Mein Vater

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 11.02.2011, 10:05

Mein Vater

Die Art wie er Geräusche machte
Änderte die Räume
Es lag nicht an ihm
Nicht an den Worten die er benutzte
Oder an den Hosen die er trug
Nicht an der Art wie er meine Mutter in den Arm nahm
Nicht daran dass er das linke Bein nachzog
Oder daran dass er eine Brille trug
Es lag nicht an seiner Vorliebe für weinrote Pullover
Oder an seinem schütteren Haar
Nicht an dem fehlenden Eckzahn
Und seinen blauen Augen
Die Art wie er Geräusche machte
War mein Zuhause

Niko

Beitragvon Niko » 12.02.2011, 18:58

hi ferdi!
sie können mehr als das anregen FÜR MICH. aber alles, was sie auslösen, schafft nur das gedicht, was beim leser ankommt. und ankommen tut ein gedicht nicht alleine durch worte. und ich bezweifle, wertgeschätzter kollege, dass das nur FÜR MICH gilt!
zitat niko:
lyrik funktioniert meiner meinung nach nur mit herz und/ oder seele. andernfalls fehlt das wesentliche darin.

gut -FÜR MICH steht da nicht. aber meiner meinung nach hat eine ähnliche aussage. oder irre ich?

nikogruß

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 14.02.2011, 07:02

Guten Morgen!

Meine Güte, da ist ja wunderbar viel gesagt bzw. geschrieben worden zu diesem Gedicht. Das freut mich sehr und ich möchte allen Dankeschön sagen. Es fällt jetzt schwer den Überblick zu behalten und auf jede Meldung einzugehen. Zumal auch gleich schon wieder die reale Welt nach mir ruft. Aber wenigstens kurz neben meinem Dank an die Ermutigung, und vor allem die Rückmeldung, dass selbst die kritischen Stimmen es nicht "sentimental" gefunden haben, also ich habe es so verstanden, dass ihr alle es irgendwie an euch heranlassen konntet.

Leonie: bei Dir würde ich gerne nachfragen, wo genau du den Satzbau als umständlich empfindest. Ich hatte/habe eher das Gefühl hier sehr schlicht formuliert zu haben und empfinde das auch passend für eine nahezu kindliche Liebeserklärung.

Gabriella: Dir gefällt der Rahmen nicht. Das ist schade, mir ist er wichtig, weil die Geräusche die Erinnerung anstossen und auch abschliessen, ohne diese Wiederholung mit den Geräuschen wäre es ein anderes Gedicht.

Flora: Du (und auch Amanita und Gabriella) bemängelst das "es lag nicht an ihm". Ich finde, dass Niko meine Intention hier ganz wunderbar erklärt hat. Genau so war es gemeint.

Und Max: die Idee mit einer Gegenüberstellung von Gedichten finde ich sehr spannend. Wenn Lisa dazu bereit wäre, fände ich das sehr schön.

Euch allen (auch Dir Eve und Ferdi, und ich hoffe, dass ich nun niemanden vergessen habe) vielen herzlichen Dank für eure zahlreichen Rückmeldungen
Xanthi

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 14.02.2011, 07:56

Ich denke, es ist allen - auch den "Kritikern" (der betreffenden Textstelle) - klar, wie es/ sie gemeint ist.

Die "Liebeserklärung" kommt ja auch ohne Zweifel an!

Dennoch sind mir manche Brüche einfach zu heftig, d. h. die Brüche/ Widersprüche transportieren für mich nichts, sondern sind für mich einfach "da".
Aber das ist ja gerade so interessant hier: Was für den einen rund ist, bringt dem anderen Leser irgendwelche interpretatorische Problemchen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.02.2011, 12:00

Hallo Xanthippe,

klar akzeptiere ich, was du schreibst. Mit dem "Rahmen": ok, kann ich auch verstehen.
Aber nachvollziehen kann ich das, was Niko über "es lag nicht an ihm" schreibt und genau deiner Intention entspricht, leider überhaupt nicht.
Vielleicht bin ich da gefühlsmäßig "zu weit entfernt", was durchaus sein kann. Aber macht ja nix. Die anderen können es ja offensichtlich nachvollziehen.

Saludos
Gabriella

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 14.02.2011, 12:14

Hallo Gabriella,

ich kann wiederum auch verstehen, dass es schwierigkeiten bereitet, dass man es mißverstehen kann, dieses "es lag nicht an ihm", es ist nicht so, als würde ich diese bedenken einfach so vom tisch wischen, aber letztendlich muss der verfasser jedes mal eine entscheidung treffen und ohne das wirklich nachvollziehbar begründen zu können, ging es mir um genau das, eine art zuhause, die aus vielen kleinigkeiten besteht, mehr daraus als aus einer bestimmten person (obwohl natürlich diese geräusche die geräusche dieser personen waren... au weia. jetzt muss ich aufhören, weil ich mich beim begründen selbst verunsichere :rolleyes: . vielleicht denke ich ja doch noch einmal über alles nach.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.02.2011, 12:29

Hi Xanthi,

Xanthippe hat geschrieben:ging es mir um genau das, eine art zuhause, die aus vielen kleinigkeiten besteht, mehr daraus als aus einer bestimmten person (obwohl natürlich diese geräusche die geräusche dieser personen waren... au weia. jetzt muss ich aufhören, weil ich mich beim begründen selbst verunsichere :rolleyes: .

genau DAS ist der Knackpunkt hier für mich. Stünde da nicht "Mein Vater" über deinem Gedicht, hätte ich keine Probleme, dir zu folgen. Da jedoch eben dieser Titel und somit die Person da schwarz auf weiß steht, beziehe ich - als Leser - alles eben genau auf den Vater und deshalb ist das "es lag nicht an ihm" für mich so einfach nicht stimmig. Aber Xanthi, es ist nach wie vor für mich ein sehr schönes und warmherziges Gedicht und das bleibt es auch.

Saludos
Gabriella

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.02.2011, 14:41

Liebe Xanthi,

ich empfinde die sprachliche Umsetzung als problematisch, durch die vielen Wiederholungen, die ja noch dazu jeweils einzeln negiert werden.
Nicht an der/den, nicht daran, die Art, etc...
Auf mich wirkt das ungelenk, fast unbeholfen. Es wird mir fast ein wenig langweilig.
Ich kann darin auch kein Stilmittel erkennen, dass etwa Kindliches ausdrücken soll. Denn ein Kind würde ganz anders sprechen. Du zeichnest ein Bild, das keines sein soll. Du streichst schon durch bevor Du zeichnest. Noch dazu zeichnest Du nur sehr vage Bilder. Und das ganz oft.
Ich glaube, der Text würde stärker, wenn du konkrete Bilder zeichnen würdest (unnegiert) und sie am Schluss mit einem kräftigen Strich durchkreuzen würdest. Zum einen sprachlich, aber auch in seiner Aussage.

Liebe Grüße

leonie

Niko

Beitragvon Niko » 14.02.2011, 15:32

da sieht man mal, wie unterschiedlich wahrnehmungen sein können. für mich hat das ganze einen erzählend - melancholischen charakter, wenn ich es in mich hineinlese oder es laut lese....

liebe grüße: niko

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.02.2011, 15:42

liebe xanthi,

das ist ein ganz wunderbares gedicht!
es transportiert eine menge an erlebtem, das jedoch nicht die person ausmacht, sondern nur dazu dient, durch die negation erstrecht auf das für LI wichtige zu lenken. die art, wie er geräusche machte, der vater ... und dazu gehört so so vieles ... der leser kann auffüllen, es wird nichts vorgegeben, und das ist die stärke deines textes.

ungelenk ist da gar nichts, das ist bewusst eingesetztes stilmittel der wiederholung und steigerung , das in dieser intensität beinah atemlos auf mich wirkt, um sich in der klimax, dem "war mein zuhause" endlich löst. und da erst offenbart sich, auch wenn es noch so neutral formuliert scheint, die ganze trauer.

wunderbar gemacht!

scarlett

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Beitragvon leonie » 14.02.2011, 16:26

Was mich wirklich ärgert, sca, ist, dass ich immerhin sage, ich empfinde es so. Während Du so formulierst, als sei Deine Meinung Gesetz.

Auf mich wirkt gerade nichts bewusst eingesetzt, auf mich wirkt da auch nichts steigernd, im Gegenteil, ich denke, die Spannung nimmt eher ab und dadurch verliert das Potential des Textes an Kraft.

Es sind ein paar konkrete Bilder drin, die anderen bleiben seltsam unkonkret. Warum denn dann einmal so, einmal so? Auf mich entsteht dadurch der Eindruck, die Dichterin sei sich noch nicht wirklich darüber klar, wie sie es gestalten will.

Die Art wie er Hosen trug, dass er eine Brille trug, wie er die Mutter in den Arm nahm... Wie denn, was für eine Brille denn? Wenn es bewusst unkonkret bleibt, warum wird denn dann die Augenfarbe, die Pullifarbe erwähnt?
Soll ein Bild entstehen? Soll keins entstehen?
Wenn man negiert, soll es vielleicht bewirken, dass keins entsteht. Dem steht wiederum das manchmal Konkrete entgegen. So kann man als Leser an manchen Stellen vielleicht auffüllen, an anderen aber gerade nicht.

Wiederholungen bewirken im Normalfall, dass das Hirn nach einer Weile sagt: Kenne ich schon, erzähl mir was Neues.
Hier wiederholen sich nicht nur die Worte, sondern der gesamte Satzbau. Immer so ziemlich dasselbe. Ich kann darin kein Stilmittel erkennen.
In jedem Schulaufsatz würde es Abzug dafür geben. Aber in einem Gedicht soll es stilistisch gut sein? Das möchte ich erst einmal richtig gut begründet haben.

Ja, inhaltlich transportiert der Text Melancholie, Liebe, Wärme. Das gefällt mir.
Aber sprachlich und dichterisch-gestalterisch sind die Möglichkeiten meiner Meinung nach nicht ausgeschöpft, um das zu stützen und zu verstärken. Und das bedaure ich.

leonie

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.02.2011, 17:05

ok leonie, entschuldigung, dann formuliere ich um:

ungelenk ist da gar nichts, meiner meinung nach.

weißt du, ich nehme grad an einem lyrikworkshop teil und genau um diese thematik dreht es sich seit tagen.
nun ist das, was ich dort lerne, sicher auch nicht der wahrheit letzter schluss, sicher nicht, aber einleuchtend ist mir das schon und ich finde in xanthis gedicht genau das umgesetzt, was wir dort erarbeitet haben.

von daher - ein mal mehr: ich finde das gelungen!
zu mehr hab ich momentan keine zeit, ich meine, um schritt für schritt dein posting zu zerlegen und zu kommentieren, abgesehen davon, dass das nichts bringen würde. ich kann sicher nicht ändern, dass du das gedicht eben so empfindest, auf deine weise, wie du es eben tust. und das ist ja auch ok so, ich hab ja nichts dagegen.

liebe, unaufgeregte grüße zurück,
scarlett

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Beitragvon leonie » 14.02.2011, 19:56

Ist okay, liebe scarlett! Tut mir Leid, dass ich ungehalten war...
Ich kenne ja auch Beispiele, wo mir die Wiederholung als Stilmittel einleuchtet. Erich Fried (Es ist, was es ist) etwa, wo die Gegenargumente als eine Art "Liste" erscheinen oder die Bibel, Alles hat seine Zeit, wo durch die Wiederholung eine Ruhe in den Text gelangt..

Liebe Grüße

leonie

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 14.02.2011, 20:49

Hallo!

Also ich glaube auch, das hier über den Mittelteil durchaus nachgedacht werden kann.

Der Punkt ist doch: Egal wie lang die Liste ist - fünf, zehn, fünfzig Einträge -, vollständig kann sie von Natur aus einfach nicht sein. Und dann stellt sich ja schon die Frage, was leisten dann drei Listeneinträge mehr? Oder fünf? Auch, wenn man es im Lichte der Gefahr sieht, die Aufmerksamkeit des Lesers durch die Länge der doch blassen Aufzählung zu verlieren.

(Wie man in solche Aufzählungen genau am richtigen Punkt einen "Aufwecker" einbaut, kann man bei den alten Meistern ganz gut lernen - Petrarca?!)

Hm. Für mich wandelt das Gedicht zumindestens auf einem recht schmalen Grat :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)


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