Seite 3 von 4

Am Herbstrand

Verfasst: 18.09.2010, 11:50
von leonie
Schlendern durch Farben
unter den Füßen das Laub
raschelt von langen Tagen im Licht,
vom Wiegen in Wipfeln
und sanften Schauern.

Unter dem fernen Blick
des Augustmonds fielen Sterne
vom Himmel, die fingen wir ein:

Wappen gegen die Stürme
über erblassenden Feldern.
Und hielten sie doch nicht auf.

Ich lese dem Sommer noch
einen Wunsch von den Lippen,
lausche dem Laub ein Knistern ab,
streiche über das Rund der Kastanien
und schlage den Mantelkragen hoch.


Erstfassung:

Schlendern durch Farben
unter den Füßen das Laub
raschelt von langen Tagen im Licht,
vom Wiegen in Wipfeln
und sanften Schauern.

Unter dem weisen Blick
des Augustmonds fielen Sterne
vom Himmel, die fingen wir ein:

wollten uns wappnen gegen die Stürme
über den erblassenden Feldern.
Und halten sie doch nicht auf.

Ich lese dem Sommer noch
ein Lächeln von den Lippen,
lausche dem Laub ein letztes Geheimnis ab,
streiche über das Rund der Kastanien
und schlage den Mantelkragen hoch.

Verfasst: 20.09.2010, 22:14
von Max
Ich habe an dieser Stelle ein Problem:
Ich gehe auf der inhaltlichen Seite zu großen Teilen mit Nifl konform. Ja, Gedichte, die sich des genannten Wortschatzes reichlich bedienen, machen es sich meist zu einfach.
Auf der anderen Seite finde ich den Ton wenig hilfreich. Es gibt eine Kritikform, die mehr der Profilierung des Kritikers dient als der Verbesserung des Textes - und da wir uns hier unter Schreibenden, im besten Fall Schaffenden, befinden und alle wissen, dass es mal stärkeer und mal weniger starke Texte gibt, die man hervorbringt und die man auf den ersten Blick kaum auseinanderhalten kann, weiß ich nicht, wem mit dem Label "Hobbylyrik" gedient ist - es sei denn den Hobbykritikern.

Liebe Grüße
Max

Verfasst: 20.09.2010, 23:00
von leonie
Nifl, Du hast noch Herz und Schmerz vergessen :-) . Hm, hatten wir nicht schon öfter die Diskussion? Ich finde ja, man darf alle Worte benutzen, wenn man es auf originelle Weise tut (okay, okay, ich behaupte ja gar nicht, dass das hier gelungen ist) und es zum Text passt, ich finde, es gibt keine, die an sich verdächtig sind.

LGleo

Verfasst: 20.09.2010, 23:08
von Amanita
Nifl, Du musstest jetzt nicht ganz bei null anfangen, um mir das beizubiegen - mein Problem war und ist, dass ich die sprachgewandte leonie eher nicht mit Herzschmerzlyrik in Verbindung bringe. Auch dieses Gedicht nicht, auch wenn ich ihm einen gewissen Grad an Harmlosigkeit nicht absprechen will (s. o.).

Verfasst: 21.09.2010, 06:24
von Pjotr
Was macht der Berufslyriker, wenn -- nach tausenden Jahren deutsche Sprachgeschichte, oder gar schon nach zehn Jahren -- alle Synonyme aufgebraucht sind? Kombiniert er dann die Wörter? Rand und Herbst zu Randherbst? Lippen und Welle zu Lippenwelle? Damit entstehen quasi unendlich viele neue Wörter. Ist es das? Bei solchen Kombinationen kommt's wohl auch auf das gewisse Etwas an. Manchmal habe ich den Eindruck, sie sind zusammengesetzt, einfach nur um zusammengesetzt zu sein; und funken nicht beim Andocken.

Pjotr

Verfasst: 21.09.2010, 07:49
von Nifl
Moin Max,

mach dich locker, das war eine OT Antwort zu einer OT Frage.
Wüsste nicht, wieso ich mich und wo ich mich profilieren sollte? Hä?

Gruß
Nifl

Verfasst: 21.09.2010, 08:21
von Nifl
Huhu Leo und P.,

es geht nicht darum, Worte zu stigmatisieren. Extrem interessant finde ich hier, dass die meisten Rezipienten die Stehkragenzeile so stark finden.
Warum ist das so?
Ich denke, weil sie eben nicht behauptet, sondern spürbar macht, Räume öffnet, nicht fett stempelt.
Hätte Leo geschrieben: "Mir wird kalt", wäre das Gefühl abgeperlt, nicht angekommen, obwohl die Aussage vergleichbar wäre. Deshalb ist das Wort "kalt" aber natürlich trotzdem nicht "verboten"...

@P. Wortschöpfungen ist ein anderes Thema.

Viel Spaß
Nifl

Verfasst: 21.09.2010, 08:34
von Amanita
Ja, da stimme ich zu - künstlerisch zu arbeiten, heißt immer auch Zusammenhänge zu (er-)schaffen. Die manchmal überzeugen und manchmal eben auch gewollt-neu daherkommen (Blick zu Pjotr, der das ja schon ansprach).

Verfasst: 21.09.2010, 09:30
von Pjotr
Bei mir war's auch so. Das Lesen des Gedichts war für mich wie das Entlangschauen auf einer Tapete, ich dachte mir nichts dabei. Erst bei der vorletzten Zeile sah ich ein interessantes Loch. Und bei der letzten Zeile ging ein ganzes Fenster auf.

Also, es liegt wohl nicht an dem Wörter-Pool per se, wie eben genifelt wurde, auch nicht an Wortschöpfungen, sondern, wie nachgenifelt wurde, vielleicht einfach an der richtigen Mischung aus Abstraktion und Konkretem: Zuviel Abstraktion generiert keine realen Bilder, und zuviel Konkretes erzeugt keine Spannung.

Aber das ist sicherlich noch nicht alles. Es kommt auch auf das Bild per se an, das mit den Worten gemalt wird. Das Bild eines Mantelkragen hochschlagenden ist einfach bildgewaltiger als eins von Laub unter den Füßen.


P.

Verfasst: 21.09.2010, 09:39
von Ylvi
Hallo Leo,

ich schon wieder. ;-) Nur noch ein ganz kleiner Gedanke dazu, weil mir auffiel, dass hier im Grunde für mich das gleiche passiert, wie bei deinem OT-Finkgedicht. Auch hier werden die Stellen wieder ganz deutlich, wo "gedichtet" wurde. Wo die Natur, das Erleben lediglich Ausgangspunkt war, und nun eine Stellvertreterrolle hat, "gebraucht" wird für irgendeine Deutung. Und das "irgendeine" ist mir dann einfach zu wenig, um die Notwendigkeit dafür zu spüren. Das Problem ist für mich, dass es seltsam dazwischen hängt, nicht wirklich übertragen auf das Ich, ins Innere, als "Eigensicht" lesbar ist, aber auch nicht mehr Außen und "real". Und so gehen dann letztlich beide Möglichkeiten, oder Bildebenen für mich nicht auf.

Das Laub raschelt nicht einfach – es erzählt aktiv
Der Mond blickt
Sterne werden eingefangen
Die Felder erblassen
Der Sommer hat Lippen und Wünsche
(Das Laub hat Geheimnisse)

Die letzten zwei Zeilen sind vielleicht gerade deshalb stark, weil die Kastanie einfach Kastanie sein darf und man das Ich dort wirklich stehen sieht in seinem Mantel.

Liebe Grüße
Flora

Verfasst: 21.09.2010, 10:03
von scarlett
Liebe Flora,

interessant, wie du das siehst mit der Kastanie.
Für MICH ist die Kastanie nicht einfach nur die Kastanie - und das betont der Text auch noch, in dem es explizit heißt "das Rund der Kastanie".
Somit steht auch die Kastanie für etwas, ist im übertragenen Sinne zu lesen. Natürlich, für MICH, wie gesagt.

Liebe Grüße,
scarlett

Verfasst: 21.09.2010, 10:13
von Pjotr
Vom Rund der Kastanie zu lesen, empfinde ich als sehr genüsslich. Ich sehe da zunächst keine Metapher, sondern spüre einfach die seidenmatte Oberfläche, kann es förmlich nachfühlen, und sehe auch die schöne rotbraune Farbe, der Genuss ist vergleichbar mit dem am Rund einer Dame. Bei "Rund der Kastanie" wage ich fast zu denken an den wundervollen "Arsch der Kastanie".


P.

Verfasst: 21.09.2010, 10:15
von scarlett
Hihi ... Pjotr, warum nicht?
Und dadurch ist es aber schon übertragen ... das Rund der Kastanie.

LG
scarlett

Verfasst: 21.09.2010, 10:17
von Pjotr
Stimmt. Von wegen "keine Metapher" :-)


P.S.: Gibt's auch mal ein Gedicht über schöne Schultern im Schaum -- oder gibt's das nur auf'm Avatar? :-)

Verfasst: 21.09.2010, 10:18
von Ylvi
Hallo scarlett,

ja, man kann die Kastanienzeile übertragen lesen, (jeder wie er will :o)) aber sie ist eben auch auf der reinen Bildebene stimmig gezeigt und gerade das empfinde ich dann als Stärke eines Textes, wenn das gelingt. Sie ist nun mal wirklich rund, aber der Mond hat keine Augen... .-)

Liebe Grüße
Flora