Am Abgrund

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 20.05.2006, 23:39

Schwindelnd
am Abgrund
der dunkel mich
an sich zieht

Dein Herz taktet
die Angst

Ich schwebe
über den Augenblick
zeichne mich
in deine Hand


Erstfassung

Mich schwindelt
am Abgrund
Du sagst
meine Seele
nur
meine Seele
Ich male
meine Angst
in deine Hand
Zuletzt geändert von leonie am 22.05.2006, 18:05, insgesamt 1-mal geändert.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 21.05.2006, 13:49

hallo Ieonie,

bei solch kurzen Texten fällt es mir immer ein bisschen schwer, einen gescheiten Kommentarzum Inhalt abzugeben.

Was mir jedoch formal auffällt, ist dass du den Akkusativ nach 'schwindelt' verwendest. Das ist zwar nicht unbedingt falsch (wenn auch ungebräuchlich), aber irgendwie bleibe ich da stecken. Normal wäre die Form im Dativ 'mir ist schwindlig, es schwindelt mir'.

Gruß, Tom.

Gast

Beitragvon Gast » 21.05.2006, 15:31

Hallo leonie, ist schon merkwürdig, aber in 2003 habe ich ein Kurzgedicht geschrieben, das endet mit dem Vers: mir schwindelt ;-)
Jetzt, will ich es aber mal ganz genau wissen, was nun geht...
und siehe da, der Duden sagt beides, ist möglich, seltener "mich".

Zu deinem Gedicht,

Mich schwindelt
am Abgrund
Du sagst
meine Seele
nur
meine Seele
Ich male
meine Angst
in deine Hand


Rein gefühlsmäßig denke ich, "mich" schwindelt ist umfassender als "mir".
Wenn ich also richtig vermute, dass es um existenzielle Angst geht, der Abgrund Metapher für eine Lebensituation ist, dann finde ich, dass das mich besser passt, aber dieses "meine Seele nur meine Seele" bleibt mir zu wenig konkret...
So wie es da steht fehlt mir etwas...

Liebe Grüße
Gerda

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leonie
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Beitragvon leonie » 22.05.2006, 08:55

Lieber Tom, liebe Gerda,

danke erst mal für die Rückmeldungen. Ich habe lange überlegt, ob ich „mich schwindelt“ schreibe. Ich finde, das ist etwas anderes als „mir ist schwindelig“. Auch wegen der Symmetrie des Textes möchte ich es beibehalten.
Gerda, ich hatte an seelische Abgründe gedacht. Fehlt mit dieser Erklärung immer noch etwas?

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 22.05.2006, 09:58

Nein, liebe leonie, für mich nicht, ich hatte es, wie du meiner Stellungnahme entnehmen kannst dahingehend gedeutet.

Eine guten Morgen
Gerda :smile:

Herby

Beitragvon Herby » 22.05.2006, 10:06

Hallo Leonie und Gerda,

was das "mich" betrifft, stimme ich Gerda zu. Ich muss ihr allerdings in dem anderen Punkt widersprechen: nach meinem Empfinden würde dein Gedicht verlieren, wenn du bei "meine Seele - nur - meine Seele" konkreter würdest.

Dein Text gefällt mir in seiner tiefen Bildhaftigkeit sehr gut!

Liebe Grüße
Herby

carl
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Beitragvon carl » 22.05.2006, 12:32

Liebe Leonie,

mir gefällt Dein Gedicht! Besonders der Schluss...
Aber gerade, weil die Angst durch eine konkrete Handlung ausgedrückt wird, hätte ich auch das Gefühl, der Abgrund sollte nicht allgemein bleiben.
Wenn Du mal probehalber "die dunkle Nacht" sagst (ist schon seit 400 Jahren vergeben: Johannes vom Kreuz) statt "meine Seele", wird der Unterschied deutlich.
"mich schwindelt" find ich ok.

LG, carl

P.S.: dass es um innere Abgründe geht, muss man meiner Meinung nach nicht extra erwähnen.

Gast

Beitragvon Gast » 22.05.2006, 13:51

Oh je, da habe ich Verwirrung angerichtet, liebe leonie,

1. Carl liegt richtig, "Abgrund", muss nicht erklärt werden.

2. Mir ist etwas durcheinander geraten, das tut mir leid.
Denn nicht die Seele sollte konkreter werden, sondern ich fände es besser, eine andere Metapher zu suchen, Carl hat mich mit seiner Stellungnahme noch mal mit der Nase drauf gestubbst.
Entschuldige,
liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon leonie » 22.05.2006, 18:06

Lieber carl, liebe Gerda,

danke für Eure Ideen. Mein Problem mit der Seele ist, dass dieser Teil das ganze doppeldeutig machen sollte. Es kann als Anrede gemeint sein (dann handelt es sich um die Abgründe des lyrIch) und es kann als Erklärung gemeint sein (dann wären es die Abgründe der lyrDu). Diese Möglichkeit wollte ich gerne drin haben. Aber ich weiß gar nicht, ob das überhaupt rüberkommt.

Ich habe jetzt eine neue Version ohne die Seele gemacht, bin mir aber nicht sicher, ob jetzt nicht was fehlt. Wie kommt es jetzt bei Euch an?

Liebe Grüße

leonie

Perry

Beitragvon Perry » 22.05.2006, 19:30

Hallo Leonie,
ein Text, der wie ein Hilferuf klingt. Da stellt sich mir die Frage, wer hier wen um Hilfe bittet?
Da der Mittelteil Seelenängste beschreibt, würde ich auf ein religiöses Thema schließen. Auch die Formulierung „Ich male meine Angst in deine Hand“ könnte dazu passen. Sollte es so gedacht sein, wäre vielleicht ein weiterer Anhaltspunkt hilfreich:
Vorschlag:
Mich schwindelt /am Höllengrund
LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 23.05.2006, 09:48

Liebe Leonie,

ich finde, dass der Text durch die zweiten Fassung sehr gewonnen hat. Die Aussage ist sehr viel klarer und

Dein Herz taktet
die Angst

ist sprachlich großartig.

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 23.05.2006, 12:02

Lieber Manfred,

so dramatisch hatte ich das gar nicht gemeint. Mir ging es um den Schrecken, den man manchmal empfindet, wenn man in solch einen seelischen Abgrund schaut. Und das taktende Herz war eher beruhigend gemeint. Und der Schluss vertrauensvoll. Aber natürlich darf der leser anderes assoziieren!!

Lieber Max,

danke fürs Lob!

leonie


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