Mein Vater

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 11.02.2011, 10:05

Mein Vater

Die Art wie er Geräusche machte
Änderte die Räume
Es lag nicht an ihm
Nicht an den Worten die er benutzte
Oder an den Hosen die er trug
Nicht an der Art wie er meine Mutter in den Arm nahm
Nicht daran dass er das linke Bein nachzog
Oder daran dass er eine Brille trug
Es lag nicht an seiner Vorliebe für weinrote Pullover
Oder an seinem schütteren Haar
Nicht an dem fehlenden Eckzahn
Und seinen blauen Augen
Die Art wie er Geräusche machte
War mein Zuhause

Niko

Beitragvon Niko » 11.02.2011, 13:19

hey, xanthippe,

das kann ich gut nachfühlen. ich kenne das von dem eigenen vater auch so. und obschon er seit jahrzehnten tot ist, so gibt es ganz bestimmte geräusche, die mich sofort wieder zurückbringen.
gefällt mir nicht nur deswegen sondern auch allgemein sehr!

liebe grüße: niko

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.02.2011, 18:36

Hi Xanthi,

sehr nachvollziehbar und m.E. auch geschickt gemacht, wie du all die Details über den Vater hineingeschrieben hast.
Ein paar Anmerkungen:
Mit Großbuchstaben würde ich die Sätze nur dann beginnen, wenn es auch Sinn macht (der Automatismus der Großschreibung lässt sich in Word abschalten)
"Die Art wie er Geräusche machte" hast du zwei Mal drin, gleich zu Beginn und am Schluss. Ich fände es eindringlicher, wenn du es am Anfang wegließest und dafür am Schluss (evtl. mit einem Absatz davor) schreibst.
"Die Art wie er Geräusche machte war mein Zuhause"
dieses "war mein Zuhause" finde ich nicht so schön formuliert. Evtl.: "bedeutete" statt "war"?

Saludos
Gabriella

Klara
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Beitragvon Klara » 11.02.2011, 18:46

Hallo Xanthippe,
das finde ich ein berührendes, gelungenes, liebevolles gefühlvolles und doch ganz und gar nicht sentimentales lyrisches Kurz-Porträt.
gerne gelesen!

herzlich
klara

eve
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Beitragvon eve » 11.02.2011, 20:10

sehr schön. ich würde auch gar nichts daran ändern.

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 11.02.2011, 20:21

hallo xanthippe,

ich möchte mich den vorschreibern lediglich anschließen. ein anrührendes gedicht.

minimäkelei: über das doppelte "trug" bin ich gestolpert. vielleicht könnte man eins durch ein anderes wort ersetzen.

lg
a

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.02.2011, 11:42

Liebe Xanthippe,

also ich bin auch nicht die erste Krittlerin, muss jemand anders übernehmen .-).
Ich hab den Text schon gleich nach dem Einstellen gelesen und mir da noch verkniffen einfach nur zu schreiben, wie einfach schön ich diesen Text finde. Aber man soll sich ja nichts verkneifen, daher: ich finde den Text wunderbar weich, einfach gehalten und liebenswürdig.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.02.2011, 12:09

Hallo Xanthi,

ich reihe mich gerne auch noch ein. Ich lese es auch als ein warmes, weiches, ganz unverstelltes Gedicht und der Ton und die liebevollen Details scheinen das auch zu tragen. Die einzige Zeile, die mich nachdenklich macht, ob ich da vielleicht auch etwas zu weich lese, ist diese:
Es lag nicht an ihm
Weil das für mich ihn als Person, als Mensch quasi ausradiert und dadurch das Gedicht für mich einen seltsamen Beigeschmack bekommt. Ich würde daher überlegen, das "an ihm" zu streichen. (Eh sei denn natürlich diese Irritation ist von dir so gewollt.)

Die Wiederholung der Zeile: "Die Art wie er Geräusche machte" finde ich wichtig für die Bewegung im Gedicht.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 12.02.2011, 12:11

Liebe Xanthi,

auch mir gefällt der Text, ic würde sogar sehr geren noch mehr und längeres darüber lesen, wie das war, wie der Vater die Mutter in den Arm nahm etc.
Und es erinnert mich an einen frühen Text von Dir Lisa, der vermutlich hier nicht einsteht (ich glaube es ist überhaupt im "braunen Haus"), der ähnlich gut beobachtet (auch den Vater), aber mit fast gleichen Beobachtungen zu ganz anderen Schlüssen gelangt.
Man könnte daraus sehr gut ein Gedicht-Gegengedichtpaar machen.

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 12.02.2011, 12:17

Seufz, dann bin ich die erste, die krittelt.

Ich finde das inhaltlich auch wunderbar, liebe Xanthi. Eine Liebeserklärung an den Vater.

Aber: In der sprachlichen Umsetzung finde ich es alles andere als überzeugend, mit den Wiederholungen, den Negationen, dem manchmal umständlichen Satzbau. Für mein Empfinden dominiert das den Inhalt, so dass er zu wenig zur Geltung kommt.

Ich glaube, dass das noch viel stärker werden könnte, wenn es sprachlich anders gestalte würde.

Liebe Grüße

leonie

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.02.2011, 12:26

Ich bin etwas zwiegespalten - inhaltlich wirklich wunderschön. Nicht sentimental, nein.

Der Verdacht drängt sich aber auf, dass so mancher Leser etwas sentimental reagiert.
Beim ersten Lesen stolperte ich schon über die Wendung "Geräusche machen", und jetzt, nach mehrfachem Hineinschauen, kann ich noch immer nicht umhin, es nicht lyrisch genug zu empfingen.
"Es lag nicht an ihm", das finde ich in dem Zusammenhang nicht logisch. Wenn ich Geräusche mache, dann liegt es sehr wohl an mir, wie ich sie mache - oder bin ich da auf dem Holzweg?
Und natürlich ist das Geräusch des Gehens verbunden mit der Tatsache, dass jemand ein Bein nachzieht. Dass es ein "anheimelndes" Geräusch sein kann, steht außer Frage.

Also - die Idee finde ich toll. Denn ich spüre beim Lesen, wie sich ein Haus mit Leben füllt, dadurch dass eine nahestehende Person mit seinen ganz persönlichen Klängen agiert. Aber das Gedicht hat m. E. ein paar Schwachpunkte.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.02.2011, 13:05

Stimme dem zu. Das "an ihm" müsste raus, da sonst unlogisch, da alle seine Angewohnheiten "an ihm" lagen und vor allem in der Aufzählung ja auch ein Geräusch dabei ist (das Nachziehen des Beines).
Sentimental finde ich das Gedicht nicht, ich lese es als eine liebevoll detaillierte Erinnerung.

Niko

Beitragvon Niko » 12.02.2011, 17:39

wenn xanthi doch "es lag nicht an ihm" schreibt, dann ist das doch ganz klar darauf bezogen, dass es nicht an der person, dem menschen "vater" lag. erinnerungen funktionieren meist mit unscheinbarem, unbedeutendem. einer geste, einem duft, einer bestimmten art zu gehen, einer bestimmten art zu lachen. der vater ist hier sozusagen der oberbegriff eines details. so verstehe ich das. und das so manche leser sentimental reagieren: klasse! was will man mehr! das gedicht funktioniert. sentimentalität ist eine gefühlsregung. und mehr als ein gefühl ansprechen, sinne anzuregen, vermag kein gedicht. lyrik funktioniert meiner meinung nach nur mit herz und/ oder seele. andernfalls fehlt das wesentliche darin. es muss etwas zum schwingen bringen. und das ist hier auf eine gute art sehr geglückt!

liebe grüße: niko

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 12.02.2011, 17:54

Hallo Niko!

"Und mehr als ein Gefühl ansprechen, Sinne anzuregen, vermag kein Gedicht." Lies ergänzend: "bei mir"?! Ansonsten wäre diese Aussage... etwas gewagt. Gedichte an sich können nämlich ganz viel mehr :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)


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