Manifest des Dichters

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 05.06.2006, 17:47

Manifest des Dichters

Der feinste Stoff fängt sich in feinsten Netzen.
Sei klar: Sortier dich, statt dich bunt zu mischen.
Laß dir kein Regelwerk als Zwang auftischen
doch scheu dich nicht vor strengeren Gesetzen.

Klappts nicht? Man darf halt nicht im Trüben fischen.
Zu grober Stoff reißt dir das Netz in Fetzen.
An scharfen Kanten läßt sich's leicht verletzen.
Es heißt erst faule Worte aufzufrischen.

Wenn dir der glatte Zug auch einmal stockt,
wenn sich der Blick im Nebelgrau verliert
reicht oft ein Hauch, daß deine Trübnis flockt.

Bleib ruhig, laß den Staub und Dunst sich legen.
Halt dann dein Netz der klaren Luft entgegen
und warte – bis dein Verschen kondensiert.
Zuletzt geändert von ZaunköniG am 11.06.2006, 19:56, insgesamt 1-mal geändert.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 07.04.2016, 18:46

Hallo ihr drei,

auch wenn der Text von Perfektion noch ein gutes Stück entfernt ist: Dass er nach Jahren nochmal hervorgeholt und intensiv besprochen wird, kann ja nur heißen, dass er nicht völlig missraten ist. Schon damals gab es einige interessante Gedankengänge in der Diskussion, - und vielleicht sind die auch mehr Anlass als der Text selbst, ihn nochmal zu besprechen?
Perspektiven und Haltungen ändern sich und ich finde es immer wieder seltsam alte Texte nochmal zu besprechen.

Ich möchte an dieser Stelle die Grundidee hinter dem Text nochmal darlegen: und zwar hatte ich eine Reportage gesehen in der es unter anderem darum ging, das die Menschen in der Namib Wasser aus der Nachtluft gewinnen indem sie es an feinen Netzen kondensieren lassen. ich fand das eine schöne und treffende Metapher für das Dichten, denn auch die Inspiration kommt oft scheinbar aus dem Nichts.

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 Dieser Gefahr bist Du Dir bewusst gewesen - nicht umsonst warnst Du: "Lass dir kein Regelwerk als Zwang auftischen!"


Die Sonettform, bzw. Form an sich, es hätte auch etwas anderes werden können, ist in dieser Metapher keine handwerkliche Herausforderung, keine Schwierigkeit, oder gar Gefahr, sondern macht Dichtung erst möglich, weil die Inspiration gleichsam, wie in einem Netz kondensiert. Um der Einheit von Form und Inhalt gerecht zu werden musste es auch der Form genügen, klar, auch wenn es nicht zwingend ein Sonett hätte werden müssen. Aber in einem anderen Punkt sehe ich heute ein Problem.

Inspiration ist in diesem Bild etwas auf das man sich mit Geduld einlassen muss. man kann sich bereit machen, aber man kann sie nicht erzwingen. Dieses Bereitmachen spielt sich auf der Gefühlsebene ab, aber indem ich eine Metapher erkläre, wird es zur Gedankenlyrik. in diesem Punkt folgt der Text nicht seinem eigenen Anliegen. Aber ist Metalyrik nicht zwangsläufig Gedankenlyrik? Ein Dilemma.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck


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