holundernacht

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 18.06.2012, 08:20

wir pflücken die stille
vom saum der dunkelheit

wächst uns entgegen
elfenbeinlicht

verzweigt sich
duft aus tagwarmen dolden

steht *atemnackt
in unseren händen
die zeit




* originalversion: stockt

/c/ monika kafka, 06/12
Zuletzt geändert von scarlett am 02.07.2012, 19:04, insgesamt 4-mal geändert.

carl
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Beitragvon carl » 02.07.2012, 11:20

Hallo Scarlett,

mir gefällt das Gedicht auch wegen der wechselnden Zeilenbezüge:

wir pflücken die stille/ vom saum der dunkelheit.

vom saum der dunkelheit/wächst uns entgegen/ elfenbeinlicht.

elfenbeinlicht/ verzweigt sich(:)/ duft aus tagwarmen dolden.

Dabei ist "verzweigen" nicht ganz kongruent zum "Duft". Aber so hast du natürlich das Licht drin, das durch die Zweige schimmert.

duft aus tagwarmen dolden/ steht atemnackt/ in unseren händen/ die zeit.

Du siehst: ich habe atemnackt und steht umgedreht.

LG, C

scarlett

Beitragvon scarlett » 02.07.2012, 19:04

ja carl, genau das isses!

mensch, wie schön von dir zu lesen und dann gleich so ein super vorschlag zu diesem text.

danke und freut mich, dass er dir gefällt!

lg
sca

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 02.07.2012, 19:14

Liebe Monika, ich freue mich über dein Gedicht, und über den Kommentar von Carl- Er hat die kunstvolle Verflochtenheit deiner Sprache gut herausgestellt.

scarlett hat geschrieben:wir pflücken die stille
vom saum der dunkelheit

[font=Tahoma]


Wenn ich auch nicht genau weiß, warum wir Stille vom Saum der Dunkelheit pflücken, so ist es doch eine leise, ferne Erinnerung an etwas, was mit Liebe aber auch mit Kindheit zu tun hat.

scarlett hat geschrieben:wächst uns entgegen
elfenbeinlicht
[size=85][font=Tahoma]


idem
scarlett hat geschrieben:verzweigt sich
duft aus tagwarmen dolden
[font=Tahoma]


Hier sind es die tagwarmen Dolden, die mich verführen, ein schönes Bild.
scarlett hat geschrieben:atemnackt steht*
in unseren händen
die zeit

[size=85][font=Tahoma]]


natürlich ist dieses atemberaubende "atemnackt" besonders schön. Man kann sehr weit gehen, wenn man der Vielschichtigkeit der Worte nachgeht.

Es bleibt mir eine letzte kritische Bemerkung: es handelt sich um eine sehr verschlüsselte Sprache. Ich mag bei deinen Gedichten doch am meisten, den Ton, der "das Stück Fleisch" aus der Seele herausschneidet. Aber hier war die Intention eine ganz andere ... ich sehe ein. dass es sowohl Morgen- als auch Abendgedichte geben muss ...

liebe Grüße
Renée

Jelena

Beitragvon Jelena » 03.07.2012, 09:15

Liebe scarlett,

das Wort "atemnackt" finde ich auch super! Das Gegenteil wäre rein semantisch gesehen "atembekleidet"? Wahrscheinlich atmen wir mit dem bekleideten Atem, wenn wir ihn nicht als eigenständig und essentiellen Teil des Seins wahrnehmen. Du hast ihn in deinem Gedicht befreit und der Zeit gleichgestellt. Das ist glaube ich nicht neu. Aber dein gefundenes Wort ist toll!

Ansonsten empfinde ich die Bilder in deinem Gedicht eher als inzwischen abgenutzt. "Saum der Dunkelheit", "Stille pflücken", "tagwarme Dolden", irgendwie klingt mir das alles wie ein Re-Mix von französischem Symbolismus.
Formal ist dein Gedicht deshalb sicher trotzdem gelungen.
Aber die perfekte Zusammenstellung macht es mir trotzdem nicht wirklich interessant.

Liebe Grüße, Jelka.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.07.2012, 19:15

Liebe Monika,

die Umstellung "steht atemnackt" ist klasse. So eine Kleinigkeit, doch eine große Wirkung, weil es schöner fließt.
Aber dein Gedicht ist eh eine Perle für mich, deshalb habe ich es auch gewählt. ,-)

Liebe Grüße
Gabi

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.07.2012, 19:28

liebe renée,

ja es muss morgen und abendgedichte geben, wie recht du doch hast.

warum pflücken "wir" die stille, vom rand der dunkelheit?
um selbst still zu werden, sie uns "einzuverleiben"?
vielleicht.
das laute, hektische des tages wird abgelegt, es ist eine andere zeit angebrochen- zunächst in der natur, und die natur ist immer schon ein guter lehrmeister gewesen ...

ich freue mich, dass du den tagwarmen dolden was abgewinnen kannst, du, als sehr belesene frau wirst das sicher einordnen können ... es auch in beziehung setzen können.
es ist wirklich ein eigenartiges licht, dass in solchen nächten selbst von eigentlich opaken dingen abstrahlen kann ...

verschlüsselte sprache? ja und nein.
aber das hermetische ist grundsätzlich mein ziel.

hab dank für deine gedanken,
herzlich

mo

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.07.2012, 19:37

hallo jelena,

ehre, wem ehre gebührt und das ist diesem fall eindeutig rose ausländer.
das allein lässt du gelten aus meinem gedicht.
von ihr stammt das "atemnackt" und steht deshalb in kursiv.

nun denn, ich hab zwar die formulierungen, die du anführst, so noch nicht gelesen, aber ich gebe zu, auch nicht alles gelesen zu haben. schön für dich, dass du da offensichtlich auf eine weitaus umfangreichere lektüre verweisen kannst.
vor allem die "tagwarmen dolden" erscheinen mir nun überhaupt nicht "verbraucht", aber seis drum.
die französischen symbolisten hingegen ssgen mir durchaus was, und es mag sein, dass da das eine oder andere aus meinem jahrelangen studium hängengeblieben ist.

ich danke dir für die rückmeldung, die sehr aufschlussreich war für mich.

schönen abend und liebe grüße,
scarlett

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.07.2012, 19:42

danke, gabi, ja, eine kleinigkeit mit einer so großen wirkung!

hab dank!

lg
monika

Jelena

Beitragvon Jelena » 03.07.2012, 21:10

scarlett hat geschrieben:ehre, wem ehre gebührt und das ist diesem fall eindeutig rose ausländer.
das allein lässt du gelten aus meinem gedicht.
von ihr stammt das "atemnackt" und steht deshalb in kursiv.

So viel habe ich nicht gelesen, bin ja auch keine Germanistin. Um Gottes Willen, ich lasse doch auch mehr als ein Wort gelten! Wie könnte ich etwas nicht gelten lassen?

Obwohl es mich jetzt tatsächlich überrascht, dass das Wort "atemnackt" kopiert ist. DA habe ich jetzt tatsächlich Schwierigkeiten mit. Ich bin ein bisschen enttäuscht. :neutral:

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birke
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Beitragvon birke » 03.07.2012, 21:28

Nun ja, das "atemnackt" erscheint ja hier in einem völlig neuen Kontext, deshalb finde ich es stark hier, egal, ob es das schon mal gab, oder nicht. (Wie viele Worte gab es schon ... wie oft verwenden wir Worte, von denen wir meinen, sie seien selten oder gar neu, dabei hat sie doch schon jemand verwendet ...)

Noch etwas hätt ich, zu der Wortumstellung in der letzten Zeile muss ich sagen, dass mir die Ursprungsversion besser gefiel ... mir ist es jetzt zu gleichförmig - die zweite, dritte und vierte Strophe sind jetzt völlig gleich aufgebaut - vorher hat mir das Durchbrechen dieses Schemas besser gefallen, einfach weil dieser empfundene "Zeitstillstand" oder auch vorher "Stocken" (das mMn doch auch sehr gut passt hier), dadurch noch prägnanter war, aus meiner Sicht jedenfalls.

Aber im Grunde ist das eine Petitesse - so oder so ist und bleibt es für mich ein wunderbarer, stimmungsvoller Text.

Liebste Grüße
deine di
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

scarlett

Beitragvon scarlett » 04.07.2012, 20:08

nun ja, "kopiert" würde ich das ja nun nicht nennen, aber ok, ich hab verstanden, dass dir der text nun ma nicht zusagt, was ja auch nicht weiter schlimm ist.

lg
scarlett

scarlett

Beitragvon scarlett » 04.07.2012, 20:12

danke dir, di, und nein, ich empfinde das auch nicht als "plagiat", schließlich ist das wort kenntlich gemacht.

deine überlegungen zur letzten strophe haben was, ich werd da nochmal in mich gehen.
ich liebe petitessen :mrgreen: das weißt du ja ...

herzlich,
deine mo


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