Ich ward zum Tag aus einem Silberkelch gegossen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Steffi

Beitragvon Steffi » 10.05.2006, 15:43

Ich ward zum Tag aus einem Silberkelch gegossen*

Ich ward zum Tag aus einem Silberkelch gegossen;
Die Kühle, die bis eben mich umgab, entschwand,
Zu nüchtern war die taube Angst, die ich empfand,
Als meine Sinne weich von deinem Körper flossen.

Dein schwarzes Haar wand lockig sich in Wellentälern,
Es holt das Schöne mir für kurze Zeit heran.
Ich ging, du lagst und sahst mit feuchtem Aug’ mich an,
Als würde dir das Weinen deinen Schmerz verschmälern.

Ich wandt’ den Blick dem Morgenblüh’n entgegen:
Errötet troff es von der Himmelswand wie Regen,
Rann sanft hinab auf eine Frühlingsblütenschar;

Doch matt und krank liefst du mir nach und ich erschrak,
Als ich erblickte, was auf deinem Antlitz lag:
Nun zieren hundert graue Strähnen glattes Haar.

* Inspiriert von Goethes "Willkommen und Abschied"

Max

Beitragvon Max » 11.05.2006, 17:16

Liebe Steffi,

nach der "Facette" ist dies nun Dein zweites Gedicht hier (oder habe ich was übersehen?). Und, ich denke, es ist ganz klar: Du hast ein sehr genaues Gefühl für Sprache und vor allem für das Metrum - anders gelingt einem kaum ein perfektes Sonett. Wenn ich ein kleines "aber" hinzufüge, dann hat das mit der Form zu tun: sicher hast Du einen Hang zur klassischen Form; ich finde das eine Bereicherung und einige Grassgedichte (u.a.) zeigen ja, dass das auch heute noch geht. Ich denke, man muss dann allerdinsg besonders behutsam bei der Wortwahl sein: die letzte Zeil goethelt oder (das noch viel eher) schillert mir ein wenig zu stark - es erinnert mich nicht nur von der Form, sondern auch vom Inhalt her sehr an die Klassik (nun ist mehr Kritik durchgekommen als sollte - ich finde das Gedicht trotz dieser sehr gut).

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 11.05.2006, 19:48

Hallo Steffi!
Besonders das Ende (wenn Du für "Antlitz" noch ein anderes Wort findest) gefällt mir.

Man merkt die verbindung zum "Willkommen und Abschied" aber wirklich sehr. trotzdem gefällt es mir, dass die rollen gewechselt sind.

Das ganze Gedicht ist schön und stimmungsvoll. Aber: Lebst Du in einem Zauberwald? Ich stelle mir die Umgebung so vor.

Ach ja:

Zu nüchtern war die taube Angst, die ich empfand,
Als meine Sinne weich von deinem Körper flossen.


-Das ist am Schönsten, sehr gut!

Es hat Spaß gemacht das zu lesen.

LG, louisa

Gast

Beitragvon Gast » 11.05.2006, 22:11

Liebe Steffi,
ich lese mit Erstaunen und Bewunderung dein Sonett, obwohl es nicht meinem Geschmacksempfinden entspricht.
Aber ich seh Qualität, ein wenig vermisse ich halt Experimentierfreude...

Du könntest doch wenn du Lust hst vielleciht den Faden, ich glaube in der Schreibwerkstatt mit deinen sonetten beglücken, da Carl nun fort ist steh ich da allein herum ;-)

Bist du denn die Steffi, die den Preis gewonnen hat?
ich schau da im Moment nicht durch.
Das hieße du bist sehr jung...
Alle Achtung, ich sag ja immer, die Jgend von heute, die hat's drauf :smile:

Liebe Grüße
Gerda

Steffi

Beitragvon Steffi » 13.05.2006, 10:45

Hallo Max,
Ja, du hast Recht, es ist erst das zweite Gedicht hier. Ich mag es nicht meine Texte stapelweise zu hinterlassen, außerdem bin ich kein Vielschreiber und da gehen mir schnell die Gedichte aus ;). Warum ausgerechnet die letzte Zeile dich daran zu sehr daran erinnert, musst du mir noch mal genauer erklären, das habe ich nicht verstanden. Die Zeile aus Goethes Gedicht, die ich halb übernommen habe, ist bei mir der dritte Vers im zweiten Quartett. Und ich weiß, was du meinst, wenn du sagst, dass es etwas altmodisch ist ;).

Hallo Louisa,
Danke für das Kompliment :). Nein, ich lebe dann doch in der ganz normalen Realität ;). Ich hatte Goethes Gedicht in einer Deutschklausur als Thema und daraufhin habe ich mich dann noch genauer damit auseinandergesetzt. Eine zusätzliche Anregung gab mir ein Gedichte von Claude levampyre. Danke fürs Lesen :). Für Antlitz fällt mir im Moment leider auch nichts besseres ein, muss ja auch von der Betonung her stimmen. Ansonsten ist der Text eh etwas altmodisch, da fällt es nicht übermäßig ins Gewicht.

Hallo Gerda,
Ich werde gleich mal in die Werkstatt schauen. Ja, ich hab den Preis gewonnen, freu mich total :). Ich bin 18 ;). Wenn man 18 ist möchte man das eigentlich nicht mehr hören, dass man noch sehr jung ist, aber es scheint wohl so :D. Lisa wird in den nächsten Tagen noch ein bisschen was über meine Person einstellen, sie hatte mich gebeten einen kurzen Text über mich zu schreiben. Mit der Experimentierfreude haperts oftmals, aber ich gelobe Besserung.

Liebe Grüße,
Steffi

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.05.2006, 10:55

Hallo Steffi,
haben wir dieselbe Klausur geschrieben? Ich finde das übrigens wunderschön (von Goethe). Deines ist aber fast noch angenehmer zu lesen, weil man sich besser identifizieren kann O:) .

Morgendliche Grüße, louisa

Max

Beitragvon Max » 15.05.2006, 13:34

Liebe Steffi,

ich musste über Deine Antwort an Gerda schmunzeln - gerade, dass Du nicht hören willst, dass Dub noch jung bist, verrät Dich ;-).
Auch das mit dem Vielschreiben (oder eben nicht) kann ich gut verstehen, geht mir genauso.

Du hast (nachdem ich den Goethe gelesen habe, erkenne ich das), natürlich recht, dass der Goethe weiter oben "zitiert" wird. Trotzdem ist der Tonfall (gerade mit dem schon diskutierten Antlitz= in der letzten Strophe am altertümlichsten und auch die Wendung dort hat mich an eine Schillerballade denken lassen (nun, es gäbe ja Schlimmeres).

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon Lisa » 15.05.2006, 17:01

Hallo Steffi,

ich hänge mal den Text von Goethe an, auf den du dich beziehst, dann hat man einen besseren Vergleich:

Willkommen und Abschied
(Frühere Fassung, 1771)

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!
Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht.
Schon stund im Nebelkleid die Eiche
Wie ein getürmter Riese da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah schläfrig aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr.
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch tausendfacher war mein Mut,
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.
Ich sah dich und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,
Ich hofft es, ich verdient es nicht.
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund und sah zur Erden
Und sah dir nach mit nassem Blick.
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Willkommen und Abschied
(Spätere Fassung, ~1785)

Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück


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Dein Text behandelt aber doch ein völlig anderes Thema als der Goethe-Text,oder irre ich mich? Ich meine aus beiden "Vergänglichkeit" zu lesen, aber auf völlig andere Weise.

Am stärksten und wirklich großartig finde ich Titel bzw. erste Zeile. Das ist eine ganz einprägsame Dichtung.

Strophe 3 und vier empfinde ich als deutlich schwächer als die ersten beiden Srophen. Insgesamt sind es mir zuviele Apostrophe um das Sonett einzuhalten, besonders dieser Vers liest sich eigentlich anders für mich:

Ich ging, du lagst und sahst mit feuchtem Aug’ mich an,


Auch das würde in der nächsten Zeile finde ich nicht völlig gelungen...Als
würde dir das Weinen deinen Schmerz verschmälern.


Was ich insgesamt an deinem Gedicht wirklich schätze, ist, dass du es schafft "alte" Sprache und Ausdrücke so zu arrangieren, dass sie lesbar bleiben für eine Welt, in der ich lebe...das schafft eine Besonderheit von Welt für mich.

Mit Goethe kann ich allerdings ziemlich wenig anfangen (obwohl ich dem alten viel zu sehr verhaftet bin). Ich empfinde ihn nicht als außergewöhnlich. Einzig seine Farbenlehre möchte ich irgendwann einmal endlich lesen.


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