Schlaflos

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 17.11.2011, 13:16

Schlaflos -

dann schmerzt mich das Mondlicht
mein Zimmer liegt weich im nächtlichen Blau
und atmet so fremd

ich höre die Dachtiere
kratzen und seufzen

Regengesichter
Buchstabenströme
Zukunftspläne

die Nacht friert zu
Zuletzt geändert von Amanita am 19.11.2011, 23:07, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 17.11.2011, 23:31

hallo amanita,

ein gedicht, das ich sehr gut fühlen kann. "dachtiere" ist mir irgendwie zu flachsig. das "weich" in zeile zwei irritiert etwas, weil mit "weich" überwiegend etwas positives assoziiert wird. aber davon mal ab ist der text für mich ein volltreffer. nur dies noch:
die nacht friert dem morgengrauen zu - das wäre auch ein feiner schluss gewesen. die spielerei mit dem morgen, der endlich die nacht und diesen zustand beendet auf der einen seite und das grauen auf der anderen seite. man tauscht das eine grauen gegen ein anderes....

sehr gern gelesen!

liebe grüße: niko

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 18.11.2011, 08:08

Lieber Niko, danke schön. Es müssen nicht die Dachtiere sein, aber ich hätt an dieser Stelle schon gern was Surreales, da die "normalen" Geräusche nachts ja eine andere Qualität bekommen, jedenfalls für den Schlaflosen (und wer einmal einen Marder im Dachstuhl hatte, weiß, dass es sogar gruselig laut werden kann!). Das weich habe ich ganz bewusst gesetzt, als Assoziation zum weichen Bett, das dem Schlaflosen trotz seiner "Kuscheligkeit" ungemütlich wird. Mit dem Zimmer ist es doch ähnlich: Man hat es sich i. a. so eingerichtet, dass man es schön findet, aber nachts kann der Blick hinein unangenehm werden.

Gruß von einer
Dauerschlaflosen (seit Kindheit, ich hatte sogar das zweifelhafte Vergnügen, als Baby Contergan zu bekommen)

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Eule
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Beitragvon Eule » 18.11.2011, 13:10

Hallo Amanita, gefällt mir super gut ! Verschlägt mir fast die Sprache (plapper ... ;-) ), nein, im Ernst. Find´ ich klasse ! Sehr eindrücklich und treffend beschrieben. Gruß !
Ein Klang zum Sprachspiel.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 19.11.2011, 13:42

Hallo Amanita,

wenn es vielleicht auch biographisch nicht passt: die Situation, die ich in deinem Gedicht als Angelegt empfinde ist eher ein erwacht-sein als ein schlaflos sein. Nur zur Verdeutlichung dessen, was ich meine: Wenn ich das behielte, wo das Ganze mir rund und nachvollziehbar ist, landete ich inhaltlich bei:

dann weckt mich das Mondlicht
mein Zimmer liegt im nächtlichen Blau
und atmet so fremd

ich höre die Dachtiere
kratzen und seufzen

Regengesichter
Buchstabenströme

die Nacht ist an

Was nicht heißen soll, dass es mir nicht gefiele, so wie es oben steht, im Gegenteil.
Schöne Grüße
Franz

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leonie
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Beitragvon leonie » 19.11.2011, 13:44

Liebe Amanita,

mir gefällt der Text auch sehr gut! Einzig die Zukunftspläne fallen für mich ein wenig aus dem Bild des Zufrierens.

Liebe Grüße

leonie

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.11.2011, 14:40

Danke, Räuber Kneißl und leonie, die Zukunftspläne sind vielleicht wirklich zu biografisch, die müssen auch nicht unbedingt drin sein (obwohl ich finde, das An-morgen-Denken ist ein typischer Grund für Schlaflosigkeit).

Das Mondlicht, das unangenehm geworden ist, möchte ich allerdings drin lassen, Räuber - Deine Version klingt mir zu schön.

Herby

Beitragvon Herby » 19.11.2011, 17:07

Liebe Amanita,

mit diesem Gedicht ist es dir, wie ich finde, wunderbar gelungen, einen eher unangenehmen Zustand poetisch umzusetzen. Da ich selbst (leider) dieses Übel nur allzu gut kenne, dachte ich beim Lesen: jaaa, so isset.

Amanita hat geschrieben:mein Zimmer liegt weich im nächtlichen Blau


Diese Bezeichnung finde ich gelungen; da die gedankliche Verbindung von "weich" zu "angenehm" nicht weit ist, wird so der Kontrast zum eigenen Liegen, das in der Schlaflosigkeit oft als Folter und alles andere als (angenehm) weich empfunden wird, indirekt verstärkt.

Amanita hat geschrieben:die Nacht friert zu


Hier gefällt mir, dass der von dir beschriebene Zustand der Schlaflosigkeit einen Prozess darstellt, der sich in dem zitierten Verb wiederspiegelt.

Gerne gelesen!

LG Herby

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.11.2011, 18:12

Hallo Herby, danke für das Lob!

Lass mich fragen: Mit den Zukunftsplänen oder ohne?

Herby

Beitragvon Herby » 19.11.2011, 19:05

Amanita hat geschrieben:Lass mich fragen: Mit den Zukunftsplänen oder ohne?


Ich würde sie inhaltlich unbedingt drin lassen. Nur fallen sie sprachlich aus dem ansonsten sehr bildhaften Dreierblock deines Textes raus. Schön fände ich es, wenn du für die Zukunftspläne einen ähnlich bildlichen Ausdruck fändest wie die Regengesichter und die Buchstabenströme.

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Beitragvon Amanita » 19.11.2011, 19:24

Lach, da ist mir schon was eingefallen ... aber wird es dann nicht zuviel - des Guten?

...

Regengesichter
Buchstabenströme
Sorgenmusik

die Nacht friert zu

Herby

Beitragvon Herby » 19.11.2011, 20:07

Amanita hat geschrieben:aber wird es dann nicht zuviel - des Guten?


mir persönlich nicht, aber das ist sicher subjektiv sehr unterschiedlich. Die Frage wäre, ob du von den beiden ersten evtl. eins rauslassen könntest. Wenn du sagst: Nein, dann würde ich beim Dreierblock bleiben.
Gibt es anstelle der Sorgenmusik noch was anderes? Ich frage mich, ob dieser Begriff die "Zukunftspläne" wirklich ausdrückt? Hm.... grübel :12:

Ich muss jetzt gleich den Trockner ausräumen und falten, da kann ich immer gut bei nachdenken :smile:

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.11.2011, 22:01

Dann falte mal den Trockner, Herby.

Natürlich habe ich nicht die Zukunftspläne "übersetzt", sondern eher das Gefühl, wie sie einen Schlaflosen nerven können.
Aber wie gesagt, es muss keine Dreierreihe sein, mir würden auch zwei Begriffe ausreichen.

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Beitragvon Amanita » 19.11.2011, 23:08

Ich habe mir mal beide Versionen aufgeschrieben und bin nun dafür, die Zukunftspläne einfach wegzulassen. Danke für Eure Tipps!


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