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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 14.02.2015, 15:53

Tagelang umfing mich geflüsterter Jubel.
Sätze und Silben, die so gut zueinander
passten, dass sie sich auslöschten,
bevor sich etwas abzeichnete,
feststand, in die Erinnerung
eindringen konnte.

Sie anreichern und füllen,
den Raum noch enger machen,
diesen winzigen, einzigen
Punkt,
der ist.






[Leerzeile dank Floras Anmerkung]
Zuletzt geändert von Xanthippe am 19.02.2015, 08:17, insgesamt 1-mal geändert.

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birke
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Beitragvon birke » 17.02.2015, 00:00

liebe xanthi, ich wollte erst nichts schreiben hier, denn dieser text lässt mich etwas ratlos zurück, aber dann dachte ich, ich schreibe doch mal einfach, was mir durch den kopf geht. ;)

also, bis „eindringen konnte“ kann ich folgen, diese zeilen, den einstieg, finde ich sogar sehr ungewöhnlich und vielversprechend. aber dann verliert mich der text ...

wie sollten die sätze und silben, die ja nicht mehr existieren, (weil sie sich (gegenseitig?) ausgelöscht haben), angereichert und gefüllt werden, und womit? und wie kann durch anreichern der raum enger gemacht werden? und dann, der punkt.
alles läuft auf diesen punkt zu. (der ja auch explizit am schluss steht, das finde ich schön). ausgelöscht, angereichert, auf den punkt gebracht? aber was?

möglicherweise geht es ja nur mir so, und ich stehe nur auf dem berühmten schlauch ;)

liebe grüße
birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 17.02.2015, 13:38

Die Frage ist doch, Birke, ob dieser Text verstanden werden will, ob er sich nicht bewusst paradoxerr Aussagen bedient, um jeden Verstehensversuch zurückzustoßen, mit anderen Worten, rätselhaft sein und bleiben will ... So kommt er mir zumindest vor, schon der geflüsterte Jubel ist paradox, die Sätze und Silben, die so gut zu einander passen, dass sie sich auslöschen - ebenfalls - denn gerade wenn Sätze und Silben gut zu einander passen, übermitteln sie eine Botschaft und löschen sich nicht aus. Und dann ist die Erinnerung ein Raum, der angereichert und enger gemacht werden kann, also auf jeden Fall ein Raum - doch zum Ende schnurrt er zusammen zu einem winzigen, einzigen Punkt, von dem dann auch noch, als sei er Gott, bombastisch behauptet wird, er sei der einzige Punkt, der ist. Ein Texträtsel, das man als solches stehen lassen und respektieren sollte. Es will nicht verstanden werden - sondern uns allenfalls - wie ein unbegreiflicher Traum - verhexen!
Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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birke
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Beitragvon birke » 17.02.2015, 14:00

ja, das mag wohl sein, und dann wirkt der text ja auf dich ähnlich wie auf mich, quoth.
(ich erwarte ja auch keine antwort in dem sinne, sondern wollte zum ausdruck bringen, was der text in mir für fragen aufwirft.)
lg, birke
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 17.02.2015, 15:27

"Geflüsterter Jubel" ist in meinen Ohren keine paradoxe Aussage. Man kann auch jubeln, wenn der Nachbar schläft -- jubeln ohne Stimmband, bloß mit Atemgeräuschen; wenn man heißer ist, oder wenn man völlig stumm ist. Stumme können jubeln. Man kann dazu auch wild mit den Armen fuchteln, dann ist zwar der Ton leise, aber das Bild laut.

Ich finde den Text gut gemacht. Mit Hexerei hat das für mich nichts zu tun, sondern mit dem, was da konkret steht.


Ahoy

P.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2015, 17:20

Hm, für mich war der Text eigentlich gar nicht rätselhaft und geflüsterter Jubel ist für mich auch nicht paradox. Ich finde das alles gut nachvollziehbar und auch das beschriebene Gefühl des „ersten Teils“ kenne ich (wie ich es verstehe). Allerdings würde ich überlegen, vor „Sie anreichern und füllen“ eine Leerzeile zu setzen. Der „zweite Teil“ nimmt für mich den Titel auf.
Birke hat geschrieben:wie sollten die sätze und silben, die ja nicht mehr existieren, (weil sie sich (gegenseitig?) ausgelöscht haben), angereichert und gefüllt werden, und womit?
Für mich sind es neue Sätze, die angereichert und gefüllt werden, ein neuer Versuch des Schreibens, weil es eben anders gesagt werden muss.
Birke hat geschrieben: und wie kann durch anreichern der raum enger gemacht werden?
Ich lese es anders aufeinander bezogen. Es wird versucht, die Sätze auf andere Weise zu füllen, anzureichern, indem man den (Zeit)Raum (über den man erzählt) noch enger macht, sich mehr konzentriert. Es ist die Frage nach dem "wie", wie kann man das "Jetzt", diesen einzigen Punkt, der "ist", fassen, sagen, so dass es bleibt, in die Erinnerung eindringt, etwas über sich hinaus sagen kann.
Birke hat geschrieben:und dann, der punkt.
alles läuft auf diesen punkt zu. (der ja auch explizit am schluss steht, das finde ich schön). ausgelöscht, angereichert, auf den punkt gebracht? aber was?
Das Jetzt?
Vielleicht schustere ich mir das auch für mich zusammen, aber mir gefällt, was ich da lese. :)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 17.02.2015, 17:56

Pjotr hat geschrieben:"Geflüsterter Jubel" ist in meinen Ohren keine paradoxe Aussage. Man kann auch jubeln, wenn der Nachbar schläft -- jubeln ohne Stimmband, bloß mit Atemgeräuschen; wenn man heißer ist, oder wenn man völlig stumm ist. Stumme können jubeln. Man kann dazu auch wild mit den Armen fuchteln, dann ist zwar der Ton leise, aber das Bild laut.


Vielleicht statt Paradox ein Oxymoron? Vergleichbar dem "brüllenden Schweigen". Die von Dir geschilderten Situationen, in denen Jubel leise kann, sind sehr überzeugend, aber im Text sind sie nicht einmal angedeutet.

Birke und Flora: Bezieht sich das "Sie" in der 7. Zeile auf "Sätze und Silben"? Für mich bezieht es sich auf "Erinnerung". Erinnerung ist ein Raum, der angereichert und gefüllt werden kann. Dass er sich auf einen Punkt trotzdem reduziert - erneutes Oxymoron - Dichter haben das Recht, in Rätseln zu sprechen, und ich finde man tut ihnen keinen Gefallen mit der Behauptung, es sei alles klar und einleuchtend.
Gruß
Quoth
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2015, 18:39

Quoth hat geschrieben:Dichter haben das Recht, in Rätseln zu sprechen, und ich finde man tut ihnen keinen Gefallen mit der Behauptung, es sei alles klar und einleuchtend.
Man tut ihnen aber auch keinen Gefallen, wenn man behauptet, dass ihr Text ein großes Rätsel sei, wenn man keines sieht. .-)
Quoth hat geschrieben:Vielleicht statt Paradox ein Oxymoron? Vergleichbar dem "brüllenden Schweigen". Die von Dir geschilderten Situationen, in denen Jubel leise kann, sind sehr überzeugend, aber im Text sind sie nicht einmal angedeutet.
Für mich muss Jubel überhaupt nicht laut sein. Mann kann doch auch ganz still innerlich jubeln, oder ihn eben vor sich hinflüstern. Und gerade zum Schreibprozess, bei dem man ja meist allein ist, oder zumindest für sich, passt das für mich sehr gut. Da fände ich eher einen lauten, schreienden Jubel seltsam.
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Beitragvon birke » 17.02.2015, 18:48

naja, "jubel" ist ja schon definiert als etwas lautes., bezeichnet ja eine laute bekundung großer freude.
insofern lese ich hier auch ein oxymoron.
(was sich für mich eben auch durch den text zieht.)

quoth, hm, ja, lässt sich wohl auch auf die erinnerung beziehen, ich habe es aber spontan auf die sätze und silben bezogen.

lg
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2015, 19:00

Für mich ist da die Wiktionary-Bedeutung treffender:
Jubel: "Offenbarung großer Freude durch entsprechendes Verhalten in Gestik, Mimik, Stimme, Sprache"
Und das kann eben von Person zu Person und je nach Situation ganz unterschiedlich aussehen?

Ich vermute, ihr bezieht euch auf die Duden-Erklärung? Da finde ich dann schön, was bei "jauchzen" steht:
"seiner Freude, Begeisterung durch Rufe, Schreie Ausdruck geben; laut jubeln"
Also kann man vielleicht doch auch laut Duden leise jubeln. :))
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Beitragvon birke » 17.02.2015, 19:08

hm, aber wenn man sich die wortherkunft ansieht (laut wiktionary), heißt es aber jauchzen, oder eben substantivisch der freudenruf! juhu!
mittelhochdeutsch: jūbel; zum Verb jūbelieren gebildet; über altfranzösisch jubiler = jauchzen; aus gleichbedeutend lateinisch iubilare; zum Substantiv iūbilum = Freudenruf gebildet

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Beitragvon Nifl » 17.02.2015, 19:09

Es gibt ja die Redewendung "ich jubilierte innerlich", das wäre vollkommen introvertiert und lautlos und ist für mich die gedankliche Ausgangsperspektive. Der geflüsterte Jubel von außen wird dann ein zärtliches "eingängiges" Bild. Auch das Auslöschen ist für mich keineswegs paradox, ich denke dabei an Antischall, ziemlich genialkreativ.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Beitragvon Ylvi » 17.02.2015, 19:17

Birke hat geschrieben:substantivisch der freudenruf! juhu!
Und du hast wirklich noch nie ganz leise "Juhu", oder "Ja" vor dich hingeflüstert?
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Beitragvon birke » 17.02.2015, 19:55

Flora hat geschrieben:
Birke hat geschrieben:substantivisch der freudenruf! juhu!
Und du hast wirklich noch nie ganz leise "Juhu", oder "Ja" vor dich hingeflüstert?

:mrgreen:
doch, na klar.
aber das ist ja kein "ruf" und für mich somit kein "jubel" im klassischen, oder wörtlichen sinne.

und um noch mal auf den text zu kommen, hier geht es ja nicht um "inneren jubel", wie ich das lese, sondern um solchen, der von außen kommt. ist ja auch nochmal etwas anderes.
aber ob oxymoron hin oder her, letztlich egal, verständlich ist es für mich hier ohnehin.
nicht nur das, sondern ein starkes bild.
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