Haiku II

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Gerda

Beitragvon Gerda » 19.11.2011, 13:21

Version III

Zwischen Erdschollen.
Flattern Raben um Beute.
Sie narren mich.
©GJ20111128

Version II

Zwischen Erdschollen
Flattern Raben
Jagen Blicke weg.

©GJ20111126


Version I

Zwischen Erdschollen
flatternde Raben,
jagen den Blick fort.

©GJ20111112
Zuletzt geändert von Gerda am 28.11.2011, 12:57, insgesamt 2-mal geändert.

Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 22.11.2011, 23:57

Hallo Gerda,

wenn ich Dein Haiku richtig deute, dann sagt es: im Frühjahr, wenn die Bauern ihre Felder bearbeiten, flattern Raben umher, weil sie Samen fressen wollen. Und dieser Raub- und Radauzug lenkt den Blick des lyr. Ich ab. Es hat nicht mehr die Schönheit der aufblühenden Natur vor Augen.

Du fragst, ob die letzte Zeile zu nah am Betrachter ist. Eine gute Frage, aber, was wäre die Alternative? Hier ein Vorschlag:

Zwischen Erdschollen
flatternde Raben,
flatternde Raben!

Ob das jetzt soviel besser ist? Vielleicht fällt jemand eine andere, bessere Version ein?

Viele Grüße

Wolfgang

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Eule
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Beitragvon Eule » 23.11.2011, 10:14

Hallo Gerda, hier bilden die ersten beiden Zeilen einen Satz - was in dieser Literaturgattung nicht so oft vorkommt. In der Schlusszeile bleibt unbestimmt, wer/was wessen/welchen Blick fortjagt.

Mein Vorschlag:

Zwischen Erdschollen
Flattern Raben
Jagen meine Blicke weg.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 23.11.2011, 12:30

Lieber Wolfgang, lieber Eulerich,

für den Moment danke ich euch für eure Aufmerksamkeit. :smile:
Ich mag zur "Deutung" noch nichts schreiben, sondern erst einmal abwarten, ob vielleicht noch jemand eine Rückmeldung zum Text abgibt.
Zur Schreibung, Eule, du wirst vllt. lachen, ... einen solchen Versuch, den ich verwarf, hat es in der Entwicklung auch gegeben.

Herzliche Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 26.11.2011, 09:29

Lieber Wolfgang,

wenn deine Deutung des Haikus stimmig für dich ist, gerne.
Intendiert indes als Jahreszeit, ist der Herbst.
Hätte ich das Frühjahr gemeint, wäre die Wahl kaum auf "Schollen" gefallent. Üerdies kann in "Schollen" die Saat nicht eingebracht werden. Die Erde muss erst zerkrümelt, geeggt werden, bevor die Aussaat beginnen kann.
Auch brauchen die Raben im Frühjahr nur hinter dem Traktor her zu hüpfen ... was sie in großen Schwärmen tun.
Aber Raben fressen nicht nur Körner sondern auch Aas.

Mir geht es darum, dass Raben ein ganz bestimmtes überaus intelligentes Verhalten an den Tag legen um Beobachter - gerade auch den Menschen - abzulenken von ihrem Tun (Jagen den Blick fort), insbesondere dann, wenn sie Beute gemacht haben. Sie verstecken diese beispielsweise für den Beoachter sichtbar ... der aber von anderen Vögeln abgelenkt wird (Jagen den Blick fort), währendessen die Beute erneut versteckt wird und der Beobachter überlistet ist.

Ich bin dabei eine Haiku-Reihe zu schreiben, über "Nahrungssituation der Vögel im Herbst", wenngleich es bei Raben unabhängig von der Jahreszeit ist, dass sie "Heimlichtuer" sind. Nur, dass auch für sie die Nahrung im Herbst langsam knapper wird. Stell dir vor, einige Vögel haben ein Stück Aas gefunden, umflattern die Beute gerade aufgeregt und ein Beobachter kommt, bleibt stehen um dem Verhalten zuzusehen ...
Vielleicht kannst du mir folgen. Das "aufgeregt" habe ich nicht verwendet, weil darin eine Wertung des Beobachters läge. Ich glaube, dass die reine Beobachtung, vom "Flattern" zwischen den Schollen für den Leser trägt. "Flattern" birgt auch etwas von Aufregung in sich.

Ob dir das so einleuchtet? Ich bin gespannt.

Liebe dankende Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 26.11.2011, 09:34

Lieber Eule,

ich werde doch gern auf deine Version, die ja auch bei mir in die Vorauswahl kam zurückgreifen.
allerdings ohn das "meine", der Haiku kennt kein Lyrich, so viel mir bekannt ist und so bleibt offen wessen Blicke ...

Eule hat geschrieben:Zwischen Erdschollen
Flattern Raben
Jagen meineBlicke weg.


Schwierig finde ich noch die Wahl zwischen "weg" bzw. "fort" ... grübel.

Der Hailu wird lebendiger, durch die Verwendung des Präsenz,: "Flattern".
Das Partizip "Flatternde" macht den Text schwer, wie ich nun mit ein wenig Abstand erkenne.

Herzlichen Dank, ich werde das Kopfposting ändern.

Liebe Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 26.11.2011, 09:51

Möglicherweise ist der Haiku auch für wenig im Rabenverhalten bewanderte Leser völlig unverständlich.
ausführlich ginge es so vielleicht, verliert aber für mich sehr an Reiz.

raffinesse


zwischen erdschollen

aufgeregt aber alles im blick

hüpfen und flattern raben

tun als ob

ich sie nichts anginge

schicken meinen blick fort

vom aas

WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 26.11.2011, 23:42

Liebe Gerda,

nicht böse sein. Aber ich denke, ein Haiku sei eine Verdichtung von Sinnlichem oder Geistigem auf ein Bild. wobei innerhalb jedes Verses ein Bild aufleuchten sollte. Ausgehend von dieser klassischen Form stört mich, dass bei deinem Haiku Vers 1 und 2 zusammen ein Bild ergeben, nämlich die Raben zwischen den Erdschollen. Hinzu kommt, dass Erdscholle eine überflüssige Wortbildung enthält - Scholle allein reicht doch. Dass sie aus Erde sei, konnotiert man mit. Also ergäbe sich in der Verdichtung innerhalb des ersten Verses für mich:

"Raben zwischen Schollen" oder
"Zwischen Schollen - Raben"

und ich hätte in einem Vers das Gleiche hervorgerufen wie zuvor in zwei.

Hüpfen, flattern wären dann Umsetzungen des Unbewegten ins Bewegte in Vers 2.
Und der dritte Vers egäbe dann die Verbindung zum betrachtenden Ich. Ich verstehe allerdings nicht ganz, was du mit dem letzten Vers sagen möchtest. Wer verjagt den Blick? Worauf ruht der Blick? Oder was genau verjagt den Blick? Wird der Blick weggelockt oder abgelenkt durch die Flugbewegung der Raben? Oder bedeutet das Flattern eine Bewegung der Abwehr, die den Betrachter veranlasst, von etwas wegzuschauen?

Grüße

Wladimir

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Beitragvon Eule » 27.11.2011, 19:08

Hallo Gerda, in manchen Haiku kann es es sogar "du und ich" geben (las gerade ein solches von Shiki). Ganz rund finde ich Version II noch nicht, welche Blicke sind hier gemeint, wie wäre es mit "alle Blicke" oder "Schattenblicke" ?
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 28.11.2011, 11:56

Lieber Wladimir,

vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Haiku-Versuch.
Warum ich dir böse sein sollte versteh ich überhaupt nicht. :-)
Auf der Naturbeobachtung, als Grundlage stimme ich dir teilweise zu. Mir unbekannt ist indes, dass in jedem Vers ein Bild aufleuchten soll.
(Es gibt auch Haiku aus der Alltagswelt und den Senyru will ich nicht vergessen), hier ist mein Thema jedoch "Beobachtung" in der Natur.
Hast du vielleicht w. o. gelesen, was ich an Wolfgang schrieb?
Dann wird meine Intention möglicherweise klarer für dich und du findest Antwort auf deine Fragen.

Liebe Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 28.11.2011, 12:26

Liebe Eule,

danke, dass du noch einmal vorbeischaust. :-)

Für mich ist natürlich klar: Das Lyrich = Beobachter
Die Raben wolle nicht beobachtet werden, wie Lyrich aus der Forschung weiß.
Aber das Wissen darf nicht in die Beobachtung einfließen, der Leser hat die Aufgabe über die geschilderte bBgebenheit hinaus zu denken.
Der Leser sollte dennoch kein Rätsel lösen müssen, sondern eine Anregung erfahren.

Meinst du, dass es zu unbestimmt ist, diese karge Version das nicht leisten kann?

Ich probiere mal ...

Liebe Grüße
Gerda
Gibt es für die Haiku von Shiki eine Quelle im Netz?
... schon gefunden

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Eule
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Beitragvon Eule » 28.11.2011, 23:39

Hallo Gerda, Version III gefällt mir bisher am besten. Nicht wegen des personalen Bezuges, sondern in seiner Gesamtheit. Die ersten beiden Versionen wirkten nicht karg, sondern eher nicht ganz durchkomponiert (abgestimmt) auf mich. Die Punkte am Zeilenende empfinde ich aber als unnötig und damit eher störend.
Viele Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.


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