Kein September

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 19.09.2010, 17:09

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Zuletzt geändert von scarlett am 02.03.2011, 13:26, insgesamt 4-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 20.09.2010, 22:08

Liebe Scarlett,

was mir an diesem Text gefällt, ist der andere Ton, der Versuch Reime zu schreiben, die frischen Bilder. gepaat mit Deinem bekannten Sprachgefühl ergibt das eine interessante Mischung.

Ein paar Kleinigkeiten:

1.) An dem "Jahreswein" stört mich ein wenig, dass er mir definitionsgemäß geflückt zu sein scheint - ich habe ein wenig den Eindruck, dass an dieser Stelle das "Jahres" aufgrund der Silbenzahl ins Gedicht geraten ist.

2.) Das lautlose Bäumefällen in Strophe 3 scheint mir nicht so richtig in den September zu passen ...

3.) Das "Innerland" in der vorletzten Strophe is ein Nelogismus und mir ist nicht so klar, was an dieser Stelle gegen "Innenland" sprach ...

Aber das sind nur Kleinigkeiten. Insgesamt ein sehr schöner Text.

Liebe Grüße
Max

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 20.09.2010, 22:18

scarlett hat geschrieben:
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Liebe Scarlett,

zwar peste ich zur Zeit gegen die Mond-Worterei, aber dein Gedicht beeindruckt mich durch strenge <milde und Tiefe. Ich würde dennoch eine Art programmatischer Bitte formulieren, bei der Wahl der Worte vorsichtig zu sein.

Dieses "noch nie" "noch kein" - Dieser Einbruch von einer unerlebten Dimension hat mich berührt und ich hbe etwas nachempfinden können.

liebe Grüße
Renée

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.09.2010, 09:56

Lieber Max,

freut mich, dass die Mischung dir gelungen erscheint!
Sehr viel "komponiert" hab ich dabei nicht, viel weniger als bei so manch anderem Gedicht, die Form hat sich mir dieses Mal "aufgedrängt". Sie schien mir zu den Bildern und der Stimmung zu passen, deshalb hab ich sie gelassen.

Zu deinen Anmerkungen:

1.) ICH, als Biertrinkerin, hab mich also mal an den Wein gewagt und habe mich - wie es scheint - als Nichtwissende geoutet :-)
Was ich allerdings mit dem "Jahreswein" eigentlich ausdrücken wollte, ist, dass der gesamte Wein eines Jahrgangs nichts geworden ist.
Nun hab ich gegoogelt und verstehe deinen Einwand.
Und was soll ich nun machen?
Es ginge auch nur mit "wein" - von der Silbenzahl/vom Rhythmus her würd das schon gehen, meinst du nicht?
Oder soll ich einfach schreiben: der ganze Wein vor Trauer schwer?
Hilfst du mir da???

2.) Na denn, jetzt zur Botanik und zum Gärtnern: mag sein, dass Bäume nicht unbedingt im September gefällt werden. Aber: was ist mit Bäumen, die alt, krank, oder durch einen Sturm dermaßen beschädigt wurden, dass sie gefällt werden müssen, unabhängig von der Jahreszeit? Und genau darauf will ich hinaus, VOR der eigentlichen Zeit gefällt zu werden, ist hart. Das Gedicht hat ja eine zweite Ebene und ich dachte, dass diese genau an dieser Stelle ganz deutlich werden würde.
Ist dem doch nicht so?

3.) Gegen "INNeNlaNd" sprachen mir die zu vielen "N.s" in diesem Wort. "Innerland" liest sich m M nach einfach besser.
Ansonsten hätt ich nichts gegen dieses Wort.

Ich dank dir herzlich für die Rückmeldung zu diesem, mir sehr wichtigen Text!

LG
scarlett

Liebe Renée,

ich fürchte, so ganz verstehe ich dein Anliegen nicht.
Was genau meinst du mit der "Bitte, bei der Wahl der Worte vorsichtig zu sein?"

Ist dir das "noch nie", "noch kein" zu viel?

Andrerseits schreibst du, dass dich dieser Einbruch einer unerlebten Dimension, berührt hat.

Kannst du mir da helfen????

Es gibt in meinem Text eine "Mächtigkeit" und eine Ausschließlichkeit, das sehe ich schon. Aber werden gewisse Ereignisse nicht genauso erlebt? Sie nehmen eine bis dahin ungeahnte, nicht für möglich gehaltene Dimension an und danach kann man unmöglich z. B. einen September jemals wieder so erleben wie davor.

Danke für deine Worte, fürs Zulassen des Berührt-Seins und fürs Nachempfinden.

Herzlichst,
scarlett

Max

Beitragvon Max » 21.09.2010, 11:04

Liebe Scarlett,

als ich es las, dachte ich gleich, dass einfach "Wein" auch ginge. Vielleicht ist aber der "ganze Wein" noch besser.

liebe grüße
Max

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 21.09.2010, 11:44

Liebe scarlett,

es war spät und ich sehr unklar ... vielleicht ein Glas Wein zu viel?

ich hatte übrigens zu dem zeitpunkt den Faden von Herbstrand noch nicht gelesen.

1. habe ich seit langem einen inneren Kampf um die "Mond-Worterei" --- wobei klar ist, dass keine Note verboten sein kann, sondern nur die Stelle entscheidet, ob "Mond" EINLEUCHTET oder nicht.

2. dein - noch nie - / - noch kein - hat mir sehr gefallen. Diese Ersterfahrungen im Alter zeugen von Lebendigkeit und vermitteln Herz, Mut, Bescheidenheit ...

Dein Gedicht hat mir trotz kleiner Preziositäten sehr gut gefallen.

liebe Grüße
Renée

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leonie
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Beitragvon leonie » 21.09.2010, 11:59

Liebe scarlett,

worüber ich immer wieder stolpere, ist der heiße Mittagssand. Ich bringe ihn nicht mit dem September zusammen, überhaupt eher mit einem Strand, als mit Bäumen und Reben...
Kannst Du mich mal vom Schlauch, auf dem ich gerade stehe, schubsen?

Die "so" sind mir fast ein wenig zu häufig, aber ich habe im Moment auch keine Idee, wie man das anders lösen könnte. Die Bilder sonst gefallen mir sehr, die Wehmut kommt an, Schmerz über einen Verlust.

Liebe Grüße

leonie

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 21.09.2010, 12:31

Ehrlich gesagt passt m. E. die letzte Strophe nicht, sie wirkt auf mich im Vergleich zu den anderen kitschig.
Und mit dem September würde ich auch nie heißen (höchstens warmen) Sand verbinden ...
aber problematischer empfinde ich das "flügellahm" mit dem "irren" zusammen, das ist mir einfach zuviel (daher wohl der obige Eindruck). Mag sein, dass ich mich zu sehr "anstelle" ...

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.09.2010, 13:59

Hallo Monika,

dein Gedicht lese ich nicht primär als Jahreszeiten-Gedicht, sondern als eine Beschreibung einer großen Trauer und Leere. Etwas ist passiert, und dies im September. LI erlebt den September zum ersten Mal völlig anders. Das "mondsalzig" mundet mir nicht so gut. Wirkt zu gekünstelt auf mich.
Ein Baum wurde gefällt. --> Ein Mensch ist gestorben. LI wacht auf vor lauter Stille --> LI vermisst jemanden sehr heftig.

Die Schlussstrophe fällt durch das neue Bild der Möwe und dem heißen Mittagssand ziemlich heraus. Mir ist klar, dass du hier die Verlorenheit des LI ausdrücken möchtest, das sich vorher sehr lebendig fühlte (wie eine Möwe). Doch würde ich hier im Bild bleiben. Z.B. im Bild eines Weinbergs o.ä.
Die vielen "so" sind hier Stilmittel und gefallen mir gut wie das ganze Gedicht, dessen traurige Stimmung nachhallt.

Saludos
Mucki

scarlett

Beitragvon scarlett » 22.09.2010, 09:19

Hallo in die Runde,

Dank an euch alle für Hinweise, Kritikpunkte, Lob.

Ich versuche mal zusammenfassend darauf einzugehen.

Zunächst mal, die vielen „so“ und „nie“ sind hier, so wie Mucki das auch gesehen hat, durchaus beabsichtigt als Stilmittel eingesetzt.

Was die letzte Strophe anbelangt:
ich glaube, die Irritation darüber entsteht dadurch, dass das Gedicht keine Verortung des LI angibt.

Mucki schrieb, etwas ist passiert und das im September.
Ist das wirklich so, ich meine, kann man das so aus dem Text herauslesen, eindeutig?
Könnte es nicht auch anders sein?
LI erlebt den September zum ersten Mal völlig anders, ja, darauf wollte ich hinaus und das bedeutet, die Bilder beziehen sich auf Vorgänge, die vor diesem Zeitpunkt liegen/liegen müssen, sie sind der Grund für dieses erstmalige andere Erleben dieses Monats.

Wo aber steht nun das LI, während diese Bilder an ihm vorbeiziehen/es darüber nachdenkt?
Hätte der Titel „September am Meer“ gelautet oder „Bilder eines Jahres“ o ä, wäre das wohl klarer, oder?

Langer Rede kurzer Sinn: gedacht war es so, dass LI im September an irgendeinem Strand ist und aufgrund der aufziehenden Bilder merkt, wie anders sich dieser Monat zum ersten Mal anfühlt.

Bleibt die Frage, ob ich durch eine Änderung des Titels das klarer machen kann, weil offensichtlich das aus dem Text so nicht eindeutig gelesen werden kann und deshalb die letzte Strophe als „unpassend“ zu Weinberg/Bäumen empfunden wird.

Der heiße Mittagssand ... nun ja, es kommt vielleicht nur darauf an, in welcher Gegend man so einen September am Meer erlebt, dass der Sand zur Mittagszeit durchaus noch sehr heiß sein kann. Auch dadurch könnte der Leser eigentlich aufmerksam werden (woher weiß das LI das, könnte es sein, dass es sich an einem ebensolchen befindet und sinniert/zurückblickend ?) – die Zäsur nach V2 der S3 ist doch auch sehr deutlich. Abgesehen davon, dass man das letzte Bild auch als „Innerland-Bild“ lesen kann, d h LI fühlt sich in seinem Inneren wie ... eine flügellahme irrende Möwe.

Dass flügellahm und irrend als too much empfunden werden kann, ja ok, damit muss ich leben. Nur dass das kitschig rüberkommt, der Meinung bin ich nicht, verstehe aber, wenn das jemand so empfindet. Das hat dann aber Gründe, die außerhalb meines Textes liegen und eher was mit den persönlichen Konnotationen zu tun.
Flügellahm – nicht gebrochen, irren – nicht verirrt – das sind für mich so die Unterschiede, die diese Stelle gerade nicht kippen lassen (mit den jeweils anderen Worten hingegen schon – für MICH).

Bleibt das „mondsalzig“: Mucki, ich hab dieses Wort immer wieder gestrichen – reingenommen, wieder gestrichen – wieder reingenommen ... lach ... Ich glaube, ich werde es jetzt doch endgültig rausnehmen und die Erstversion einsetzen: sandsalzig – und am Schluss dann entsprechend statt Mittagssand – Mittagsstrand.

Und ja, eh klar, dass das hier nicht primär ein Jahreszeitengedicht ist.

So, ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Falls doch, bitte laut rufen.

Ganz liebe Grüße euch allen, danke fürs (zumindest streckenweise) Mitgehen,

scarlett

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.09.2010, 07:42

Hallo,

ich will nicht nerven, aber könnte mir mal bitte einer von euch Rückmeldung zu meinen Ausführungen geben?
Würde sich durch einen anderen Titel etwas ändern in der Wahrnehmung vor allem der letzten Strophe?

Dankbare Grüße,
scarlett

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 24.09.2010, 09:54

Hallo scarlett,

auch nach deiner Erklärung, finde ich zu diesem Gedicht keinen Zugang. Vielleicht auch ein wenig, dass ich mich nicht darauf einlassen möchte. Ich denke das liegt hauptsächlich daran, dass ich das Gefühl habe, dass die reale/ sachliche/ sichtbare Bildebene, das, was zur Metapher werden könnte, hier vernachlässigt und nicht wirklich ernstgenommen wird, was man vor allem der zweiten Strophe deutlich anmerkt. Sie scheint nur dazu zu dienen, die übertragene Ebene in schöne, lyrische Worte zu kleiden.
Das geht in eine ähnliche Richtung wie bei meinem Kommentar zu Leonies Kastanien Gedicht, bei dem dann auch auf die übertragene Ebene als Begründung verwiesen wurde und kam auch in anderen Diskussionen schon auf. Ich vermute also, dass es da grundsätzlich sehr unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen gibt. Spannend.
Metapher heißt für mich, dass ein Bild auch eine andere Bedeutung tragen kann, aber nicht, dass das Bild ohne die Übertragung zerfällt.
Um es einmal mit dem Schlüsselbild aus Renées Faden zusagen, ich komme mir manchmal vor, als würde der Autor mit seinem Schlüssel vor meinen Augen hin- und herwedeln, um ihn dann ins Gestrüpp zu werfen und "such!" zu sagen. Dabei übersieht er aber, dass mit dem fehlenden Schlüssel eben auch das Gedicht in sich zusammenfällt, wenn die Bilder nicht für sich stehen können.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.09.2010, 19:54

Hallo Flora,

zunächst mal danke für deine Rückmeldung, wenn sie mich auch kein Stückchen weiterbringt.
Das liegt nicht zuletzt an der grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung dessen, was eine Metapher nun ist/zu sein hat/leisten soll(kann).

Bei deiner Auffassung frage ich mich z. B., wie du mit einer absoluten oder auch "nur" kühnen" Metapher verfahren würdest? Wo liegt da die reale/sachliche/bildliche Ebene bei absoluten Metaphern wie "das blaue Reh" oder "schwarze Milch der Frühe"?

Für mich bedeutet Metapher nicht, dass ein Bild AUCH eine andere Bedeutung tragen kann, ohne die sie nicht funktioniert, sie weist deutlich darüber hinaus, wichtig ist EIN Gemeinsames, das weitere Konnotationen freisetzt.
Sie muss also nur in einem Teil sachlich/bildlich übereinstimmen.

Ferner halte ich die Bereitschaft, sich auf einen Text einzulassen, als eine Grundvoraussetzung für die Beschäftigung mit jeder Art von Texten. Wenn du also einräumst, dass du dazu nicht so richtig bereit bist, frage ich mich schon, warum dir dann eine Rückmeldung wichtig erscheint.

Nichts für ungut,

scarlett

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Beitragvon leonie » 24.09.2010, 23:20

Liebe scarlett,

ich habe immer noch Mühe mit dem heißen Mittagsstrand. Ich habe nochmal drüber nachgedacht: Es hängt wirklich damit zusammen, dass Du vorher eine Bilderwelt erschaffst, in die er für mich nicht passt:

Reben-Wein-Baum-Innerland

Da bin ich gefühlsmäßig in einem Weinbaugebiet eher im Inneren eines Landes

und völlig irritiert, woher plötzlich die Möwe und der Strand herkommen.

Du erklärst es, ja, aber trotzdem: Im Text wirft es mich immer noch völlig raus.

Liebe Grüße

leonie


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