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Schwalbe

Verfasst: 14.05.2006, 15:17
von Thomas Milser
22/XII/2002

Schwalbe



Die eine Schwalbe brachte wie erwartet
den Sommer nicht,
die anderen blieben direkt zuhause.
Sie hatten es wohl kommen sehen.

Ständiges Novembernass bis ins Feinripp,
grauer Star schon früh am Morgen,
Sicht unter zehn Meter.

Niemand ist am Telefon,
die schöne Welt so farblos und blass,
des Malers Pinsel verkrustet in der Zimmerecke.

Ohnmacht linst hervor unter Stiefmütterchen,
Münder bewegen sich lautlos im Kosmos
meines Badeschwamms, Stahlwolle grob.

In Scheiben geschnittener Wahnsinn
tanzt Ringelreihn auf der Auslegeware,
garniert mit Gürkchen, und singt Volkslieder.

Im Aquarium der prähistorische Liebes-Fisch,
nicht an die Scheiben klopfen, bitte.
Letztes lebendes Exemplar seiner Art.

Hölzernes Gestell mit Okular gebaut,
was den Blick nach vorn aufrecht erhält,
bis der Wurm sein Ziel erreicht.

Den Mut auf kleine Ampullen gezogen
und tiefgefroren.
Zeit für die Tagesration.

Aber selbst die Lilie
verneigt sich nur,
wenn es regnet.

Oder es dem Ende zugeht.

Verfasst: 15.05.2006, 11:11
von Last
Hallo Thomas,

dieses hier gefällt mir bei Weitem nicht so gut wie "unheil". Es sind zu viele Bilder, die da aneinander gereiht sind, um mein Interesse über die Zeit hinweg aufrecht zu erhalten, der Mittelteil flacht enorm ab, während Anfang und Ende recht ansprechend ausfallen. In den ersten neun Strophen gibt es auch neun verschiedene Bilder, wärst du selbst motiviert, neunmal zu entschlüsseln? Mein Tipp wäre da einige Strophen ganz zu streichen, oder irgendwie zusammen zu fügen.
Die Strophen mit denen ich mich dann beschäftigt habe, fand ich allerdings interessant, die ersten beiden ließen mich schmunzeln ("bis ins Feinripp") und vor allem das hier finde ich super:

Aber selbst die Lilie
verneigt sich nur,
wenn es regnet.

Oder es dem Ende zugeht.

Verfasst: 15.05.2006, 12:06
von Thomas Milser
Hi Last.
Wieder mal danke für Deinen Kommentar.
Einzig die Strophe 'Hölzernes Okular...' ist mir eigentlich auch etwas über, ansonsten ist das aber eine Bildcollage, die ich so schon vertreten kann, und auch meine damalige Empfindung widerspiegelt. Es ist ja immer die Frage der Intention, ob man ein Gedicht für sich selbst (als Therapie gewissermaßen) herunterschreibt oder es von vornherein zur Veröffentlichung aufbereitet. Letzteres mache ich eigentlich nur in meiner Prosa, der Lyrik möchte ich keine Regeln setzen. Dazu ist sie einer Improvisation (wie in der Musik) zu artverwandt, und es geht mir mehr um den Moment des Schaffens als um das fertige 'Produkt'.

Gruß, Tom.