Verdunkelung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
ecb

Beitragvon ecb » 12.09.2013, 21:47

auf der andern seite die helle sichel
knapp über dem horizont
mein langer schatten schwatzt vor sich hin

spielt ein spiel, darf nur worte sagen
die in gedichte hineingehören
mit keiner silbe deuten sie

die wahrheit an, wie sie mich enthält
mein langer schatten verfällt ins kichern
im park auf der bank die füße im schnee

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 14.09.2013, 10:02

Hallo Eva,

gefällt mir gut, die Mischung aus Beobachtung und leicht surrealistischem Sprach-Reflex. Einzig die Zeile 'die wahrheit an, wie sie mich enthält' fällt für mich aus den Gestus des Textes raus, das beißt sich mit dem exaltiert-ironischen Ansatz.

Grüße
Räuber

ecb

Beitragvon ecb » 14.09.2013, 17:59

Vielen Dank, Räuber, du legst den Finger auf den schwachen Punkt des Textes. Ich habe das auch so empfunden, leider ist mir drei Tage lang nichts Besseres eingefallen. Ich suche noch nach einem bildhaften Ausdruck für dieses merkwürdige Verhältnis zur Wahrheit - gerade fällt mir "schluckt" oder "verschluckt" ein, wie wäre das? Im Zusammenspiel mit dem schwindenden Licht? - Jede Hülfe willkommen!

Liebe Grüße
Eva

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 18.09.2013, 08:08

mir gefällt dieses "enthält", weil es auch etwas von enthaltsam hat, also von fehlen, ich lese diese zeile daher durchaus doppeldeutig, die wahrheit, wie sie sich mir vorenthält sozusagen, das lese ich mit. vielleicht kann man das noch eindeutiger machten, aber auf jeden fall gefällt es mir sehr viel besser als die wahrheit, wie sie mich verschluckt...

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birke
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Beitragvon birke » 18.09.2013, 08:27

ich finde das sehr schön, eva.
und mit dem "enthält" geht es mir wie xanthippe, für mich ist es passend hier, und auch ich las diese doppeldeutigkeit mit.
(einzig über das "schwatzen" stolpere ich jedes mal, wäre es mein text, würde ich wohl eher ein "murmeln" oder etwas in der art bevorzugen - aber das ist einfach mein persönlicher eindruck.)

lg,
birke
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 18.09.2013, 08:52

ich sehe den Zusammenhang schwatzen - schwarz

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 18.09.2013, 10:14

Hallo Eva,

das gefällt mir auch sehr. Schwatzen - schwarz klingt für mich auch mit, und das "schwatzen" passt für mich gut zum Tonfall. Beim "enthält" bin ich zwiespältig, ich mag Xanthis Leseweise, aber trotzdem fällt die Zeile auch für mich ein wenig heraus, vielleicht aber eher weil die große Wahrheit darin steht. Ich könnte mir an ihrer Stelle auch gut "Das Leben" vorstellen. Das würde aber, wie auch mit schluckt oder verschluckt, dann in eine etwas andere Richtung gehen. Außerdem mag ich das Klangspiel von enthält - verfällt.

Die Wiederholung des langen Schattens bräuchte es für mich nicht, mir würde ein "er" genügen, um den Bezug herzustellen. So wirkt es etwas zu betont, oder zeilenfüllend auf mich.

Der Titel ist klasse!

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

ecb

Beitragvon ecb » 18.09.2013, 19:00

Das mit dem "schwatzen" (doch, doch, es muß "schwatzen" sein, birke) und "schwarz" hatte ich selbst noch gar nicht bemerkt, es paßt aber genau, deshalb vielen Dank dafür!

Nein, "schluckt" oder "verschluckt" macht es nicht besser, obwohl auch für mich das "enthält" nach wie vor etwas herausfällt, weil es abstrakter ist als eigentlich vom Ton des Gedichts her beabsichtigt, dem Gemeinten aber am nächsten kommt. Aber auch mir liegt an diesem Anklang von "enthält" und "verfällt", Flora, deshalb lasse ich es vorläufig dabei.

Die Wiederholung von "mein langer schatten" hat hier natürlich in erster Linie eine formgebende Funktion, sowohl für die Länge und den Leserhythmus der Zeile als auch als Wiederholung, was ich manchmal ganz gern mag in Gedichten, weil sie etwas abrunden helfen können.

Habt alle vielen Dank für eure hilfreichen Gedanken. Bild
Liebe Grüße
Eva

wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 27.10.2013, 09:10

Hallo Eva,
mir geht es bei dem Gedicht ganz anders als den Kommentatoren vor mir. Ich kann mit dem schwatzenden und kichernden Schatten, der dann auch noch nur Worte sagen darf.... usw. leider nichts anfangen. Es ist für mich kein funktionierendes lyrisches Bild. Es sei denn es ginge ums Stimmenhören (psychopathologisch gesehen:=)
Ein Schatten könnte einen Riss haben und sich damit plagen, wieder auf die Beine zu kommen usw. usw. und viele (ganz andere) Möglichkeiten, aber schwatzen.... ich weiß nicht recht.
Außerdem geht es ja um Dich, denn es ist Dein Schatten, also bist Du es, und da ist es für mich dann am Ende sogar so, als würdest Du über Dich selbst lachen.

Grüße und einen schönen Sonntag
Wolf

ecb

Beitragvon ecb » 27.10.2013, 20:40

Da hast du unversehens ziemlich genau ins Schwarze getroffen, Wolf :-)
Also schient es doch zu funktionieren, irgendwie ... :pfeifen:

Danke dir!

Liebe Grüße
Eva


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