Bienentanz

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 10.06.2012, 10:54

Bienentanz

Verlaufen! So nah an Zuhaus und verlaufen.
Die Flügel sind ganz intakt, aber staubig,
nur die Beine knicken immer neu dem Staub zu,
so kullert das Tierchen übers Kreuz
und übt von vorn die liegende Acht.
Zeichne doch mal eine Uhr, vergessliche Biene!
Die Staubnadeln gehen allesamt falsch, bleiben hängen,
wieder neuer Grund für die Beinchen,
scheint, dass sie ganz gerne nachgeben,
lieber in die Luft treten und stoßen,
als nach unten, wo hart die Steine liegen,
der Bodenkriecher ewiges Außenrum
und Staub, der so dumm klebt,
mitfliegen will, als ob diese Beinchen hier
von Wiesen tanzten und blühendem Klee.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 10.06.2012, 11:07

Wunderschön!

Die Verse tanzen, wie der Titel verspricht. Auch wenn sie vergeblich tanzen, wenn sie einen Todestanz tanzen.
Und ich wundere mich wieder (wie immer, wie mein Leben lang schon), wie das sein kann, dass etwas so Grausames, wie diese ersten zwei Zeilen, so schön sein kann. Dieser Todeskampf hat eine sprachliche Anmut, die - im Gegensatz zu den staubbeschwerten Flügeln der Biene - schwebt und tanzt und fliegt.

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.06.2012, 11:23

Lieber Räuber,

mir ging es genau wie Xanthi. Ich freue mich an den tanzenden Worten und merke erst, als ich fast am Ende angekommen bin, dass der Inhalt dem diametral entgegen steht. Ich bin beeindruckt.

Liebe Grüße

leonie

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 11.06.2012, 17:59

Lieber Franz, was ich hier lese, ist für mich ein sehr schöner Text aus einem Naturbuch der alten Schule - vielleicht für Kinder oder Jugendliche geschrieben (Hermann Löns?). Und es ist für mich ein Prosatext:

Verlaufen! So nah an Zuhaus und verlaufen. Die Flügel sind ganz intakt, aber staubig,
nur die Beine knicken immer neu dem Staub zu, so kullert das Tierchen übers Kreuz
und übt von vorn die liegende Acht. Zeichne doch mal eine Uhr, vergessliche Biene!
Die Staubnadeln gehen allesamt falsch, bleiben hängen,wieder neuer Grund für die Beinchen,
scheint, dass sie ganz gerne nachgeben, lieber in die Luft treten und stoßen,als nach unten,
wo hart die Steine liegen, der Bodenkriecher ewiges Außenrum und Staub, der so dumm klebt,
mitfliegen will, als ob diese Beinchen hier von Wiesen tanzten und blühendem Klee.


Okay, für Prosa sind die Sätze schon ziemlich lang, daher ist der Umbruch vielleicht doch sinnvoll. Braucht es eigentlich den ersten Satz? Ich glaube, dass dieses Bienchen sich nicht verlaufen hat, sondern einfach geschwächt ist, weil es sich kurz vor seinem natürlichen Lebensende befindet. Aber wer weiß das schon. Den ersten Satz würde ich darum weglassen.

so kullert das Tierchen über Kreuz - nicht übers Kreuz. Ein Insekt hat kein Kreuz.

So, jetzt aber genug gekrittelt, mir gefällt es im Grunde natürlich außerordentlich, dass du einen Text über die Nöte so einer kleinen Kreatur schreibst! Ja, da hast du ganz genau hingeschaut und Worte gefunden, die uns die Bewegungen, die anhaftenden Staubteilchen, präzise vor Augen führen. So genau sollten wir alle öfter mal auf das Kleine zu unseren Füßen schauen.

Viele Grüße
fenestra

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 11.06.2012, 19:05

Hallo,
danke für die Rückmeldungen. Zu lobenden ist ja immer schwer, etwas zu sagen - außer dass ich Sorge hatte, dass das Ganze sarkastisch oder kitschig ankommt - was nicht der Fall zu sein scheint.
Der erste Satz ist ein klein bisschen Staffage, da hast du Recht, Fenestra; ebenso die Zeile mit der Uhr oder der Mini-Exkurs über die Last der Bodenkriecher mit den Steinen. Ohne diese Dinge würde es sicher ganz ins Prosaische schwenken. Das Ranführen dieser 'menschlichen' Dinge wie eben Vergesslichkeit, Verlaufen (Uhr-Zeichnen ist ein Standard-Test auf Demenz) ist poetologisch sicher nicht up-to-date, aber das muss/will das Gedicht ja auch nicht sein. Ich denke, wenn der Tod vom Bienchen irgendwie berührt, dann eben weil man solche Brücken/Verwandtschaften ins menschliche Verfallen sieht.

(Hermann Löns war übrigens das andere 'echte' Buch, das es in meiner Kindheit gab - der Rest waren Readers Digest; das erste Buch, vom Vater gut versteckt in der Hoffnung auf immense Wertsteigerungen in der Zukunft 'Mein Kampf')
'Kullert über Kreuz' scheint mir nicht optimal (würde ich als Leser bei einer Biene vermutlich nicht verstehen), ich hatte nur den Rücken vor Augen und tendiere momentan dazu, die biologische Unschärfe in Kauf zu nehmen.
Schöne Grüße
Franz


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