Septemberbaum

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Gerda

Beitragvon Gerda » 21.09.2010, 00:57

Septemberbaum

Ein milder Wind weht
späten Sommer übers Feld,
doch erste Blätter fallen
und Schritte knistern mürbe.

Wie weich huscht jetzt das Licht
schräg über dein Gesicht
und Ächzen früchtelastig
zieht durch den alten Stamm.

Ein Hauch nur von Kamille,
Vergehen in der Luft,
im braunen Erdgeruch,
im Summen später Bienen.
Unendlich weit die Stille.

… "Verweile doch" ...

©GJ2009

Edit: Komma hinter Erdgeruch
Zuletzt geändert von Gerda am 22.09.2010, 12:21, insgesamt 1-mal geändert.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 21.09.2010, 07:53

Liebe Gerda!

Du hast das Septembertypische sehr gut eingefangen, ich gehe gerne mit!

Ein paar Details hätte ich allerdings anzumerken.

1. Strophe: Warum doch? Du hast den September als Titel, da weiß man eigentlich schon, dass die Blätter sich anschicken zu fallen.
2. Strophe: Vielleicht geht es nur mir so - mich stört das "Ächzen früchtelastig", und zwar eher grammatisch bzw. als Satzstellung. Die Begriffe finde ich beide gut, aber nicht so gesetzt.
3. Strophe: Die rudimentäre Botanikerin in mir meldet, dass die Kamille eher ein Frühsommerblüher ist, auch wenn sie bis in den September durchhalten kann. Ich würde Kamilleduft nicht mit September assoziieren. Es ist natürlich einerseits sehr subjektiv und andererseits stereotyp, wenn ich jetzt mit Pilz- und Modergerüchen ankomme, allerdings riechts in meinem Garten wirklich so im Moment, während die Kamille lange verblüht ist.
Außerdem habe ich Schwierigkeiten mit "braun". Abgesehen davon, dass diese Farbe leider auch politisch besetzt ist, finde ich sie hier unnötig, da Du ja schon den Erdgeruch hast und man weiß, dass Erde meistens eine bräunliche Farbe besitzt. An solchen Stellen finde ich einen Bruch oder eine unerwartete Wendung besser.

Einen Gruß aus dem frühen Morgen! - Amanita

Trixie

Beitragvon Trixie » 21.09.2010, 09:14

Hallo Gerda,

das ist wahrscheinlich kein sehr hilfreicher Kommentar, aber dein Text erinnert mich stark an eines meiner absoluten Lieblingsgedicht - nur aus der ganz anderen Jahreszeit:

http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1 ... s#gb_found

Es klingt melodisch, angenehm, lächelnd. Es sieht hübsch aus. Es ist sehr positiv, finde ich. Obwohl sie explizit angesprochen ist, finde ich hier irgendwie nicht diese Wehmut, dieses Feststellen von Veränderung, dass die meisten Herbstgedichte so in sich tragen. Das mag an einem plötzlichen DU liegen, das angesprochen wird, so dass es von der reinen Naturbeobachtung abrückt, vielleicht auch, weil es "nur" um einen Baum geht, wie der Titel ja impliziert.

Mit der Kritik stimme ich Amanita zu, zumindest bei Punkt 2 und Punkt 3, Absatz "braun" sehe ich es wie sie. Das "doch" stört mich nicht, denn es läutet ja eben die Veränderung an, die Beobachtung als nebensächliche Einleitung für das, was du eigentlich sagen willst.
Von wegen "Ein Sturm zieht auf. Warum bist du sauer auf mich?" - das finde ich nicht ungelungen. Öhm, also, wohl gelungen ;-).
Der Kamillegeruch erinnert mich an Kamilletee, was wieder von der reinen Naturbeobachtung abrückt, was mir auch ganz gut gefällt. Erkältungszeit, Schwächezeit. Oh, ich sehe gerade, dass da das Wort "vergehen" steht - mmh, nee, das gefällt mir irgendwie nicht so, das ist zu Zaunpfahl-mäßig...
Joah, mehr habe ich erst mal nach dem ersten Eindruck nicht zu sagen.

Alles in allem hat es für mich einen sehr positiven, sachten Nachgeschmack, dem ich gerne noch nachgehen werde! (Hihi, nicht vergehen, sondern nachgehen. So soll das sein!)

Vielleicht melde ich mich ein ander Mal hier nochmal, wenn mir noch mehr eingefallen ist, denn ich habe gerade das Gefühl, dass ich mich gerne hierauf einlassen möchte.

Liebe Grüße
und einen schönen Septembertag =)
die Trix

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.09.2010, 09:32

Liebe Gerda,

die Zwiesprache mit dem "Septemberbaum" trägt für mich. Und sie trägt dieses Gefühl, dass sich wohl nur im September in mir breitmacht, des "schon nicht mehr" und "doch noch nicht".

Ich mag die leisen Bilder, die unaufdringlich zeigen und fühlen, nachfühlen lassen.

Das "früchtelastig" fällt mir aufgrund des heutzutage in anderen Kontexten überstrapazierten "lastig" aus dem bildlichen Rahmen; warum nicht einfach, warum nicht "früchteschwer" (oder was Ähnliches)? Wäre dir das zu "trivial"?

Die Kamille --- ich denke dabei an wilde Kamille, logisch, und deren Duft hängt mitunter schon, vor allem nach einem heißen Sommer, durchaus noch in der Luft. Nein, nein, das würd ich nicht missen wollen ...
Ebensowenig wie den braunen Erdgeruch.

Zu den Kommata in der letzten Strophe: m E müsste hinter Erdgeruch noch eines hin.

Hab ich sehr gern gelesen!

LG,
scarlett

Gerda

Beitragvon Gerda » 22.09.2010, 11:13

Liebe Amanita,

vielen Dank für deine Rückmeldung.

Amanita hat geschrieben: Du hast das Septembertypische sehr gut eingefangen, ich gehe gerne mit!


Schön, das freut mich natürlich.

Amanita hat geschrieben:Ein paar Details hätte ich allerdings anzumerken.

1. Strophe: Warum doch? Du hast den September als Titel, da weiß man eigentlich schon, dass die Blätter sich anschicken zu fallen.

Das "doch" bezieht sich auf den "Späten Sommer". Kürzen ginge außerdem zu Lasten der Sprachmelodie.

Amanita hat geschrieben:2. Strophe: Vielleicht geht es nur mir so - mich stört das "Ächzen früchtelastig", und zwar eher grammatisch bzw. als Satzstellung. Die Begriffe finde ich beide gut, aber nicht so gesetzt.


Kannst du vllt. näher erläutern, warum das grammatiklaisch nicht passt. Mir leuchtet das nicht ein.
Amanita hat geschrieben:3. Strophe: Die rudimentäre Botanikerin in mir meldet, dass die Kamille eher ein Frühsommerblüher ist, auch wenn sie bis in den September durchhalten kann. Ich würde Kamilleduft nicht mit September assoziieren. Es ist natürlich einerseits sehr subjektiv und andererseits stereotyp, wenn ich jetzt mit Pilz- und Modergerüchen ankomme, allerdings riechts in meinem Garten wirklich so im Moment, während die Kamille lange verblüht ist.


Die wilde Kamille büht fleißig an den Feldrändern und duftet, ja, tatsächlich ganz sanft. ;-), es geht nicht um Garten und Kultur.

Amanita hat geschrieben:Außerdem habe ich Schwierigkeiten mit "braun". Abgesehen davon, dass diese Farbe leider auch politisch besetzt ist, finde ich sie hier unnötig, da Du ja schon den Erdgeruch hast und man weiß, dass Erde meistens eine bräunliche Farbe besitzt. An solchen Stellen finde ich einen Bruch oder eine unerwartete Wendung besser.


Der Bruch bzw. die Wendung findet sich in der Schlusszeile.
Zum "Braun": In Verbindung mit Erdgeruch käme ich nicht auf "Rechtes Gedankengut", dennoch überlege ich , ob ich nicht gerade an dieser Stelle etwas ändern werde ... weil der Geruch an sich nicht braun sein kann, nur die Vorstellung, die durch den Geruch erzeugt wird beihaltet die Farbe.
Darüber muss ich allerdings gründlich nachdenken.


Liebe Grüße in den sonnigen Tag
Gerda

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 22.09.2010, 11:42

Gerda hat geschrieben:Das "doch" bezieht sich auf den "Späten Sommer". Kürzen ginge außerdem zu Lasten der Sprachmelodie.


Ja, das Problem mit der Sprachmelodie kennen wir natürlich alle - mir würde die Melodie ohne doch aber nicht gekappt vorkommen. Mir ist das Doch nach wie vor ein zu starker Widerspruch - aber das mag wirklich subjektiv empfunden sein. Wie auch die Kamille:

Die wilde Kamille blüht fleißig an den Feldrändern und duftet, ja, tatsächlich ganz sanft. ;-), es geht nicht um Garten und Kultur.


Aber klar doch! Ich selbst bin nur sehr auf Jahreszeiten und Botanik "fixiert" und entdecke leichte Abweichungen schneller als mir lieb ist.

Kannst du vllt. näher erläutern, warum das grammatikalisch nicht passt. Mir leuchtet das nicht ein.


Vielleicht, weil mir an dieser Stelle der Sprachrhythmus nicht ganz gefällt und sich deshalb die Frage nach der Wortstellung auftut (bei mir), ob das Ächzen früchtelastig ist oder zieht (also Adjektiv oder Adverb).


Der Bruch bzw. die Wendung findet sich in der Schlusszeile.
Zum "Braun": In Verbindung mit Erdgeruch käme ich nicht auf "Rechtes Gedankengut", dennoch überlege ich , ob ich nicht gerade an dieser Stelle etwas ändern werde ... weil der Geruch an sich nicht braun sein kann, nur die Vorstellung, die durch den Geruch erzeugt wird beihaltet die Farbe [...]



Ich meinte aber den "adjektivischen" Bruch ... (also was anderes als "braun", da das mit Erde einfach zu nah assoziiert ist)

Natürlich wollte ich zu keinem Zeitpunkt was "Braunes" dem Text anheften, bewahre. Mir fiel das Wörtchen bloß auf, weil es m. E. eine unnötige Information ist. Ich "protestiere" übrigens insofern, als ich schon einen Geruch als braun oder andersfarbig empfinden könnte, aber dann ist Erdgeruch einfach erstmal braun - und die Geruchsfarbe wäre erst dann eine Erwähnung wert, wenn sie grün ist oder rötliche Flecken hat.

Ich hoffe, ich habe "kräftig erläutert" und mich nicht einfach wiederholt ... Liebe Grüße, Amanita

Trixie

Beitragvon Trixie » 22.09.2010, 12:02

Hallo Gerda,

ich kann dir jetzt sagen, was mich am Ächzen stört - sämtliche andere Sustantive in dieser Strophe haben einen bestimtmen Artikel, (das) Ächzen aber nicht. Das wirkt als hättest du den Artikel des Rhythmus wegen einfach weggelassen und das klingt komisch in meinen Ohren.

Liebe Grüße
Trix

Gerda

Beitragvon Gerda » 22.09.2010, 12:04

Liebe Trixie,

vielen Dank für deinen Kommentar.
Ich wiederhole jetzt mal nicht, was ich an Amanita bereits geschrieben habe, sondern versuche zu den anderen Punkte etwas zu schreiben.

Trixie hat geschrieben:das ist wahrscheinlich kein sehr hilfreicher Kommentar, aber dein Text erinnert mich stark an eines meiner absoluten Lieblingsgedicht - nur aus der ganz anderen Jahreszeit:

http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1 ... s#gb_found


Das finde ich interessant, dass du Ähnlichkeiten zu Eduard Mörickes "Er ist's" heraushörst. Vielleicht ist es der sanfte Ton?

Trixie hat geschrieben:Es klingt melodisch, angenehm, lächelnd. Es sieht hübsch aus. Es ist sehr positiv, finde ich. Obwohl sie explizit angesprochen ist, finde ich hier irgendwie nicht diese Wehmut, dieses Feststellen von Veränderung, dass die meisten Herbstgedichte so in sich tragen. Das mag an einem plötzlichen DU liegen, das angesprochen wird, so dass es von der reinen Naturbeobachtung abrückt, vielleicht auch, weil es "nur" um einen Baum geht, wie der Titel ja impliziert.


Geht es denn d. M. n. "nur" um den Baum?

Trixie hat geschrieben:Der Kamillegeruch erinnert mich an Kamilletee, was wieder von der reinen Naturbeobachtung abrückt, was mir auch ganz gut gefällt. Erkältungszeit, Schwächezeit. Oh, ich sehe gerade, dass da das Wort "vergehen" steht - mmh, nee, das gefällt mir irgendwie nicht so, das ist zu Zaunpfahl-mäßig...
Joah, mehr habe ich erst mal nach dem ersten Eindruck nicht zu sagen.


"Vergehen" ist eines meiner Themen, die ich immer wieder beackere, ich finde die Vieldeutigekeit sehr interessant. Du schreibst "zaunpfahlmäßig", hm das kann ich teilweise nachvollziehen, denn "Vergehen" ist ein ständiger Prozess der das Leben begleitet und hier geht es um den Duft, den "Vergehen" im Herbst mit sich bringt. Da weiß ich allerdings nicht, wie an der Stelle etwas ändern könnte.

Ich finde es witzig, dass dich Kamille an Erkältung erinnert, war nicht meine Intention ... aber warum nicht ;-).

Trixie hat geschrieben:Alles in allem hat es für mich einen sehr positiven, sachten Nachgeschmack, dem ich gerne noch nachgehen werde! (Hihi, nicht vergehen, sondern nachgehen. So soll das sein!)


Interessant auch diese Sicht, für mich ist es ein melancholisches Gedicht auf zwei Ebenen.

Trixie hat geschrieben:Vielleicht melde ich mich ein ander Mal hier nochmal, wenn mir noch mehr eingefallen ist, denn ich habe gerade das Gefühl, dass ich mich gerne hierauf einlassen möchte.


Gern, wenn du magst!

Dir wünsche ebenfalls einen schönen Septembertag
- leider wirst du ihn nicht so genießen können wie ich (im Garten) -
Liebe Grüße
Gerda

PS ... sehe gerade dein zweites Posting, auf das ich später eingehen werde, danke erstmal.

Gerda

Beitragvon Gerda » 22.09.2010, 12:19

Liebe scarlett,

scarlett hat geschrieben:die Zwiesprache mit dem "Septemberbaum" trägt für mich. Und sie trägt dieses Gefühl, dass sich wohl nur im September in mir breitmacht, des "schon nicht mehr" und "doch noch nicht".

Ich mag die leisen Bilder, die unaufdringlich zeigen und fühlen, nachfühlen lassen.


Vielen Dank für den einfühlenden Kommentar. Zwiesprache trifft es. Intendiert ist allerdings nicht ausschließlich eine solche mit dem Baum.

scarlett hat geschrieben:Das "früchtelastig" fällt mir aufgrund des heutzutage in anderen Kontexten überstrapazierten "lastig" aus dem bildlichen Rahmen; warum nicht einfach, warum nicht "früchteschwer" (oder was Ähnliches)? Wäre dir das zu "trivial"?


Zu trivial nicht, ich habe seit gestern gerübelt... mir fehlt natürlich dann eine Silbe ..., also grüble ich weiter.

scarlett hat geschrieben:Die Kamille --- ich denke dabei an wilde Kamille, logisch, und deren Duft hängt mitunter schon, vor allem nach einem heißen Sommer, durchaus noch in der Luft. Nein, nein, das würd ich nicht missen wollen ...
Ebensowenig wie den braunen Erdgeruch.


Unsere Empfindungen scheinen nahe beieinander zu liegen. :-)

scarlett hat geschrieben:Zu den Kommata in der letzten Strophe: m E müsste hinter Erdgeruch noch eines hin.

Hab ich sehr gern gelesen!

Danke nochmals, auch für das Komma. In einem relativ kurzen Text kann man die Satzeichen ja u. U. auch weglassen, dann allerdings konsequent und das ginge hier wegen der letzten Zeile nicht.

Einen schönen September-Mittwoch und liebe Grüße
Gerda

Max

Beitragvon Max » 22.09.2010, 20:52

Liebe Gerda,

zunächst nur ein spontaner gedanke zu Deinem Gedicht.

Das Aufspüren des Faustzitats scheint mir ein interessanter und gute Ansatz für ein Herbsgedicht zu sein, allerdings in seinem komplleten Kontext:

"Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!"

Da ist ja eine menge Herbst drin ... (wobei Faust II den gleichen Satz m.W. in einem anderen Kontext bringt).

Mehr später
max

Gerda

Beitragvon Gerda » 23.09.2010, 23:33

Lieber Max,

danke für deine Rückmeldung.
Es freut mich, dass du das magere Zitat als jenes aus dem Faust erkennst.
Ich bin gespannt, was du noch für Gedanken dazu äußerst.

Liebe Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 23.09.2010, 23:37

Liebe Amanita,

danke für deine nochmalige ausführliche Rückmeldung.
Ich bin noch sehr unentschlossen, was evtl. Änderungen angeht.
Das will fein abgewogen sein.

Liebe Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 23.09.2010, 23:42

Liebe Trixie,

dankeschön für deine Erläuterung bezüglich des "Ächzens".
Nachvollziehen kann ich das so nicht, wahrscheinlich weil ich die Melodie fix im Ohr habe ...
Mal alles setzen lassen, denke ich.

Liebe Grüße
Gerda


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