troja

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Werner
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Beitragvon Werner » 09.05.2014, 21:04

über die gefalteten dächer
wirft der krieg girlanden
ayhan schläft seit tagen
ziehen schillerfalter ins gebirge
liegen tarnnetze über karawansereien
und in den ebenen flugabwehrraketen
ayhan geht im traum
nackt zwischen soldaten
schläft der halbmond
hören schmetterlinge
flüsternde stimmen in den bergen

drängen truppen
von allen seiten gegen die stadt
auch vom meer
täuschen weiße segel frieden vor
rudert ayhan ihnen entgegen
in simulationen
fällt soldaten das töten leicht
im häuserkampf richten sich die gefalteten dächer
noch einmal auf
später werden die dichter des landes
die schönheit der berge besingen
doch die schillerfalter kehren nicht zurück
Zuletzt geändert von Werner am 15.10.2016, 15:46, insgesamt 3-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 05.10.2016, 11:42

hallo werner,
für mich stimmt was nicht mit dem ende, dem letzten vers - das war schon beim ersten lesen vor langer zeit so, das 'komische gefühl' dazu bleibt unverändert, ohne dass ich recht fassen könnte, was genau mich stört. ist es plumpheit, ist es gespielt wirkende, demonstrative naivität - ich denke das naturbild wirkt hier stark instrumentalisiert auf mich, gezielt auf seine bekannte wirkung (naturbilder wirken auf solche art 'heil') hin eingesetzt, rein kontrastierend, illustrativ, ohne eigene aussagequalität. damit will ich nicht sagen, dass man sowas nicht 'dürfte' - es erzeugt in mir bloß ein gefühl des misstrauens dem text gegenüber - ich nehme ihn nicht für 'voll', 'kaufe' ihn nicht, lasse mich nicht davon berühren.

Klimperer hat geschrieben:Unter "Häuserkampf" verstehe ich Liebeskampf.
hallo klimperer, wie kommst du zu diesem verständnis? häuserkampf ist ein allgemein verbreiteter militärischer begriff (> google, wikipedia...)

Werner hat geschrieben:das inzwischen am häufigsten veröffentlichte gedicht von mir
veröffentlichen lässt es sich nur einmal, danach ist es ja bereits "veröffentlicht", oder?

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 05.10.2016, 12:14

Ich würde sogar sagen, alles was im Salon steht, ist veröffentlicht ...
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 05.10.2016, 13:05

Wie ich dazu komme?

Nun, ich habe nicht darüber überlegt, es entsteht spontan in mir, gefühlsmäßig, dieses Bild. Sehr wahrscheinlich liege ich total falsch.

Vielleicht als Folge dieses nackten Menschen, Mann oder Frau, unter nackten Soldaten.

Nach wie vor sehe ich da nichts Militärisches, sondern Erotisches.

Das flüstern mir die Schmetterlingen.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 05.10.2016, 14:10

Die Zeile mit "ayhan" ist für mich mehrdeutig zu lesen, denn "schläft der halbmond / flüstern schmetterlinge" braucht rein grammatikalisch einen Vorlauf (mir fällt jetzt die korrekte Bezeichnung nicht ein). Man könnte lesen: "zwischen soldaten schläft der halbmond, flüstern schmetterlinge", und das Nacktsein gehört zu Ayhan; man könnte auch lesen "nackt zwischen soldaten schläft der halbmond, flüstern schmetterlinge", dann gehört die Nacktheit zum Halbmond; man könnte sogar lesen "ayhan geht. im traum nackt zwischen soldaten schläft der halbmond, flüstern schmetterlinge" usw. Nur die Lesart "ayhan geht im traum nackt zwischen soldaten. schläft der halbmond, flüstern schmetterlinge" geht für mich nicht auf, jedenfalls nicht spontan.
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.10.2016, 17:32

Das meist verkaufteste.

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Werner
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Beitragvon Werner » 05.10.2016, 22:12

Danke für die vielen rückmeldungen! Habe mich sehr gefreut. Ja, der text zeigt gewisse probleme auf.

ich lese jetzt auch mal mit:

über die gefalteten dächer wirft der krieg girlanden.
ayhan schläft.
seit tagen ziehen schillerfalter ins gebirge, liegen tarnnetze über karawansereien und in den ebenen flugabwehrraketen.
ayhan geht im traum nackt zwischen soldaten.
in den bergen schläft der halbmond, hören schmetterlinge flüsternde stimmen.
von allen seiten drängen truppen gegen die stadt, auch vom meer.
weiße segel täuschen frieden vor.
ayhan rudert ihnen entgegen.
in simulationen fällt soldaten das töten leicht.
im häuserkampf richten sich die gefalteten dächer noch einmal auf.
später werden die dichter des landes die schönheit der berge besingen.
doch die schillerfalter kehren nicht zurück.

für den rhythmus und sprachfluss habe ich einige umstellungen vorgenommen und dadurch, auch durch das wegfallen jeglicher satzzeichen, entstehen an einigen stellen dann enjambements / zeilensprünge, die mehrfachbedeutungen eröffnen. der kampf um troja dauert noch an. ich schrieb das gedicht unter dem späteinfluss des afghanistan-krieges, heute könnte es der kampf um aleppo sein, bagdad geht auch, alle verlegt an eine küste, vor die küste trojas. der krieg verändert vieles, die schmetterlinge sind verschwunden. ob erotik mitschwingt? vielleicht, vielleicht auch nicht, jedenfalls keine liebe zum krieg. die doppelgeschlechtlichkeit des namens ayhan birgt für mich einen reiz, aber, der name war fast vor dem gedicht da, er / sie konnte nicht anders heißen. das nackt zwischen soldaten kann an eine vergewaltigung erinnern, aber auch an die bekannten fotos aus dem irakkrieg mit den erniedrigungen / folterungen arabischer kämpfer durch us-soldaten, es könnten aber plötzlich auch anklänge wie an tausendundeinenacht auftun? ich mutmaße selbst. ganz erklärbar muss ein (neben rationalem) auch sinnliches ding wie ein gedichtes nicht sein?!



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