dieter (2)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.08.2010, 00:15

dieter (2)



Wieder nichts gegessen
stattdessen Krüge und Porzellan photographiert
und Silbermesser
90er Prägung

Und Unterhosen in neutrale Beutel verpackt
und an Lederjacken gerochen
und Eintrittskarten von der Wand genommen
vom MSV und Jürgen von der Lippe

Topmodernes Metallbett "Zen",
vernickelt und gebürstet, Außenmaße (B*L) 1,86*2,05m, absolut neuwertiger Zustand, NP 560 Euro
Dazu passende Federholzrahmen (2 Stück), hochwertige, mehrfach verstellbare Lattenroste, je 0,90*2,00 m,
NP 298 Euro
Dazu passende Schlaraffia-Matratzen, je 0,90*2,00 m, Bultex plus 7-Zonen, Härtegrad 3, allergikergeeignet,
Bezüge voll abzieh- und bei 60° waschbar, ganz leichte Flecken (kaum sichtbar), die wasche ich gerade frisch,
NP 998 Euro (!)
Hier und jetzt alles zusammen (NP 2.194 Euro) für nur 500 Euro,
Ihr Bluthunde!

Die letzte Dose Chilitopf aus dem Regal genommen
mit Kidneybohnen, von Benedict
"Zwei gute Teller"
für morgen

Den Kerzenständer weggeworfen
Fuerteventura 1994
wo wir zusammen
nackt schwimmen waren
die Servietten mit Weihnachtsmotiv
und längst umgerührte Kochlöffel

Und zusammen nach Juist fahren wollten wir
dieses Jahr, du Arsch
und was ich mit Mutters Fuchsschal machen soll
hast du mir auch nicht gesagt

Und jetzt frühstücke ich Toast
mit Butter und Sanddornmarmelade
vom Wirt, um 00:02
und weine ganz still.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.08.2010, 19:06

Liebe Trixie,

dieser Text ist leider eben noch kein literarischer. Das ist meine Kritik. Er hat aber Chancen zu einem solchen zu werden, wenn er denn nach intrenser Verabeitung des Ereignisses ausgearbeitet werden kann.
Man merkt dem Text an wie betroffen der Autor ist. Betroffenheit war noch nie eine gute Hilfe beim Dichten (Schreiben) sondern allenfalls eine Ideengeberin. Die Kunst ist doch die Betroffenheit im Leser indirekt zu erzeugen und nicht den Leser an der subjektiven Betroffenheit der Person des Autors teilhaben zu lassen.
Meines Erachtens dient dieser Text der Betroffenheitsbewältugung des Autors und und gehört solange in ein Tagebuch (unter Verschluss), bis der Autor Herr des Textes ist und sein Selbstmitleid - meinetwegen auch seine Trauer adäquat formulieren kann.

Liebe Grüße
Gerda


Lieber Tom

Nimm, was du brauchen kannst, vielelicht eher aus dem Kommentar den ich an Trixie schrieb.
Du bist m. A. noch mitten drin im Verarbeitungsprozess, da kann unter dem Stirh noch nichts Literaisches herauskommen, dir fehlt die Distanz zum eigene Schmerz. Die Schnoddrigkeit mit der du versuchst, etwas weniger betroffen anzukommen bewirkt, dass die Atmosphäre für mich zu kippen droht Ri. Comedy.


Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gerda am 18.08.2010, 19:10, insgesamt 1-mal geändert.

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.08.2010, 19:08

@ Klara, danke, dass du schon dargelegt hast, weshalb Selbstmitleid und Trauer eben nicht dasselbe sind.

Liebe Grüße
Gerda

... es war fast zeitgleich mit dem Posting an Tom und Trixie

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.08.2010, 19:14

Mir kam gerade der Begriff "Verlustschmerz". "Selbstmitleid" ist für mich aber auch stimmig, weil ich mit mir selbst leide, also mich (bewusst) in einen Schmerz hineinbegebe. So wie man ganz feste auf einen schmerzenden Zahn beißt, damit das für den Moment noch weher tut und hinterher subjektiv weniger.
Und Selbstmitleid muss ja nicht zwingend mit Jammern gleichgesetzt werden (obwohl große Männer dazu neigen :o).
Ich hoffe nicht, dass man den Text als Jammern wahrnimmt (auch, wenn der letzte Satz drinbleibt).
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Klara
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Beitragvon Klara » 18.08.2010, 19:19

Tom, wenn ich mal - dilettantisch! - versuche, mich deinem DUKTUS anzunähern:

SCHEIß DOCH AUF WERTUNGEN VON AUßEN. SIE STIMMEN NIE UND HABEN KEINE BEDEUTUNG.

Den HARTEN MANN KANNST DU NOCH GENÜGEND MACHEN; WENN DU MIT DER aktuellen KACKE EIN BISSCHEN FERTIGER BIST (fertig wirds wohl nie sein)

Jüdische Mütter jammern tage- oder wochenlang am Grab ihrer gefallenen Kinder. Sie schreien und leiden. Und das ist verdammt noch mal höchstwahrscheinlcih hiflreicher und künsterlisch aussagestärker, als wenn irgendwo ein abstrakter Hund bellt. Scheiße. Jammern hilft, und Jammern muss, und das hat der Tod genauso verdient wie stilles Weinen und den Versuch, sich mitzuteilen, verdammt. Was davon Kunst oder LIteratur wird oder einfach irgendwann ein guter Text, muss nicht jetzt und hier entschieden werden - oder?

(Und mit sich selbst leiden heißt nicht sich selbst be-mitleiden, sondern eben - das hast du schön ausgedrückt: mit sich selbst leiden. Da wird man dann zu zweit, irgendwie - oder?) Jedenfalls - ach Schluss jetzt, ich schalte die unbeholfene mütterliche Anwandlung wieder off. Und denk einfach still an dich - okay?

k
Zuletzt geändert von Klara am 18.08.2010, 19:26, insgesamt 3-mal geändert.

Trixie

Beitragvon Trixie » 18.08.2010, 19:20

Hallo Gerda,
danke für deine Erklärung, dann meinst du also nicht den Text im Allgemeinen, sondern nur die Phase, in der er geschrieben wurde und die damit verbundene Art und Weise, wie der Text jetzt bei dir ankommt.

Ich weiß nicht, ob solche Texte nicht im literarischen Sinne auch eine Berechtigung haben, es sind ja oft richtig tolle "Schnellschüsse", die in einem bestimmten Gefühlszustand geschrieben werden, und nachbearbeitet nur künstlich oder konstruiert wirken. Vielleicht ist das einer dieser Texte, die genau so aus "dem Bauch heraus", der Stimmung heraus ihre Berechtigung haben und ich denke schon, dass Tom genüg "Künstler" mit Erfahrung ist, dass er diese Stimmung auch durchaus angemessen literarisch darbieten kann, zumindest sehe ich das so hier in diesem Prosagedicht.

Also, ich verstehe, was du meinst, nur in diesem konkreten Fall finde ich persönlich schon, dass es auf diese Art und Weise ein literarisches Werk ist. Eine bearbeitete, abgehangene Version ist dann wieder eine andere, vielleicht stärkere, vielleicht auch nicht, das wird man dann mit der Zeit vielleicht sehen. Aber so, wie es jetzt da ist, finde ich es ein durchaus guter Ausdruck einer authentischen Stimmung eines literarisch erfahrenen Autors. Vielleicht nix für die Allgemeinheit, für die "große weite Welt", vielleicht eher etwas besonderes für die, die den Autoren bereits kennen.

Grüße
Trix

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.08.2010, 19:23

@Gerda: Wenn man immer nur schriebe, wenn alles verarbeitet ist, dann ginge das Wichtigste verloren: Der Mut zur Unfertigkeit und die Skizze. Und wenn dieser Todesfall verarbeitet sein wird (wird er das je?), dann schreibe ich andere Texte. Deswegen verliert dieser hier nicht seine Berechtigung. Jeder Text ist immer nur Abbild der Zeit, in der er entsteht, und gilt auch nur für diese Zeit.
Und mir fehlt keine Distanz zum eigenen Schmerz, im Gegenteil; ich lebe ihn und will das auch. Und aus diesem Schmerz heraus schreibe ich. Kann dem Leser gefallen, muss es aber nicht.

Und außerdem: Da ist nicht nur mein Vater (und bester Freund) gestorben, sondern meine gesamte Familie ist damit ausgestorben. Außer mir. Der letzte Arsch. Da kommt ne Menge an Verarbeitung und Wandel auf mich zu, und wenn ich derweil nicht schreiben sollte, wann dann bitte?

@Trix: Genau! :o)

Tom.
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Beitragvon Thomas Milser » 18.08.2010, 19:29

@Klara: KLASSE DUKTUS, NÄ? :o)

Guck mal hoch zum Text, der Hund bellt gar nicht mehr ... Da ist ein VERDAMMT HARTER KERL, dem die Eier auf Grundeis hängen ...

Hab dich auch lieb,

Tom.
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Gerda

Beitragvon Gerda » 18.08.2010, 19:37

Lieber Tom,

es geht doch nicht darum, dass du nicht schreiben sollst. Es geht doch darum, ob dein Text etwas für die Öffentlichkeit ist oder nicht. Ich sage: Nein. Möglicherweise siehst du ihn aber auch im Salon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Wie du siehst ist Trixies Blick ein anderer und da scheiden sich nun mal tatsächlich die Geister und die Ansprüche an das, was Literatur für den einzelnen Leser können sollte.

Liebe Trixie

Ich möchte solche unbehauenen Texte eben auch nicht von mir bekannten Autoren lesen.
Da unterscheiden wir uns.

Liebe Grüße

Gerda

Trixie

Beitragvon Trixie » 18.08.2010, 19:45

Hallo Gerda,
find ich völlig in Ordnung. Dann ist das eine Einstellungssache und ich kann nur wieder sagen: ist es nicht schön, dass wir alle so unterschiedlich sind ;-).
Aber gut, dass das geklärt ist.
Grüßis
Trixie

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Beitragvon leonie » 18.08.2010, 20:21

Ich stimme Klara sowas von zu.
Außerdem steht Dir der Tom-Duktus, finde ich!
Bin schon wieder weg...

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 18.08.2010, 20:21

Klara, Du verstehst meine Kommentare zu Begrifflichkeiten wieder falsch. Natürlich bedeutet Selbstmitleid eine Abwertung und Trauer ein Gefühl. Das sehe ich auch so. Aber um diese statische Deutungs-Ebene geht es nicht in meinen Verknüpfungen. Mir geht es um eine ebenen-übergreifende Dynamik, gemeinsame Knotenpunkte, Denkrichtungen und -herkünfte, Ein- und Ausfahrten innerhalb der Paradigmen. Mehr dazu vielleicht mal in einem anderen Faden. Pjotr

P.S.: In einfacheren Worten: Natürlich ist "Apfel" und "Obst" nicht dasselbe. Dennoch ist Apfel Obst.

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.08.2010, 20:43

Thomas Milser hat geschrieben:@Gerda: Wenn man immer nur schriebe, wenn alles verarbeitet ist, dann ginge das Wichtigste verloren: Der Mut zur Unfertigkeit und die Skizze. Und wenn dieser Todesfall verarbeitet sein wird (wird er das je?), dann schreibe ich andere Texte. Deswegen verliert dieser hier nicht seine Berechtigung. Jeder Text ist immer nur Abbild der Zeit, in der er entsteht, und gilt auch nur für diese Zeit.
Und mir fehlt keine Distanz zum eigenen Schmerz, im Gegenteil; ich lebe ihn und will das auch. Und aus diesem Schmerz heraus schreibe ich. Kann dem Leser gefallen, muss es aber nicht.


Das, Tom, unterschreibe ich sofort, drück dich mal ganz doll und sag nur: haste gut gemacht, deinen Text! Erste Fassung, bitte!

scarlett

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.08.2010, 21:55

Liebe scarlett,

ich will dich keineswegs beim Kuscheln mit Tom stören, ;-) aufgefallen ist mir nur und das möchte ich dann doch schnell noch einwerfen, dass du, genau wie Tom, meine Rückmeldungen selektiv gelesen hast... Schade!

LGG

Lieber Tom,

hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, was die Beziehung zwischen dir und deinem Vater so einzigartig gemacht hat, dass ein Gedicht darüber eine Dimension auf literarischer Ebene auch für Fremde erhält?
Was war so besonders?
Das herausszufinden halte ich für einen guten Ansatz.
... und wenn es gelingt dieses dem Leser zu vermitteln, dann wird es richtig gut ...

LGG

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.08.2010, 22:31

Gerda hat geschrieben:Das herausszufinden halte ich für einen guten Ansatz.
... und wenn es gelingt dieses dem Leser zu vermitteln, dann wird es richtig gut ...


Herausgefunden, was meinen besten Freund ausmacht, habe ich bereits in 46 Jahren. Aber das hat nichts mit dem Text hier zu tun. Außer, dass es für mich hinter jede Zeile schon steht.

Wenn es sich für dich nicht überträgt, dann lass es doch jetzt gut sein, bitte ...

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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