Was uns beruhigen kann

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 22.12.2009, 01:28

Sieh mich an und dann erst einmal dich!
In unsre Körper hat man eine Saat gelegt,
die an jeder Ecke Falten, Flecken
oder Narben sprießen lässt.

Was uns nicht beruhigen kann:

Dass wir immer ausschlafen können, diese Betten
zu Schrott schlafen, dass wir uns zuvor die Münder
wund und Wunder küssen oder so lange hungern
um uns satt zu fressen und wie du küsst!
Ich hab es nicht vergessen –

und neig mich doch mit dir immer tiefer
ins Vergessen rein, als gäbe es in diesem Graben
noch etwas zu entdecken, als könnten wir
hinter dieser Schwelle noch die eine oder andere
Zitrone pflücken oder uns schütteln von der Säure.

Nein, sieh mich an und dann erst einmal dich!
Wie wir in die Erde wachsen Hand in Hand
Gott sei krank, dass wir das wissen - der Verstand
bringt uns noch um und trotzdem such ich das,

Was uns beruhigen kann:

Die Kunstblumen, die niemals welken
und das Fundstück aus dem Graben,
was wir heute nicht bemerken,
und morgen einen schütteln kann
wie eine Zitrone.








Änderungen:

1. Ich wiederholte einmal wieder im Stillen die Regel des Dass mit DoppelS
2. Vorher hieß es am Ende:

und morgen jemand schütteln kann
als sei´s eine Zitrone

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.12.2009, 18:44

Aha! Sowas in dieser Art, ja?

http://www.youtube.com/watch?v=s3BRFYc9LOw

Und so liest sich das Gedicht :smile: ?

(Ich finde Weihnachten wird nach der Bescherung ganz schön langweilig... Muffel, muffel...)

Schönen Abend!
l

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.12.2009, 22:13

Hallo (Louisa, Flora & überhaupt),

ich wollte hier unbedingt nochmal vorbeikommen. Vor allem, weil mich Floras Beitrag nachdenklich gemacht hat, in Bezug auf meine Art, mit Louisas Texten umzugehen. Ich kann nämlich verstehen, dass es einen, wenn man grundsätzlich keinen Zugang zu einem Text findet, befremdet, wenn so einheitliche und kaum ins Detail gehende Zustimmung befremdet/überrascht. Und vor allem, wenn das öfzer vorkommt, und das kommt es ja bei Louisas Texten. Und ich bin eine von diesen Jubelamseln :-). Mir fällt auf, dass ich bei ihren Gedichten nur sehr selten so ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Text schreibe wie ich das bei anderen Texten tue und mir trotzdem in dem, was ich insgesamt und ganz konkret schätze, absolut sicher bin? - Und ich merke einfach: Ich tue das nicht, weil ich es einfach nicht kann. Ich müsste dafür irgendetwas in mir abtöten oder zumindest übergehen von dem Gefühl zu dem Text. Ich finde das immer doof, wenn jemand anders sowas schreibt und glaube nicht daran, dass es sich wirklich so verhält, aber hier geht es mir selbst so.

Flora, da du verallgemeinert hast, wollte ich dich fragen, ob du denn durch die vor einiger Zeit geleisteten Interpretationen von Last einen Zugang zu den jeweiligen Texten von Louisa gefunden hast oder ob da gar nichts passiert ist? (Ich schreibe das nicht als Trick, sondern wirklich aus der Hilflosigkeit heraus, dass ich selbst nicht im Stande bin, eine entsprechende Analyse durchzuführen). Ich hoffe, die Frage kommt nicht falsch rüber. Sie ist mit einer kritischen Augenbraue gegen mich selbst gestellt und ich will mir vornehmen, in Zukunft inhaltsvollere Rückmeldung zu geben, auch, weil ich denke, dass es gut ist für mein Verhältnis zu Louisas Texten.

Um nur einen ganz kleinen Anfang zu machen: Bei diesem Text hier drückt sich für mich die typische für mich unausschlagbare Klugheit/Menschlichkeit wieder in ganz vielen Eigenheiten aus, die in meinen Augen ganz fein und unaufgetischt präsentiert werden: Allem voran etwa die Formulierung "Sieh mich an und dann erst einmal dich!", hier wird so gedreht (eigentlich kommt ja in feindlich/vorurteilsenttäuschter Grundhaltung stets die Formulierung: Kehr erstmal vor deiner eigenen Tür...), dass es für mich eben ein mögliches Zusammen/Wir gibt, eine wirkliche Bemühung, Offenheit, die Liebende so dringend benötigen - das ist für mich nahezu erlösend zu lesen. Und das zieht sich für mich eben durch das ganze Gedicht, durch Louisas ganze Sprache und ist für mich so wertvoll. Das macht so ein gutes Gefühl, mit dem ich dann die verspielten Formulierungen (Gott sei krank etc.) lesen, nutzen kann, sowas wäre mir in vielen anderen Kontexten nicht möglich, das sehe auch ich. Aber eingebettet in die geschaffene Realität, auf formaler Ebene auch den ganz eigenen teils widersinnig und zugleich sirenenartigen Rhythmus/Klang, kann ich das so etwas nutzen, um, ja, durch den Text etwas zu lernen. Das ist es eigentlich. Dass ich das Gefühl habe in dem Lesen von Louisas Txten etwas zu lernen, eine Haltung einzunehmen, etwas eng gewordenes einen Spalt wieder aufzumachen oder dergleichen.

liebe Grüße,
Lisa

Sethe: Dass ich die Sprache als künstlich empfinde, kann ich nicht sagen, was ist denn etwa für dich künstlich? Oder ist es eher der Gesamteindruck?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.12.2009, 23:08

Hihi...wenn ihr hier alle so etwas Berühmelndes sagt will ich mich auch in die Reihe der Lobenden einfügen *lach*

Hallo Louisa!

Ich finde den Text ganz außergewöhnlich und hervorragend aus einem Sumpf voller Müll und Eingeweide ragt er hervor wie ein weißer, blitzender, polierter Totenschädel! Süffisant und doch weich im nussigen Abgang habe ich diese Zeilen empfunden! Besonders das erste Wort! Prätenzios - und doch zugleich auch emsig in seinen Konsonanten! Im Grunde zeigt das alles hier einen gewissen Reiz des substantiell Belanglosen. Chantré -


*räusper*

Lisa, dein persönlicher Umgang/Zugang zu meinem kleinen WERK *hüstel* ehrt mich sehr und erfreut mich an diesem finsteren Dezemberabend, an dem ich stundenlang Nudelsalat essen könnte, den ich mir nur vorstelle.

Mehr fällt mir auch zu dieser "Kritik" nicht ein :smile: !

ABER! Ich habe dieses Textlein gestern vorgelesen - und man bemerkte, dass es besser wäre "Wunder" klein zu schreiben (zweite Strophe, glaube ich) - und das es am Ende heißen müsste "einen/jemanden schütteln kann - wie eine Zitrone"... was wurde noch gesagt *grübel* ?

Ach, ja! Sehr lange wurde darüber debattiert, ob die "Kunstblumen" nicht ein abgegriffenes, eklig ausgelutschtes Bild seien - und das man etwas Anderes dafür finden müsste.
Ich sagte daraufhin, dass gerade die Tatsache, dass der Versuch das Lebendige zu Konservieren offensichtlich bei den Kunstblumen "scheitert" der Grundbaustein für mein Verständniss dieser Zeile war... Aber was sagen die anderen dazu?

Sollen die Kunstblumen trotzdem ersetzt werden? Falls ja, womit? Huch! S.O.S.!

Solche Fragen stellte ich mir bis heute morgen um 6... dann döste ich ein auf einem Sofa - und heute morgen kam ein Mensch, der die Heizung abliest in dieses Etablissement.... und ich sagte: "Nicht erschrecken!" und er erschreckte sich sehr! Was für eine Nacht :smile: !
Ich erinnere mich gerade...meine letzten Worte gestern waren: "Singt weiter, ihr weißen Schweine!" *lach*

Aber das gehört nicht hier her! Aber wohin gehört es sonst, wenn man für Tagebücher zu sexy geworden ist :smile: ?

Schönen Abend.

In Erwartung vieler Antworten auf wenige Fragen!
l


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