das leise ziehen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
ecb

Beitragvon ecb » 17.04.2013, 13:18

die tage erfüllen sich
in notdurft und mit dem
was sich ergibt - jenem
spiel, worin wir immer am ende
als anfänger dastehn

ein paar türen knarren

wir werden zurück sein
von wo wir kamen
dann, nicht wahr, zeigen wir uns
was wir fanden
wer die schönste marmel gewann

........................

die tage erfüllen sich
in notdürftigkeit und mit dem
was sich ergibt - jenem
spiel, worin wir immer am ende
als anfänger dastehn

ein paar türen knarren

wir werden zurück sein
von wo wir kamen
dann, nicht wahr, zeigen wir uns
was wir fanden
wer die schönste marmel gewann
Zuletzt geändert von ecb am 23.04.2013, 08:23, insgesamt 1-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.04.2013, 22:43

abgesehen davon, dass ich das wort "marmel" nicht kenne, erfüllt mich dein gedicht mit einer seltsamen leere, eva.
da ist nichts warmes, ansprechendes in den zeilen, ich kann sie für mich nicht aufdröseln- sie bleiben außen vor, ein schönes, kaltes bild, eine schneekönigin neben einem erfrorenem kai.

die notdurft ist auch eher ein sprachliches missgeschick.

scarlett

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.04.2013, 00:30

hallo eva
ich finde es nicht kalt, eher sehr melancholisch und traurig...aus einem dunkel in ein anderer, und dazwischen das bisschen leben...aus nichtsein in nichtsein und dazwischen das bisschen sein vermüllt mit zeitverlusten...eva kennst du das gedicht von w. szymborska "Eine Version der Vorkommnisse"? daran hat mich dein gedicht sofort erinnert :-)...und an das ende
"Einige
traten gar den rückweg an.
Doch nicht in unsere Richtung.
Und so, als trügen sie? Etwas Gewonnenes?"

über das wort notdurft könnte man streiten, das ist empfindungssache, denk ich...mich stört es nicht so sehr, notdurft ist alles was man muss, nicht nur "müssen" ;-), schlafen, wärme, futter, wasser...auch vieles was man denkt dass ein Muss ist---warten dass ein lahmes pc etwas hochlädt, zbsp ;-)))...wenn man bedenkt wie kurz ist das etwas zwischen zwei nix, bin ich dafür dass man nicht allzuviel zeit an unnötigen zwängen verprasselt...sondern versucht ganz tolle marmel anzusammeln (was auch immer ein marmel ist...ich lese es mir zu recht als murmel---verbessere mich bitte)
lg, pjesma

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5722
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 21.04.2013, 01:23

Eine Marmel (= Murmel, ich habe das Wort in diesem Sinn schon gehört) bezeichnet ja eigentlich etwas Wertloses, dem quasi ein symbolischer Gewinn beigemessen wird - für Kinder ein Wunderding in doppeltem Sinn, weil es den Spielgewinn bezeichnet und auch wunderschön aussieht, wenn man sie mit kindlicher Phantasie betrachtet - wird man älter, verliert sie ihren Zauber und entpuppt sich als wertloser Schmonzes ...

Eigentlich eine idealer Metapher für Desilluionierung infolge Erwachsenwerdens.

Beim ersten Lesen schien mir die zweite Strophe des Gedichts auf etwas Transzendentes außerhalb des Alltags hinauszuweisen - beim zweiten Lesen hält die "Marmel" das Versprechen nicht. Ein Großteil des Lebens wird für alltägliche Nichtigkeiten verplempert und der Preis, den wir zwischendurch für unser Streben nach Idealen erringen, ist bei näherem Hinsehen auch nichts wert - ein trauriges, melancholisches Gedicht ...

Nachtgruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Amanita
Beiträge: 5650
Registriert: 02.09.2010
Geschlecht:

Beitragvon Amanita » 21.04.2013, 09:00

Ohne Zweifel, es ist traurig. Resignierend. Weil dumme Spiele, am Ende das Gewinnen einer Marmel, hier einen Großteil des Lebens ausgemacht haben (werden). Genau da empfinde ich auch jene Kälte, von der die liebe Scarlett spricht: Das soll alles gewesen sein? Und betrifft uns alle gleichermaßen?? Nein. Für mich kann es kein "Gewinnen" im Sinne eines Lottogewinns oder einer hübsch-bunten Marmel geben, für mich ist das Leben etwas anderes. Daher schließe ich mich und andere aus dem Wir aus. Mag sein, dass es einige Menschen so sehen. Aber das wäre mir für ein Wir zu individuell.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 21.04.2013, 09:22

Hallo Eva,

mich irritierte auch das Wort "Notdurft" in diesem lyrischen Kontext.


Was hältst du davon, die Sache umzukehren? Etwa so:

notdürftig, mit dem
was sich ergibt
erfüllen sich die tage...


Ich wusste auch nicht, was "Marmel" heißt, aber intuitiv habe ich daran gedacht. Im Wörterbuch habe ich gelesen, dass Murmeln früher so hießen, weil sie aus Marmor hergestellt wurden.

Kann es sein, dass du mit "Marmel" Gedicht meinst...?

Nichts zu machen: Der Rilke scheint für alle Zeiten die schönsten gefunden zu haben, und er rückt sie nicht mehr raus!


Liebe Grüße,

Carlos

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 21.04.2013, 13:26

Hallo Eva,

da ist wirklich viel Resignation und Leere in deinem Gedicht. Als kalt empfinde ich es nicht, sondern als ziemlich traurig. Den Vorschlag von Carlos, das Wort "notdurft" in "notdürftig" zu ändern, finde ich gut. Ich glaube, insgesamt würde dein Gedicht stärker wirken, wenn du es in der Ich-Form schriebest.

Saludos
Gabriella

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.04.2013, 17:22

ich lehne mich sonst oft gegen ein "wir" im gedicht, aber hier sehe ich wirklich nicht wie man es vermeiden könnte ohne das gedicht ganz zu zerpflücken und zu was absolut anderem zu machen. dieses "wir" ist für mich ein "wir werden alle geboren-wir" und ein "wir werden alle sterben-wir", das ist ein wir, im welchen wir (!) alle gleich sind und daher finde ich meine ach einzigartigkeit mit diesem "wir" nicht bedroht...gedicht fügt mich nicht zwanghaft zu einer gruppe oder handlung die mir fremd sind und zu der ich nicht gehören möchte...es ist nicht beispielsweiße,"wir- die diebe, die mörder, die romantiker, die köche, die selbstgerechten...etcetc). das ist ein wir-die menschen. und das sind wir alle...und das ist unser los, eben...einer kommt, anderer geht...ein paar türe knarren.
ebenso:wie wurde ein fund und marmel vergleich in ich form gehen, wüsste ich nicht?

(eva, könnte ein marmel mit marmor zu tun haben?)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 21.04.2013, 17:42

pjesma hat geschrieben:das ist ein wir-die menschen. und das sind wir alle...und das ist unser los, eben...einer kommt, anderer geht...ein paar türe knarren.
ebenso:wie wurde ein fund und marmel vergleich in ich form gehen, wüsste ich nicht?

Stimmt, da ist was dran.

Benutzeravatar
Amanita
Beiträge: 5650
Registriert: 02.09.2010
Geschlecht:

Beitragvon Amanita » 21.04.2013, 18:02

Gabriella, ich wollte Dir gerade zustimmen wegen der Ich-Form, aber leicht wäre das Umschreiben wahrlich nicht.

Andererseits möchte ich bei diesem Marmel-Wettbewerb außen vor bleiben. Meine Tage füllen sich - gefühlt jedenfalls - auch nicht nur mit dem, was sich ergibt. Vielleicht gehen "wir" dahin, woher wir kommen, mag ja sein. Aber die Spuren, die wir hier hinterlassen, sind in meiner Sicht nicht nur Spiel und Wettbewerb (also leicht flüchtig), sondern durchaus mit Inhalten gefüllt - womit ich jetzt nicht nur die intellektuelle Schiene meine. Dieses Nichts, das diesem Gedicht nachhallt, diese merkwürdige Ironie am Ende: Eine Sichtweise, für die ich Verständnis habe, die ich sogar interessant finde. Aber mitmischen möchte ich da irgendwie nicht - als Teilchen vom Wir. Mich stößt das ab, sobald - wie ich oben schon andeutete, weil ich es so lese - behauptet wird: So ist es.

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.04.2013, 18:17

amanita, du bringst zwei mal das wort wettbewerb in spiel, und hier sehe ich gar kein wettbewerb und empfinde es als fühltest du dich unausgefördert ausgefördert, irgendwe persönlich getroffen. auch sehe ich nicht wie du dich aus diesem wir entziehen könntest, dass ein MENSCH ist, bei allem strampeln(?). geboren, gestorben, dazwischen gelebt. wir. alle. einer ist leonardo, anderer ist zeitdieb, aber ob das dem *universum* was ausmacht wie wichtig wir uns persönlich nehmen, ist fragwürdig. und, so ist es.

Benutzeravatar
Amanita
Beiträge: 5650
Registriert: 02.09.2010
Geschlecht:

Beitragvon Amanita » 21.04.2013, 18:24

Ist "wer die schönste marmel gewann" nicht als Wettbewerb gemeint?
Dann habe ich es wohl falsch verstanden.

Ja, so wie ich das Gedicht (vor allem seine letzte Aussage) bislang verstand, fühle ich mich in der Tat (fast) getroffen.

ecb

Beitragvon ecb » 21.04.2013, 18:33

Das Wort "Notdurft" ist hier in einem umfassenderen Sinne verwendet, der auch in ihm enthalten ist. Ob das sehr poetisch klingt, darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein, mir schien es am besten das zu treffen, was ich meinte, und so ist es ja zum Teil auch verstanden worden.

Für mich als Nordlicht waren das "Marmeln", mit denen ich aufwuchs, und auch ich hatte nachgelesen, daß es einen Zusammenhang mit Marmor geben soll, aus dem die Spielkugeln ursprünglich hergestellt worden sein sollen.

Auch über Wert und Unwert von Spiel und Spielzeug läßt sich streiten. Ich selbst neige der Auffassung zu, daß in allen Dingen die Schönheit im Auge des Betrachters liegt.

Das "Wir" des Gedichts bezeichnet eine Sichtweise, die daher aus der Perspektive des Schreibenden heraus alle Menschen einschließt. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber. Ein Gedicht ist ein Angebot, mehr nicht. Ein Angebot kann man annehmen oder ablehnen, es muß nicht einmal zur Kenntnis genommen werden.

Umso mehr danke ich euch für eure Gedanken, ich freue mich darüber, und ich hoffe, daß ich auf die wichtigsten aufgeworfenen Fragen eingegangen bin, die zum Teil ja auch schon von anderen LeserInnen in meinem Sinne beantwortet wurden.

Liebe Grüße
Eva Bild
Zuletzt geändert von ecb am 21.04.2013, 18:35, insgesamt 1-mal geändert.

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.04.2013, 18:34

daher wäre mir wichtig zu hören von eva was marmel wirklich bedeutet. ich sehe irgendwie zwei möglichkeiten: als murmel, wäre es für mich im sinne "das kostbarste dem leben entreisen, liebe erleben, geben, gelebt haben" in dieser kurze lebenspanne zwischen geburt und tod.
als marmor wiederum verstehe ich es im sinne "wer uns würdigte und unser leben, wie wir den hinterbliebenen in erinnerung bleiben, was hinteruns bleibt bevor es irgendwann entdgültig verblasst"
wenn jetzt eine dritte möglichkeit auftaucht für murmelbedeutung, lasse ich mich noch weiter verwirren ;-) ...jedenfalls, lässt mich das fürs erste nicht von dem gedicht los.

in einem sind wir uns dann doch auch einig, denke ich, in dieser betroffenheit...es ist schwierig nicht persönlich zu nehmen diesen kosmischen scherz, bewustsein zu haben und doch auch nur sterblich zu sein...wie jede ameise :-(
lg
Zuletzt geändert von pjesma am 21.04.2013, 18:39, insgesamt 1-mal geändert.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 69 Gäste