Am Meer

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 25.10.2013, 10:15

Am Meer


Er stand am Ufer
(salzene Meereszunge
gelbblutender Mond auf den Riffen)
mit schwerer Seelennässe
verwittert
wie die kleinen Buhnen

Er wünschte sich
er wär
ein Leuchtturm
kein gespannt entleertes Wesen
wie der Schwimmer
vor dem Sprung

Von Jahr zu Jahr kam er
auf stickigen Straßen
mit gelblich
sickernden Lichtern daher
von den Häusern
der brüchigen Stille

den kurzatmigen Sonntagen mit leeren Vasen
Tschaikowski und hellrotes Badewasser
Trotzender Gesang auf leere Phrasen
trieben wieder
und wieder
Laternensplitter in die Haut

Er stand und stand wie reusenleer und war bereit
bis er vom Klang der Messingglocken in der Ferne
vom Fauchen und vom Fluchen
aus des Meeres Kehle den schmalen Lebenspfad
wie nach langem Suchen
gefunden hat in sich

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.10.2013, 19:53

Hallo Wolf,

dein Gedicht finde ich sehr ansprechend. Es schafft eine wundersam-meditative Stimmung in mir. Und es klingt auch sehr schön, wenn man es laut liest. Die Wiederholungen zeigen hier ihre Wirkung. Auch hast du kreative Worte gefunden wie z.B. 'gespannt entleertes Wesen', 'kurzatmige Sonntage', 'reusenleer'. Zudem gefällt mir, wie sich die Farben wie ein roter Faden durch dein Gedicht ziehen.
Nur eine kleine Anmerkung, als Anregung:

wolpertinger hat geschrieben:Er stand und stand wie reusenleer und war bereit
bis er vom Klang der Messingglocken in der Ferne
vom Fauchen und vom Fluchen
aus des Meeres Kehle den schmalen Lebenspfad
wie nach langem Suchen
gefunden hat in sich


Hier würde ich das "wie" rausnehmen und in der letzten Zeile schreiben:
in sich gefunden hat --> liest sich flüssiger, melodischer

Das "in sich" am Ende empfinde ich beim Lautlesen als kleinen Stolperstein.

Liebe Grüße
Gabi

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 26.10.2013, 09:59

Ich höre und atme das Meer in diesem Gedicht. Es imponiert mir.

Vielleicht hat Gabriella Recht.

Sollte es aber nicht dann "in sich gefunden hatte" heißen?

wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 26.10.2013, 17:02

Hallo Gabrielle,
Danke sehr.
zu Deinem Vorschlag; Ursprünglich hatte ich sogar vorgehabt, das -in sich- allein in einem letzten Vers zu stellen, was aber nicht recht ging, da die letzte Strophe dann 7 Verse gehabt hätte. Für mich war es schon wichtig, erst zu sagen, dass er es gefunden hat und dann, wo.
Und was das "Wie" angeht: Er hat ja eigentlich nicht gesucht, sondern plötzlich gefunden (vom Glockenklang, vom Meeresfauchen hingeführt). Und darum Wie nach langem Suchen, sonnst wäre es in diesem Zusammenhang ein anderer Sinn.
Ich hatte das Gedicht hier eingestellt, weil es eines ist, von dem ich immer dachte es sei etwas zu "schwülstig" und vielleicht nicht modern genug für die Thematik.
Umso mehr freue ich mich, dass es nun so angekommen ist.

Hallo Klimperer
zu Deinem Einwand: "gefunden hatte": Im Prinzip schon, aber ich denke "gefunden hat" ist hier im Gesamtkontext einerseits nicht zwingend als Präsens anzusehen. Andererseits soll gesagt werden, dass von ihm etwas gefunden wurde, was er behalten wird, und "hatte" würde von dem wieder etwas zurücknehmen.
Danke sehr, dass Du Dich damit auseinandergesetzt hast.

Grüße
und ein schönes Wochenende Euch beiden.
Wolf

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.10.2013, 17:14

Hallo Wolf,

ich finde es sekundär, ob die letzte Strophe dann eben 7 Verse hat.
wolpertinger hat geschrieben:Für mich war es schon wichtig, erst zu sagen, dass er es gefunden hat und dann, wo.

Dann würde ich das "in sich" auch konsequenterweise in eine neue Zeile setzen. Es hat zudem den Vorteil, dass man dann eine Pause einlegt davor und so die Bedeutung des "in sich" hervorgehoben wird.

Liebe Grüße
Gabi

wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 26.10.2013, 17:52

Hallo Gabriella,
ja, das sollte ich wohl machen,ich würde dann in der letzten Strophe den ersten Teil des 4. Verses zum 3. hinzufügen, denn ich sehe, das geht auch

Er stand und stand wie reusenleer und war bereit
bis er vom Klang der Messingglocken in der Ferne
vom Fauchen und vom Fluchen aus des Meeres Kehle
den schmalen Lebenspfad
wie nach langem Suchen
gefunden hat
in sich

Weil ich es in dem Fall besser finde, wenn auch die letzte Strophe 6 Verse hat.
Danke Gabriella
Grüße
Wolf

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.10.2013, 18:07

Hallo Wolf,

bin ich jetzt deppert?
wolpertinger hat geschrieben:Er stand und stand wie reusenleer und war bereit
bis er vom Klang der Messingglocken in der Ferne
vom Fauchen und vom Fluchen aus des Meeres Kehle
den schmalen Lebenspfad
wie nach langem Suchen
gefunden hat
in sich

Das sind doch auch 7 Verse.

Wie wäre denn:

Er stand und stand wie reusenleer und war bereit
bis er vom Klang der Messingglocken in der Ferne
vom Fauchen und vom Fluchen aus des Meeres Kehle
den schmalen Lebenspfad wie nach langem Suchen
gefunden hat
in sich


Liebe Grüße
Gabi

wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 26.10.2013, 18:18

Hallo Gabriella,
ja natürlich sehe ich jetzt, und siehst Du nun, wo mein Problem lag mit dem "In sich" ?
Es ginge natürlich, wie Du es jetzt vorschlägst, aber wie nach langen Suchen würde ich doch allein stehen lassen wollen, kurzum ich lasse es einfach so wie es ist.

Ganz lieben Dank
Grüße
Wolf

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.10.2013, 18:27

Hallo Wolf,

ich glaube auch, dass die Versumstellung eine Verschlimmbesserung wäre. Lass es, wie es ist, ja.
Was du allerdings machen könntest (du verwendest am Beginn ja auch Klammern): einen Gedankenstrich vor "in sich" zu setzen. Das wäre noch eine Option, durch die eine Pause eingelegt und das "in sich" verstärkt würde, ohne eine neue Zeile zu setzen.

Liebe Grüße
Gabriella


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