Erfahrung IX

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sam

Beitragvon Sam » 02.11.2012, 13:35

Der Himmel

ist ein Honig

in dem Träume zappeln

wie sterbende Fliegen

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.11.2012, 13:18

Hallo Sam,

Bienen? Ich weiß nicht. Einmal glaube ich, dass Bienen im Honig nicht so versinken wie andere Insekten (kann mich aber irren, da kein Imker).
Nochmal ... ich seh weder die Bienen noch die Fliegen im Honig neben den Träumen zappeln. Für mich steht das nicht im Text. Hier Honighimmel und Träume (Gedanken), dort ein zappelndes sterbendes Insekt (reale Beobachtung). Das verbindende Element zwischen diesen beiden Ebenen ist für mich die Bewegung. Aber das scheine nur ich so zu sehen. :)

Außerdem ist es mir zu "harmlos", wenn du verstehst, was ich meine.
Nicht wirklich. :o)

Hinzu kommt Nicoles Lesart, die mir ausnehmend gut gefällt.
Im anderen Faden schreibst du: Wobei Engel derart ins Spiel zu bringen, sich mir schon zu nah am esoterischen Kitsch befindet. Ich fülle lieber einen unbewohnten Himmel mit klebrigem Süßstoff an
Aber die Assoziation von zappelig fliegenden Sterbenden gefällt dir? Für mich ist das auch kein "nettes", oder treffendes Bild. Aber gut, das steht ja auch nicht in deinem Text. Ich wundere mich halt nur.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Sam

Beitragvon Sam » 07.11.2012, 18:40

Hallo Flora,

zunächst möchte ich gerne einmal sagen, dass, obwohl wir doch einen sehr unterschiedlichen Zugang zu Texten haben und uns sehr selten einig sind (deinen Kommentar im Publicus zu Birkes "exil" konnte ich übrigens zu 100 Prozent unterschreiben, was mich ehrlich gefreut hat), ich deine sachliche und in die Tiefe gehende Betrachtung nicht nur der Texte, sondern auch der entsprechenden Kommentare sehr schätze und es eine echte Herausforderung ist, ihnen auf dem gleichen Niveau zu begegnen. Aber ich versuche es ;-)


Flora hat geschrieben:

Nochmal ... ich seh weder die Bienen noch die Fliegen im Honig neben den Träumen zappeln. Für mich steht das nicht im Text. Hier Honighimmel und Träume (Gedanken), dort ein zappelndes sterbendes Insekt (reale Beobachtung). Das verbindende Element zwischen diesen beiden Ebenen ist für mich die Bewegung. Aber das scheine nur ich so zu sehen. :)


Hier muss ich überlegen, ob ich dich wirklich verstehe. Es geht ja nicht darum, dass die fliegen/Bienen NEBEN den Träumem zappeln, sondern es wird ein Vergleich angestellt. Im Himmel die Träume und ein sterbendes Insekt in einer klebrigen Masse. Was genau also ist die von dir erwähnte Bewegung? ich sehe nur ein Nebeneinandergestelltsein.


Flora hat geschrieben:
Außerdem ist es mir zu "harmlos", wenn du verstehst, was ich meine.
Nicht wirklich. :o)


In dem Satz geht es letztendlich doch um eine Abwertung von in den Himmel projezierten Träumen (oder Hoffnungen) im Sinne einer Desillusionierung. Da erscheinen mir sterbende Fliegen passender, als Bienen, die in der allgemeinen wahrnehmung doch wesentlich höher stehen, als gemeine Fliegen.


Flora hat geschrieben: Im anderen Faden schreibst du: Wobei Engel derart ins Spiel zu bringen, sich mir schon zu nah am esoterischen Kitsch befindet. Ich fülle lieber einen unbewohnten Himmel mit klebrigem Süßstoff an
Aber die Assoziation von zappelig fliegenden Sterbenden gefällt dir? Für mich ist das auch kein "nettes", oder treffendes Bild. Aber gut, das steht ja auch nicht in deinem Text. Ich wundere mich halt nur.


Hier wundere ich mich wieder über unser so grundverschiedenes Verstehen ;-) . Hetti sprach von " Träumen, die von Engeln vertäut werden". Das ist natürlich ein völlig gegensätzlich Bild. Hier Träume, die im himmlischen Honig verrecken, dort Engel, die den Träumen ihren festen Platz im Himmel zuweisen.

Nicoles Bild der "fliegenden Sterbenden" hat nicht annähernd etwas so versöhnliches. Man kann es dahin lesen, als dass die Sterbenden in ihren Träumen (Hoffnungen) zum Himmel fliegen. Dort aber eben auch ihr Ende finden.

Im Übrigen glaube ich, dass Nicole ihr "nett" eher ironisch gemeint hat.

Gruß

Sam

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.11.2012, 20:25

Hallo Sam,

oh, wie sagte Henkki kürzlich ... ich fühle mich gebauchpinselt, tut auch mal gut :) Danke. Interessant und herausfordernd ist es auf jeden Fall, mit dir zu diskutieren ... ich bemühe mich auch. .-)

Hier muss ich überlegen, ob ich dich wirklich verstehe. Es geht ja nicht darum, dass die fliegen/Bienen NEBEN den Träumem zappeln, sondern es wird ein Vergleich angestellt. Im Himmel die Träume und ein sterbendes Insekt in einer klebrigen Masse. Was genau also ist die von dir erwähnte Bewegung? ich sehe nur ein Nebeneinandergestelltsein.
Dann müsste es für mich heißen:
Im Himmel zappeln Träume wie sterbende Fliegen in Honig.
oder, wenn die Träume zwingend sterben sollen:
Im Himmel zappeln sterbende Träume wie Fliegen in Honig.

Dann hätte ich allerdings auch Ferdis Zappelproblem und es würde für mich verlieren.

In deiner Version sehe ich einen Menschen, der ganz real eine sterbende Fliege beobachtet (auf dem Tisch, Boden, Fensterbank ganz egal ...) und der diese beobachtete Bewegung und was er damit verbindet, was sie an Gefühlen und Gedanken bei ihm auslöst, dann überträgt auf die Träume, was ihn dann schnurstracks zum Himmel führt und von dort zum klebrigen/süßen Honiggedanken .-) (allein diese Assoziationskette ist für mich schon spannend) und darin gibt es für mich viel mehr zu entdecken, als die rein negative Sichtweise, die du offenbar intendiert hattest. Zum Beispiel, ob auch der Gedanken darin steckt, dass diese Bewegung verhindert, dass man Träume in Ruhe ansehen kann, sie (er)fassen kann, oder dass man dieser Bewegung hilflos gegenübersteht, dass man sie/die Träume nicht kontrollieren kann, dass diese Bewegung auch Angst auslöst, Widerwillen, oder ev. eine morbide Faszination, aber auch, dass die Träume durch diese Bewegung vielleicht immer süßer werden, immer mehr Honig oder auch in einem negativen Sinn dann Klebrigkeit an ihnen haftet ... und die Frage, ob diese Klebrigkeit am Ende die Bewegung verhindern wird, oder ob die Träume darin in ihrem "Element" sind, wie lange Träume "zappeln" und was passiert, wie das empfunden wird, wenn sie "still" sind ...

Ich hoffe, jetzt wird es klarer? Aber wie gesagt, die anderen scheinen ja deiner Intention nach zu lesen, vielleicht stehe ich auch auf der Leitung. Außerdem mag ich es ja auch so, auch wenn ich es nicht deiner Intention nach lese.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 10.11.2012, 21:35

Lieber Sam,

das ist ein Beispiel für die Diskussionskultur des Salons.

Ohne das Feedback hier, hätte ich das Gedicht "durchgewinkt", wohlwollend, aber ohne lange Beschäftigung. So sehe ich seinen wer viel besser, aber vielleicht auch, dass man das "zappeln" ersetzen sollte, "kleben" wäre wohl meine erste Wahl ...
Bitte keinen Bienen ..

Liebe grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.11.2012, 08:32

Huhu Sam,

mein zweiter Kommentar wurde wohl von der Seite davor verschluckt?! .-)

liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

carl
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Beitragvon carl » 14.11.2012, 13:09

... also ich hatte die Zeilen spontan und ohne zu überlegen so verstanden:

"Honig" ist für mich immer auch die Speise der Götter (Nektar, Met), die sie jung und unsterblich erhält (Ambrosia), die als Opfergabe verwendet wurde und den Sterblichen nicht zuträglich ist.

"Himmel" ist, wie schon gesagt, nicht der, in dem die Astronauten herumfliegen, sondern ein Symbol für das Elysium, das Paradies, die Insel der Seligen, oder einfach nur das Glück.

Die Zeilen ergeben eine Parallele:
Der Himmel und der Honig, und die Träume und die Fliegen.

Durch die Süße des Honig angelockt verenden die Fliegen in ihm (deswegen auch keine "göttlichen" Bienen, die kommen damit klar :-)).
Durch die Träume vom Glück ...

LG, C

Max

Beitragvon Max » 14.11.2012, 21:53

Lieber Carl,

stimmt, so sollte man die Zeilen m.E. auch verstehen - die Diskussion um das "zappeln" finde ich dennoch spannend ..

Liebe Grüße
max

Sam

Beitragvon Sam » 19.11.2012, 18:01

Hallo Lisa,

entschuldige bitte, ich hatte deinen Kommentar irgendwie übersehen.

Ich bin immer noch unschlüssig, was das Zappeln angeht. An "schwimmen" denke ich auch immer wieder, aber das kann ja auch bewegungslos bzw. tot sein, was ich aber nicht will. Am Ende lande ich dann doch wieder beim Zappeln. Das Verb drückt eine fatale Hilflosigkeit aus, die mir in dem Zusammenhang des Gedichtes doch recht passend erscheint.


Hallo Flora,

deine Lesart ist wirklich auf den ersten Blick weit von dem entfernt, was ich mir beim Schreiben dachte. Aber ich finde sie sehr spannend und tiefgehend und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Übereinstimmung finde ich, sobald ich das oberflächliche Konstrukt meiner Intention hinter mir lasse.

Zum Beispiel, ob auch der Gedanken darin steckt, dass diese Bewegung verhindert, dass man Träume in Ruhe ansehen kann, sie (er)fassen kann, oder dass man dieser Bewegung hilflos gegenübersteht, dass man sie/die Träume nicht kontrollieren kann, dass diese Bewegung auch Angst auslöst, Widerwillen, oder ev. eine morbide Faszination, aber auch, dass die Träume durch diese Bewegung vielleicht immer süßer werden, immer mehr Honig oder auch in einem negativen Sinn dann Klebrigkeit an ihnen haftet ...


Ich habe diesen Gedanken zwar nicht bewusst "hineingesteckt", aber ja, er steckt, weil ich dir hier sehr gut folgen kann, auch darin.


Hallo Carl,

du hast den Ursprunsgedanken zu dem Gedicht sehr gut zusammengefasst. Wobei ich den Honig nicht wegen des Bezuges zu den Göttern (was aber hervorragend passt!!), sondern wegen seiner klebrigen Süße gewählt habe. Und wegen des Wortklanges: Der Himmel ist ein Honig.


Vielen Dank euch allen!

Gruß

Sam


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