Peterchen, naturgescheitelt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 29.11.2011, 21:35

Peterchen, naturgescheitelt

unser obmann oberhirte
überbläser der solo-oboist
den jesus selbst
täglich in den arsch tritt
wenn er rotbeschuht dem boss
die böse botschaft bringt
auf ewig wie am ersten tag
zu berichten hat
vom zündhölzchen
vom dintenfass vom wackelphillip
mit einer römischen pralin im mund
im ranzen kaum sünden
aber hinten dran zwölf wagen
er schleppt sie hoch und legts
auch heut getreulich vor
lateinisch in beton gekratzt
das menschliche dixit
auch wenn es ihn gleich reut
er war es nicht der arme hund
es war nicht seine peitsch hier
kriegst den rohrstock
auf die ohren
den botenlohn du theolog
dafür kann ich nicht
so schreit er jämmerlich
das war der friederich
der bitterböse friederich

Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 02.12.2011, 10:31

Hallo Räuber Kneißl,

ich habe mir Dein Gedicht zehn mal durchgelesen und werde noch immer nicht schlau daraus.

Nach einigem googeln habe ich das Rätsel um die Peitsche gelöst: Friedrich Nietzsche war es, der gesagt haben soll, man solle die Peitsche mitnehmen, wenn man zum Weibe gehe.

Zum Dixit: das ist ein Kartenspiel, bei dem ein Begriff genannt wird, und den die anderen Spieler raten müssen. Da ich keinen blassen Schimmer habe, wie der Begriff lautet, nehme ich einmal an, es ist die Überschrift?

Demnach hast Du Dir zu einem "Peterchen" Gedanken gemacht.

Ich rate nun weiter: ein Theologe, der Ansichten wie Friedrich Nietzsche hat, ist die Ursache für Dein Gedicht und Du hast Dir Gedanken gemacht, was alles diesen Peter charakterisiert und es zu einem Dixit zusammengelegt.

Selbst wenn dem so ist, warum ihm dann Jesus in den Arsch tritt, kann ich nicht nachvollziehen. Die einzige Stelle in der Bilbel, die mir einfällt, ist die, als er die Händler verjagt. Aber Peter ist ja kein Kaufmann, sondern Theologe.

Ungeachtet dessen, glaube ich, der Begriff heißt: Peterchen.

Kriege ich jetzt einen Punkt?

Viele Grüße

Wolfgang

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 03.12.2011, 09:38

Hallo Wolfgang,

danke für die Rückmeldung, es gibt tatsächlich eine Art 'Schlüssel', auf die der Text an vielen Stellen Bezug nimmt, das ist der Struwwelpeter; den Ausdruck der 'bitterböse Friedrich' hatte ich als erklärend eingestuft, aber vielleicht sind die Geschichten nicht mehr oder nur noch Eltern bekannt ('Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich ...'). Auf den Struwwelpeter spielt der Titel an, es gibt die Geschichte vom Mädchen mit den Zündhölzchen, das Dintenfass prägt eine Geschichte und natürlich der Zappelphillip (auch der nicht bekannt?). Der böse Friederich schlägt mit der Peitsche einen armen Hund - und wird dafür ins Bein gebissen (http://de.wikisource.org/wiki/Der_Struw ... Friederich). Als Struwwelpeter angeschaut wird hier der Oberhirte - dh. der Papst, und zwar der mit der römischen Pralin im Mund, also konkrekt Benedikt - wer seinen bayerisch eingefärbten Singsang je gehört hat, wenn er italienisch spricht (alternativ die Gerhard Polt-Variante). Das menschliche Dixit, als lateinischer Spruch in den Beton gekratzt, demnach nicht ein Kartenspiel, beziegt sich auf die Form von Aussagen - insofern sie nicht argumentativ begründet sind, sondern einfach per Autorität gesetzt sind (ipse dixit - das war die ultima ratio, wenn einem gar nichts mehr einfiel, hatten die Pythagoräer wohl eingeführt, und ist eine Redewendung geworden). Hier ist das menschliche Dixit der zwölf Betonplatten gemeint als das Gesetz, das sich der Mensch eben aus eigener Autorität gibt, ohne Begründung (zusmmenfloßen die Assoziation an das Zwölftafelgesetz und die während der Entstehung des Gedichts in Wagen rollenden Castors).
Vermutlich habe ich dich zugetextet, es ist mir ein ungelöstes Problem, ob derKontext zum Struwwelpeter am besten schon von Anfang mitgeliefert werden sollten...
Schöne Grüße, Danke nochmals,
Räuber Kneißl

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 03.12.2011, 10:23

Hallo Räuber,
mir klang der Struwwelpeter von Anfang an im Ohr, ebenso der Papstbezug klar - da passt auch Peter finde ich. Dixit als altem Lateiner auch keiner Hürde. Finde ich schlüssig so, aber es ist schon möglich, dass der Text ohne die Voraussetzungen nicht erschließbar ist. Ist immer ein Risiko.
Gruß
Henkki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 09.12.2011, 20:33

Hallo Räuber

bitterböse. .-) Die Bezüge zum Struwwelpeter und dem Papst habe ich auch erkannt. Ich weiß nicht, wie verbreitet das Buch heute noch ist, ob es einen Hinweis bedarf. Wobei es denke ich auch ohne diesen Bezug gelesen werden kann, dann eben mit weniger Hintergrund.
den jesus selbst
täglich in den arsch tritt
Allerdings greifen diese Zeilen für mich nicht, weder von der Außen- noch von der Innensicht des Papstes. Dazu ist es denke ich zu weit weg von der gängigen Jesusvorstellung? Damit kippt aber das Gedicht inhaltlich für mich, ich würde es gerne etwas ernster nehmen können.
Etwas wie:
dem jesus täglich selbst
die andere wange hinhält

fände ich hier wesentlich interessanter?
es war nicht seine peitsch hier
kriegst den rohrstock
auf die ohren
Der Zeilenumbruch nach "hier" ist sehr gewagt, zumindest beim ersten Lesen bin ich daran hängengeblieben. Ist das so gewollt?
"Auf die Ohren" ist gut gesetzt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 10.12.2011, 14:39

Hallo Flora,

der grobe Einstieg sollte die Innensicht des Papstes charakterisieren, dessen immer devotes Bild mit dem Gott als strenger, hier auch grober Boss, dem er Rapport erstatten muss - ohne den Einstieg würde der Rohrstock später wohl auch entfallen müssen. Ich sehe den Reiz deiner Version mit der 'anderen Wange', aber zu Benedikts nuscheliger Unterwürfigkeit würde es m.E. nicht passen, Backenstreiche auszuteilen.
Der Umbruch bei 'hier' war ähnlich gedacht, ein grobes und abruptes Dazwischenhauen, vorweggenommene Reaktion auf die Suche nach dem Sündenbock .... (aber es ist hakelig, ich hatte es auch schon anders probiert, das wirkt dann sehr brav).
Danke für die Rückmeldung
Franz

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.12.2011, 15:20

Hallo Räuber,

der grobe Einstieg sollte die Innensicht des Papstes charakterisieren, dessen immer devotes Bild mit dem Gott als strenger, hier auch grober Boss, dem er Rapport erstatten muss - ohne den Einstieg würde der Rohrstock später wohl auch entfallen müssen.
Du (der Papst) setzt also Jesus und Gott hier gleich?
Ich sehe den Reiz deiner Version mit der 'anderen Wange', aber zu Benedikts nuscheliger Unterwürfigkeit würde es m.E. nicht passen, Backenstreiche auszuteilen.
Ich hätte das eher so gelesen, dass der Papst und seine Schäfchen die/seine/biblische/kirchliche ... Maßstäbe und Anforderungen nicht erfüllen und er sich fühlt, als würde er Jesus damit ins Gesicht schlagen. Umso schmerzhafter, dann die andere Wange hingehalten zu bekommen, und mit dem "Vorbild", den Maßstäben konfrontiert zu werden. Für mich hätte das mehr Brisanz und würde auch mehr "treffen", als zu versuchen das Jesusbild umzukehren oder mit dem Gottesbild des AT gleichzusetzen und du hättest diese beiden Aspekte drin. Dass der Papst Jesus mit Arschtritten assoziiert, kann ich mir nicht vorstellen, aber vielleicht fehlt mir da das katholische Verständnis. .-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 13.12.2011, 08:03

Hallo Flora,

Brisanz kann ich in deinem Vorschlag nicht erkennen - ist es nicht das katholische Grundverständnis, dass der Mensch, auch der Klerus, auch der Papst, immer wieder an der 'Welt' scheitert und deshalb der göttlichen Gnade und Stütze bedarf? Auch dass damit Jesus ins Gesicht geschlagen wird ist, glaube ich, klassische theologische Metaphorik, auch bei Evangelen, wobei ich als Beleg nur unscharfe Erinnerungen an Bach-Choräle reanimieren könnte.
Ein richtender und strafender Jesus ist dem katholischen Gottesbild nicht fern, (Jesus gemeint als die vermenschlichte Bezugsperson des Christus-Teils der Dreifaltigkeit). Das Grobe in seiner Aktion ergibt sich weniger aus AT-Assoziationen als eben aus dem Struwwelpeter, wo Verstöße gegen die ähnlich simplizistische Moralvorstellung, wie sie die Kirche verkörpert, ja auch sehr handgreiflich (schnipp schnapp, Daumen ab) geahndet werden.
'Arschtritt' ist ja auch nur bildlich verwendet, beschreibt eine drastische Kritik. die der aktuelle Vorstandsvorsitzende des Großunternehmens Kirche im geistlichen Zwiegespräch mit seinem Aufsichtsrat erfährt ...
Trotz dieser Mengen an Einordnungsversuchen des zugegeben provokanten Texts - will sagen, trotz anderer Ansicht nehme ich schon ernst, was du anmerkst und, wie sagt man, bewege es in meinem Herzen...

Danke und schöne Grüße
Franz

pjesma

Beitragvon pjesma » 13.12.2011, 21:00

mit verlaub, greift das gedicht von zu vielen seiten die symbolen auf und dadurch wird mir zu konstruiert, gewollt...struwwelpeter symbolik kann ich schon wirklich nicht mit christentum und moral verbinden...struwwelpeters würzel sollte man in hoffmanscchem beruf suchen---er war ein psychiatar---und dem zu folge sind bei genauem betrachten alle gedichte aus struwwelpeter psychiatrische bilder---alle ohne ausnahme---zappelfillip, verwahrlosung, adhs(hans guck in die luft), magersucht, zündeln, sadismus...etc. eine schwache brücke zu at könnte die blutrunstigkeit bilden. aber die blutrunstigkeit des at hat mit (neutestamentarischen) jesus wenig zu tun...mener meinung nach, und mit dem "ein richtender und strafender Jesus ist dem katholischen Gottesbild nicht fern" premisse kann ich überhaupt nicht konform gehen. eher in gegenteil, ein verzeiehnder und liebender.
daher geht das gedicht für mich nicht auf obwohl es sich bemüht. vielleicht grad deshalb.

lg

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 22.12.2011, 22:09

Hallo Pjesma,

die Auffälligkeiten, die Hoffmann thematisiert, haben alle ihre Pathologien, das wird schon so sein, aber daneben sind es eben alles auch völlig normale kindliche Verhaltensweisen. Ich finde es hanebüchen, den Beruf des Autors als Deutungsschlüssel jeder Arbeit unterzulegen, da würde ich sogar so einen schrägen Vogel wie Hoffmann in Schutz nehmen. Er hat einen sehr eigenartigen Humor, aber mit seiner Engführung von Ursache und Wirkung etwa beim Suppenkaspar bewegt er sich im ganz alltäglichen (für mich Katechismus-nahen) Fehlverhalten-Strafe-Denken.

Den Hinweis auf das Überladene/Konstruiert-wirkende sehe ich; vielleicht versuche ich noch mal eine schlankere Version.
Mit einem Jesus, der zu menschlichen Aktivitäten, wie dem Parken von Atommüll-Fässern in Salzstöcken (oh, Mist, die rosten, die Fässer? Wußt ich nicht, dass das jetzt schon passiert, dachte die halten noch 10000 Jahre ... ) sagt: Schon gut, vergeben und vergessen, hab euch lieb, ihr Schlingel - mit so nem Jesusbild hätte ich wieder meine Mühe ...
Grüße
Franz

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annette
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Beitragvon annette » 23.12.2011, 11:49

Hallo Franz, hallo pjesma,

religiöse Erziehung und schwarze Pädagogik haben für mich sehr viel miteinander zu tun. In beiden geht es um Autorität, um Dogmen und um Strafen. Deshalb finde ich die Verknüpfung in dem Text auch sehr sinnreich.

Ja, etwas überladen kommt das Gedicht zwar daher. Aber mich hat es erstmal gar nicht gestört, das macht es auch interessant, es gibt viel zu entdecken. Denn auch wenn man den Papst und den Struwwelpeter recht schnell entschlüsseln kann, bleiben viele Andeutungen, die mich neugierig gemacht haben. Die Castor-Bezüge konnte ich nicht herauslesen.

Zum Verschlanken hab ich im Moment keine Vorschläge, bin aber gespannt.
Gruß - annette

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.01.2012, 18:00

hi räuber, da bin ich damals ausgestiegen, weil ich keine zeit hatte. daher jetzt, noch mal muss ich ein "warum?" einwerfen, diesbezüglich:
"Mit einem Jesus, der zu menschlichen Aktivitäten, wie dem Parken von Atommüll-Fässern in Salzstöcken (oh, Mist, die rosten, die Fässer? Wußt ich nicht, dass das jetzt schon passiert, dachte die halten noch 10000 Jahre ... ) sagt: Schon gut, vergeben und vergessen, hab euch lieb, ihr Schlingel - mit so nem Jesusbild hätte ich wieder meine Mühe ..."
warum hättest du damit ein problem? ist zwar sehr karriekiert, dein jesus, aber kariakturklein sind in grunde auch die übergroße menschliche erwartungen an "gott"...(in zeit und raum betrachtet)...vielleicht? oder nicht? erwartet man von gott dies alles, gerechtigkeit und freiheit und friede...wer soll die richten? wenn "jesus" ein göttliches, universelles prinzip sein sollte, wie sollte sich dies prinzip in einzelnem manifestieren, ohne eigenes dazutun, ohne wissen von gut und falsch, und kausalitäten? bzw. wie kann dem mensch das verzeihen bewusst werden, dem nicht bewußt ist, dass er was falsches getan hat---oder, der zumindest sehr viele irrdische ausreden dafür hat?

(jedenfalls muttu hoffman nicht von mir verteidigen ;-), das ist mein auswendigkennschatz, meine erste lektüre in deutscher sprache)

lg, pjesma


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