich.

Aber schon vorher mussten viele Bibliotheken brennen. Ich empfehle Matthew Battles Buch "Die Welt der Bücher" zu diesem Thema.

Außerdem verweise ich noch einmal auf Voltaire in der letzten Zeile. Die katholische Kirche hat es ihm ja nicht gerade leicht gemacht, in seiner Zeit. Du hast natürlich Recht, Louisa, dass es mit einem solchen Gott keiner halten sollte. Er geht ja auch nicht gerde sanft um mit dem "lyrischen Ich".

Für mich geht es hier vor allem um die Verarbeitung der kulturellen Differenzen zwischen Stadt und Land. Hinzu kommt eine neue (fast weltweite) Entwicklung, bei der fundamentalistische und konservative Strömungen in den verschiedensten Ländern an Macht gewinnen. Denk nur einmal daran, dass in manchen amerikanischen Staaten Darwins Evolutionslehre aus der Schule verbannt wurde.

Grüße

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 08.05.2006, 13:37

Hallo,

ist ja eine spannende Diskussion hier. Als geborener Ostwestfale (oha mein Outing) fand ich die Zeilen spannend - auch wenn OWL nicht nur so ist, sio hat es auch diesen Aspekt. Ob nun ein Gott zur Bücherverbrennung aufruft, kann ich nicht sagen, so eng kommuniziert er nicht mir mir, aber ich würde auf den Konjunktiv der ersten Zeile verweisen "Es war als hätte der Herrgott", da ist auch jede Menge Irrtum vorbehalten, auch über die Frage, ob der Herrgott Volztaire leiden kann ...

Liebe Grüße von einem Ex-Ostwestfalen ;-) (inzwischen bin ich vom Berliner über den Rheinländer bis hin zum Holländer alles gewesen)
Max

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 11.05.2006, 23:00

Hallo zusammen,

ich finde es sehr mutig von dir, Max, dass du dich als Ostwestfale geoutet hast. Ich selbst bin ja schon vom Namen her eher immer eher dem Osten verwandt. Da du die erste Zeile ansprichst, sei vielleicht daran erinnert, dass es sich um eine Erinnerung an Eichendorff handelt: Es war als hätt' der Himmel die Erde still geküsst, usw.

Interessant an den Ostwestfalen ist ihre enorme Heimatverbundenheit. Diejenigen, die ihr Herkunftsörtchen nicht verlassen, sind so erdverwachsen wie man sich das kaum vorstellen kann, wenn man, wie ich, nur Großstädte kennt.

Grüße

Paul Ost


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