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Vergreif mich
Verfasst: 09.11.2013, 12:14
von wolpertinger
Im Sturzlicht der Vögel
ein Beben
hautnackt beschattetes Weiß
nimm zusammen
den traumstarken Flugmut
entarme die Wunden
den Mund
oder dich selbst
Vergreif mich aufrecht
im Staubgeflimmer
geduldlos
und aufrecht
und immer wieder
über dem Boden
dort unten ist`s
siedendheiß
Später
viel später
wenn wir
darniederliegen
trifft uns nicht mehr
die Schuld
und kein Schattenschlag
der Gefieder
Verfasst: 09.11.2013, 20:11
von scarlett
ich bin fasziniert von den wortschöpfungen, die mir zwar einerseits "celanisch" daherkommen, dann aber auch wieder nicht.
anfangs wollte ich das "vergreif mich" als aufforderung des li ans du lesen, nachdem aber in der letzten strophe von schuld die rede ist, neige ich jetzt doch dazu, das als aussage des li zu lesen.
das hinterlässt einen ungutes gefühl, weil sich an etwas/jemandem vergreifen ist übergriffiges verhalten und negativ konnotiert.
hier würde ich! den zeilenumbruch anders setzen
geduldlos und aufrecht
insgesamt empfinde ich das gedicht als irgendwie bedrohlich, die eingangsszenerie - zwar saustark in der formulierung - unterstützt dieses gefühl, und der doch versöhnlichere schluss ist für mich letztlich keiner, wenn ich das gedicht so verstehe, wie ich meine, dass du es verstanden haben willst.
oder ists am ende nur ein traum?
sehr nachedenklich,
scarlett
Verfasst: 09.11.2013, 20:52
von birke
hallo wolf,
stark, wahrlich, wenn auch /mir/ (besonders zu anfang) etwas zu überladen.
da erschlägt ein (gutes) bild das andere ...
so dass ich am ende nicht mehr weiß, was du eigentlich sagen willst.
lg, birke
Verfasst: 10.11.2013, 10:08
von wolpertinger
Hallo scarlett,
hallo birke,
Danke sehr, dass Ihr Euch damit besschäftigt habt.
Ich denke über Eure Einwände nach.
@scarlett, erst einmal soviel: es hat von meiner Idee her nichts mit dem übgriffigen (an etwas vergreifen) zu tun.
Grüße
Wolf
Verfasst: 10.11.2013, 10:50
von scarlett
also dann doch sowas wie "du ... ver_greif mich" ... greif mich überall? zer_greif mich?
oder "ich ... "?
sca
Verfasst: 10.11.2013, 11:03
von birke
... "begreif mich"?
Verfasst: 10.11.2013, 11:04
von scarlett
aha - be_greife mich ... auch gut.
Verfasst: 10.11.2013, 12:40
von wolpertinger
Hallo Scarlett,
ja, aber an "zer..." würde ich selbst nicht denken, denn das hat ja auch etwas zerstörerisches, meine ich.
Verfasst: 10.11.2013, 12:42
von scarlett
stimpt!
Verfasst: 11.11.2013, 18:48
von Hetti
Hallo,
anfangs hatte der Text auch für mich etwas Bedrohliches.
Jetzt habe ich „vergreif“ einmal ausgetauscht mit „Vergriffen“, also, auf-gebraucht oder „nicht mehr vorhanden“, „selbst weggenommen“. Sowohl in der Überschrift als auch in der ersten Zeile des zweiten Verses.
Sofort bekommt der Text Bedeutung für mich. Wunderbar. Im zweiten Vers schon nett, aber im dritten Vers wirkt die Vorstellung sich aufzubrauchen, nicht mehr da zu sein, Schuld hinter sich lassen, auf mich einfach wunderbar (durch Sex/Liebe/miteinander schlafen/Innigkeit – das lese ich doch richtig, oder?). Wobei ich hier die Zeile „Trifft uns nicht mehr die Schuld“ nicht als reale Schuld an etwas Bestimmten der Akteure auffasse. Eher, dass vorparadiesische Zeiten angebrochen sind. Schuld wird genommen.
Vergriffen – nicht mehr vorhanden –neu entstehen (wie lange hält dieser Zustand an???).
Das Bild des Vogels beschäftigt mich noch: Sturzlicht der Vögel / Flugmut / kein Schattenschlag der Gefieder. Das Fabelwesen Greif. Kann hier die Erklärung liegen, weshalb du den eher ne-gativ besetzten Begriff „vergreifen“ gewählt hast?
Viele Grüße
Dede
Verfasst: 11.11.2013, 19:08
von wolpertinger
Hallo Hetti,
Danke sehr.
Deine Sicht auf das Gedicht gefällt mir sehr; was soll ich weiter dazu sagen....
Etwas hatte mich anfangs irritiert, dass Du einzelne Verse nanntest; ich merkte dann aber, dass Du natürlich Strophen meintest.
Grüße
Wolf