Knusperhäuschen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 05.09.2010, 11:42

Knusperhäuschen

Ich habe so vieles geglaubt
Damals
als ich das Kratzen des Bleistifts
auf dem Papier
für eine Selbstverständlichkeit hielt
Als ich glaubte
Gedichte wachsen den Dichtern aus den Händen
wie Bäume Blätter verlieren
Und wer als Tanne geboren wird
kann sich immer noch auf Weihnachten freuen

Später
als der Glaube mich ausgetrieben hatte
wie einen guten Geist
der sich in keine Flasche sperren lässt
als ich nichts mehr suchte
außer dem Boden unter meinen Füßen
sachte ich immer noch einiges

Ich dachte an Tauben
und ihren Flügelschlag
Ich dachte an
spielende Kinder
Ich dachte ich könnte so tun
als würde ich mit den Ohren Bilder malen
in jedermanns Gesicht
ohne dass mich jemand hört

Ich habe mir so vieles vorgestellt
auch später noch als ich das Vertrauen verloren hatte
und ich den Weg zurück nicht fand
weil ich statt Kieselsteinen eine Spur aus Worten gelegt hatte
mit der ein paar alte Damen Scrabble spielten
Ich verirrte mich
im dichten Wald
Es war so dunkel
und ach so bitter kalt

Es ist nicht so dass mich niemand gewarnt hätte
aber ein Haus ist immer noch ein Haus
Und dieses war dekoriert mit zuckersüßen Worten
bunt kandiert und klebrig
Warum hätte ich nicht eintreten sollen
Nichts hielt mich zurück
Ich hatte ja nicht einmal mehr einen Glauben
oder festen Boden unter meinen Füßen
Schreib Dich ein sprach die Hexe
und zückte die Feder
Als ich erst über die Schwelle getreten war
gab es kein Zurück mehr
Zuletzt geändert von Xanthippe am 25.09.2010, 10:10, insgesamt 2-mal geändert.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 05.09.2010, 12:10

Arme Gretel! Aber sie hat die Hexe in den Ofen geschubst und verbrannt, nicht wahr, Xanthippe? Sonst hätte sie diesen Lebenslauf nicht schreiben können. Dass Hänsel so ganz und gar ausgespart wird in dem Text, bringt mich auf die Vermutung, dass er die Hexe gewesen sein könnte ...
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Niko

Beitragvon Niko » 05.09.2010, 12:51

tja, xanthippe,

was soll ich schreiben? - das gedicht nimmt mich mit, bewegt und berührt mich. es ist (nur für mich ja erstmal) eine lebensoffenbarung, ein blick zurück. wie es sie manchmal auch in musik gibt. bei je ne regrette rien oder my way. allerdings hier eine andere sicht. kein "ich bereue nichts" oder "egal wie es war: es war mein weg. und der war gut so". eher ein geständnis über die eigene unvollkommenheit an sich selbst. ein erzählen über eine entwicklung, wie sie begann, wie man sie versuchte zu steuern und wohin sie unaufhaltsam führte. ein schuss melancholie, ein hauch von resignation.
vielleicht ist deine lyrische "geschichte" die, die in jedem schreiber steckt. oder stecken wird......

für mich ein sehr ehrliches, schonungsloses und dadurch mich sehr berührendes werk. denn es ist spürbar.

liebe grüße: niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.09.2010, 15:20

Liebe Xanthi,

mir gefällt die Idee auch sehr.

Aber ich hadere mit der Umsetzung. Zum einen, weil Du nicht in der wunderbaren Bildebene bleibst, sondern durch Sätze wie diese hier herausfällst (noch dazu z.T. moralisierend):

Xanthippe hat geschrieben:Als man mir den Glauben ausgetrieben hatte


Xanthippe hat geschrieben:Auch später noch als ich das Vertrauen verloren hatte


Ich meine auch, der Text würde durch Straffung gewinnen, die vielen Wiederholungen bewirken meiner Meinung nach hier eine "Langatmigkeit", die dem Text nicht gut tut.
Das ist schade, weil die Ideen und Bilder darin, auch dieses Kombinieren Schreiben/Glauben/Hänsel/Gretel sehr faszinierend sind.

Außerdem frage ich mich, ob er nicht unter "Erzählgedichte" gut aufgehoben wäre...

Liebe Grüße

leonie

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 05.09.2010, 16:12

Ich schließe mich Leonie an: Der Text ist mir ein bisschen zu "erzählend", zu wenig lyrisch und viel zu lang. Man könnte beinahe zwei Gedichte draus machen!

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 05.09.2010, 16:45

Liebe Xanthippe,

ja, ein Erzählgedicht oder - was mir persönlich noch lieber wäre - lyrische Prosa mit weniger Umbrüchen. Auch was leonie sagt, ist ein wichtiger Hinweis: Die wertenden Passagen lieber auch in Bilder umwandeln! Ansonsten habe ich den Text sehr gern gelesen! Blätter abwerfen, malen mit den Ohren, Scrabble spielen mit der Spur eines anderen - sehr sehr feine Bilder! An diesem Text lohnt es sich unbedingt, noch ein bisschen zu arbeiten.

Liebe Grüße
fenestra

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:16

Guten Tag Niko

Danke sehr, für diesen Kommentar. Weil es schön ist, wenn etwas ankommt. Ich mag die Art, wie Du es liest sehr, für mich ist dieses Gedicht tatsächlich genau das: Die Geschichte vom Schreiben. Meine Geschichte vom Schreiben.

Danke
Xanthi
Zuletzt geändert von Xanthippe am 06.09.2010, 14:39, insgesamt 1-mal geändert.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:22

Liebe Leonie,

mich irritiert, dass Dir die Idee gefällt, wenn Du Sätze, die mir (für den Verlauf des Gedichtes) sehr wichtige Sätze als moralisierend herausfallend empfindest. Dann frage ich mich schon, welche Idee Dir da gefällt, bzw. ob das auch meine Idee ist.

Ich glaube nicht, dass eine Verdichtung diesem Gedicht gut tun würde, aber ich werde es einfach einmal ausprobieren, vielleicht gelingt es mir, mich selbst zu überraschen.

Ach herrje und diese ewige Kategorisierungen: Was wäre denn z.B. das Geheul von Ginsberg? Ein Erzählgedicht nur weil es lang ist? Und hättest Du dem Gedicht keine Langatmigkeit vorgeworfen, wenn es unter dieser Rubrik gestanden hätte? Es ist ein Gedicht über das Schreiben. Es ist ein Gedicht darüber was das Schreiben mit einem macht, wie man aufgenommen wird in den Kreis der Schreibenden und welchen Preis man dafür zahlt, ist das eine Erzählung? Oder ein frei gewebtes Gedicht? Und welche Rolle spielt das? Spielt das überhaupt eine Rolle?

Xanthi

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:25

Guten Tag Amanita,

um zwei Gedichte daraus zu machen, müssten zwei Geschichten, Aussagen, Ideen drin stecken. Das tun sie für mich nicht. Klär mich auf, sollte ich da etwas übersehen haben. Wie lang darf denn ein Gedicht sein, Deiner Meinung nach und nach der wievielten Zeile muss man teilen?

Xanthi

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:30

Hallo Fenestra,

meine ganz persönliche Meinung ist, dass man das nicht tun sollte (was nicht heißt, dass es mir nicht auch immer wieder passiert); die eigenen Maßstäbe, Vorlieben auf ein "fremdes" Gedicht anwenden. Das wird dem Ding an sich nicht gerecht. Wenn ich erzählen will, schreibe ich Prosa, wenn ich etwas unter Lyrik einstelle, dann ist es auch Lyrik für mich und dann möchte ich zumindest wissen, weshalb und inwiefern weniger Umbrüche etwas zum Besseren ändern könnten.
Die wertenden Passagen sind Bekenntnisse und wie ich schon Leonie schrieb, ich kann mir ganz und gar nicht vorstellen, mich von ihnen zu trennen. Aber weil ich ja dumm wäre, hier etwas der Kritik auszusetzen, um dann jede Kritik mit einem Handstreich vom Tisch zu wischen, werde ich es gerne einmal ausprobieren, was das aus dem Gedicht machen wird...

Danke
Xanthi

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Beitragvon leonie » 06.09.2010, 14:39

Puh, Xanthi,

das klingt ziemlich verstimmt. Das mit dem Erzählgedicht war ein Vorschlag. Wie alles andere auch. Wenn es für Dich so stimmt, ist es doch okay.

Ich empfinde besonders: "als man mir den Glauben ausgetrieben hatte" als einen expliziten und abstrahierenden Vorwurf, mich würde viel mehr interessieren, was da passiert ist. Ich will das erzählt bekommen, so wie Du im Gedicht die meiste Zeit erzählst...

Und mit dem Straffen. Das mag Geschmackssache sein, ich bin ja eh oft eine Befürworterin der knappen Texte...

Liebe Grüße

leonie

Trixie

Beitragvon Trixie » 06.09.2010, 14:43

Hallo Xanthi,

wenn es eine Geschichte erzählt warum dann nicht unter Erzähl-Gedichte? Ich finde auch, rein vom Bauchgefühl her, dass es dort schön rein passen würde zu den anderen Erzählgedichtperlen.

Mir gefällt dieses Geschichtengedicht auch sehr gut, ich kann mich darin wiederfinden, es ist schön umgesetzt und ich mag sehr gerne den Einstieg "ich habe so vieles geglaubt, damals" - das rührt mich irgendwie ganz tief unten innen an und bewegt mich zum Weiterlesen. Es ist eindeutig "dein" Text, dein Gedicht, deine Art, die Idee umzusetzen und zu umschreiben, deine Worte, und ich sehe sie und lese sie, es ist nicht wie bei anderen Texten, die "genau das ausdrücken, was ich selber denke und fühle", sondern ich gehe ein Stück des Weges mit, den du beschreibst. Das ist etwas, das erlebe ich nicht so oft, denn meistens will man sich ja selbst identifizieren oder man lässt sich einfach von einer Stimmung mitnehmen. Hier ist es so ein Mischmasch, ich kann eine Identifikation entdecken, aber nicht meine eigene. Das find ich klasse, sehr gelungen!

Liebe Grüße
Trix

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:44

Hallo Leonie,
hm, aber um alles zu erzählen ist ein Gedicht nicht da, oder? Schwierige Aufgabe. Aber ich guck mal. Also, ich guck mal, was sich da lernen lässt. Das Gedicht, und das war vielleicht dumm von mir es vor diesem Hintergrund einzustellen, ist für mich so fertig. Es hat seine Aussage und die Mittel um diese Aussage zu transportieren.
Nein, nein verstimmt bin ich nicht, ich bin nur gerade dabei nicht mehr allen gefallen zu wollen, und lerne zu sagen, was mich stört.
Danke für die neuerliche Antwort
Xanthi

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Beitragvon Xanthippe » 06.09.2010, 14:50

Hallo Trixie,

also z.B. "ich weiß es nicht, wann man vernünftig wird", erzählt das nicht auch eine Geschichte? Erzählt da nicht auch ein lyrisches Ich von seinem lyrischen Leben? Aber ich mag auch gar nciht über kategorien und so was streiten. Reden wir lieber von meinem Gedicht :smile:

Trixie hat geschrieben:
Es ist eindeutig "dein" Text, dein Gedicht, deine Art, die Idee umzusetzen und zu umschreiben, deine Worte, und ich sehe sie und lese sie, es ist nicht wie bei anderen Texten, die "genau das ausdrücken, was ich selber denke und fühle", sondern ich gehe ein Stück des Weges mit, den du beschreibst. Das ist etwas, das erlebe ich nicht so oft, denn meistens will man sich ja selbst identifizieren oder man lässt sich einfach von einer Stimmung mitnehmen. Hier ist es so ein Mischmasch, ich kann eine Identifikation entdecken, aber nicht meine eigene. Das find ich klasse, sehr gelungen!


Oha. Das freut mich aber sehr. Dass ich da jemanden (Dich!) mitnehmen kann auf meinen ureigenen Weg. Das ist ja das Blöde, oder, wenn man sich ärgert, fallen einem ganz viele Worte ein, wenn man sich freut, ist man (also ich) eher sprachlos. Jedenfalls hat mir Dein Kommentar eine große Freude gemacht.
Danke sehr!
Xanthi


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