wild und ungestüm

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Hakuin

Beitragvon Hakuin » 23.05.2008, 18:44

kennst du sie?

beim öffnen
steigen sie auf

wild
und
ungestüm

bis nichts mehr
davon
an die oberfläche

drängt

© hakuin08

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.05.2008, 19:21

Hm. Beim ersten Lesen dachte ich an Kohlensäure, wenn man die Flasche vorher geschüttelt hat...

Mal sehen, was andere meinen...

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2008, 19:26

Interessant, Hakuin,
hier kommen mir allerlei Assoziationen. Ich denke, man kann es im weiteren Sinne in Zusammenhang bringen mit deinem Gedicht "selbstbefruchtet" und "Thalamus".
An Kohlensäure denke ich dabei nicht.
Saludos
Mucki

Herby

Beitragvon Herby » 23.05.2008, 21:01

Wahrlich rätselhaft...

Meine spontane Assoziation war genau die, die leonie auch hatte. Welchen Sinn würde aber dann der erste Vers machen? Und welcher der Text??
Als Nächtes dachte ich an Worte, die an die Oberfläche, ins Bewusstsein, drängen. Doch dagegen spricht für mich das mechanisch klingende Verb "öffnen".

Aber wie auch immer, Hakuin, ich grübele noch darüber, ob sich nicht die Wiederholung des Titels im Text vermeiden ließe.

Lieben Gruß
Herby

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 23.05.2008, 21:04

Mit der Kohlensäure gibt es schon eine Ähnlichkeit mit verborgenden und nicht herausgelassen Gefühlen wie z.B. Frust und Agressionen und sonstigen Leidenschaften.
Schüttelt man eine Flüssigkeit mit Kohlensäure und öffnet die Flasche oder ähnliches gibt es eine ziemliche Explosion bis keine Kohlensäure mehr vorhanden ist.
So wie bei den nicht gezeigten und nicht herausgelassenden Gefühlen. Es genügt oftmals ein kleiner Anstoß und schon kommen diese an die Oberfläche - also sie werden geöffnet- , wild und ungestüm wie z.B. in einem Wutanfall und dies geht so lange, bis alle aufgestauten Gefühle an die Oberfläche gekommen sind. Dann ist (erstmal) Ruhe, nichts kann mehr an die Oberfläche drängen, alles ist draußen. Bis es sich vielleicht wieder aufstaut und so weiter.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.05.2008, 21:25

ich meine, es handelt sich um Botschaften aus dem Unterbewusstsein,
die aufsteigen, wenn man sie mit einem Wort, einem Bild, was auch immer, öffnet.
Das erlebe ich bei Atemsitzungen mit den Klienten. Dann geschieht Katharsis, der Betreffende gerät in einen Strudel von Gefühlen, bis er ganz leer ist.

Ein schönes Erlebnis und hier gut eingefangen, perfekt eigentlich. Auch wenn deine Intention eine andere ist eventuell, Hakuin, macht nichts, es passt trotzdem genau in meine Interpretation.

Als Titel würde ich aber die 1. Zeile wählen.

Lieben Gruß
ELsa
Zuletzt geändert von Elsa am 25.05.2008, 20:54, insgesamt 1-mal geändert.
Schreiben ist atmen

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.05.2008, 21:38

Hallo,

ich dachte zuerst an "Worte" - aber ich denke, was genau gemeint ist, hat weder hakuin der intention nach klar eingerenzt noch muss das rausgefunden werden - ich denke, der Text ist so angelegt, dass er viele Spielarten an Analogien zulässt. Ich finde, dass der Text hier einen Grad an Willkür hat, der den text aufwertet.

Mir gefällt allerdings das "wild und ungestüm" nicht - kann ich nicht (mehr) ernsthaft /berührt lesen. ich muss an Beschreibungen von Leuten denken, die Kinder oder ihr 'Mädchen' auf eine Art beschreiben, die für mich gerade ein Indikator für unterdrücktes und nur scheinbar das Gegenüber kennendes Gefühl ist.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2008, 22:04

Ich lese es wie du Elsie, deshalb mein Bezug zum Thalamus-Gedicht von Hakuin.
Saludos
Mucki

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 23.05.2008, 22:30

Dann geschieht Kartharsis, der Betreffende gerät in einen Strudel von Gefühlen, bis er ganz leer ist.


Eine Zwischenfrage:
Er oder sie ist dann leer von allen Gefühlen? Oder nur von den negativen Gefühlen wie Wut, Hass etc.?
Ich kann mir nicht vorstellen, was daran schön sein soll, total leer von seinen Gefühlen zu sein. Ist man da nicht irgendwie tot, so ohne Gefühle? Leer eben.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2008, 23:08

Hallo Sethe,

die Katharsis ist eine Art von psychischer Reinigung. Du fühlst dich hinterher total befreit. Die Leere hinterher ist eine positive Leere im Sinne von Leichtigkeit, von einer Last befreit sein. Du hast das Gefühl zu schweben und bist innerlich vollkommen ruhig und ausgeglichen.
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.05.2008, 23:14

nebenbei zur Katharsis:

Es ist nicht geklärt, wie man den Begriff aus Aristoteles Poetik übersetzen muss: Ob es heißt: Reinigung der Affekte oder Reinigung von den Affekten sind ja zwei ganz verschiedene Beschreibungen, die auf ein grundsätzlich verschiedenes Verhältnis zu Emotionen&Co schließen lassen. Zumindest die zweite Variante empfinde ich als menschenfeindlich :-).

Liebe Grüße,
Lisa

(die findet, dass man auch mal eine Katharsis für den Geist erfinden könnte. Da kann es dann meinetwegen auch Reinigung von den Gedanken heißen .-) )
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.05.2008, 23:24

kennst du sie?

beim öffnen
sinken sie hinab

mild
und
heimlich

bis nichts mehr
davon
an die oberfläche

dringt

:daumen:

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2008, 23:27

Wenn wir hier schon bei Therapieformen sind:
bei der Katharsis werden Aggressionen durchlebt und abgebaut.
Bei der Konfrontationstherapie werden akute Ängste durchlebt und dadurch überwunden.

Hakuin könnte hier auch Ängste meinen:

kennst du sie? (die Ängste)

beim öffnen (wenn du ihnen gegenübertrittst)
steigen sie auf (brechen sie auf)

wild
und
ungestüm (in voller Stärke)

bis nichts mehr
davon
an die oberfläche

drängt
(einmal durchlebt, sind sie verschwunden, du bist frei von Angst)

Saludos
Mucki

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 23.05.2008, 23:51

So wie Du, Mucki, es beschreibst mit den Ängsten lese ich den Text auch. Oder bezogen auf Wut, Trauer, Aggressionen etc.

Nur mit der Leere bin ich nicht so recht mit glücklich. Auch wenn man sagt, man ist von einer Last befreit und es ist eine poistive Leere und man fühle ich wie befreit und fühlt sich, als ob man schwebt, sind dies auch Gefühle.
Ist man von einer Angst befreit ist man doch wohl glücklich.
Es gibt keine totale Leere ohne Gefühle. Zumindest nicht so lange, wie man mit Bewußtsein lebt. (Damit mein ich, bei Komapatienten weiß man es nicht so recht, als Beispiel).
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)


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