Späte Jahre

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 23.05.2006, 22:39

Sie haben die Ernte
eingefahren in Scheuer
Haus und Bett -
zuvor den wilden Mohn geköpft
vor den Augen
wissender Akazien.

Noch stehen am Wege
Sonnenblumen
im leuchtend Gelb verdorrt -
und aus der trüben Stille
rollt vereinzelt schon
ein Kern in dunkle Erde.

scarlett, 2005
Zuletzt geändert von scarlett am 25.05.2006, 13:47, insgesamt 1-mal geändert.

pandora

Beitragvon pandora » 23.05.2006, 22:44

auch hier kann ich nur einmal mehr sagen: für mich nahezu perfekt. die endlichkeit des menschlichen daseins mit wunderbaren bildern gezeichnet.

eine minimäkelei (vielleicht auch eher ein verständnisproblem?):

Noch stehen am Wege
Sonnenblumen im leuchtend
Gelb verdorrt -
und aus der trüben Stille
rollt vereinzelt schon
ein Kern in dunkle Erde.


könnte das auch heißen: "im leuchtenden Gelb verdorrt"?
oder müsste man den zeilenumbruch vielleicht anders setzen?

kompliment jedenfalls für diesen text.

p.

Schwanenschrei

Beitragvon Schwanenschrei » 23.05.2006, 23:49

Hi Scarlet,
du hast den Moment wunderbar eingefangen.
Besonders gut gefällt mir "eingefahren in Scheuer,/Haus und Bett - " das lässt viele Ahnungen offen.
Auch den Schluss und der damit vermittelte Ausblick auf weiteres finde ich grandios :)
Viele Grüße, Schwanenschrei

Max

Beitragvon Max » 24.05.2006, 12:53

Liebe Scarlett,
das finde ich sehr bildhaft und anschaulich beschriebene "späte Jahre" und auch finde die schon zitierte Stelle von Scheuer, Haus und Bett besonders.

Sehr gern gelesen!
Mx

Gast

Beitragvon Gast » 24.05.2006, 13:40

Hallo scarlett, mir gefallen die poetsichen Bilder in ihre Dichte und Menschlichkeit.
Ich habe nur, wie ich meine ein wenig unstimmiges entdeckt.
Du beschreibst mit endrücklichen Bildern, den Spätsommer, Frühherbst, die Zeit der Ernte.
Dieses zuvor den wilden Mohn geköpft, hört sich wie kurz vorher an. Wenn du aber den Ablauf des gedichts auf das Menschleben beziehst, (der Titel: Späte Jahre, lässt eigentlich nur diese deutung zu), dann wäre es gut, wenn du zum Ausdruck bringen könntest, dass die zeit seit dem"Mohnköpfen" und "Ernte einfahren" eine Reihe von Jahre liegt, es also g e d a u e r t hat...
Ansonsten kann ich in den Bildern wirklich schwelgen und ich meine nur, dass ein Sonnenblumenkern nicht rollt... sondern "in die dunkle Erde sinkt". oder fällt...

Mit Freude gelesen
Gerda

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.05.2006, 18:05

Pandoras und Gerdas Kommentaren schließe ich mich uneingeschränkt an.
Ich finde ihre Anmerkungen/Vorschläge sehr sinnig.

Davon ab ein sehr starkes Gedicht.

Gruß
Frank

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.05.2006, 21:45

Liebe scarlett,

ein unglaublich starkes Gedicht!

Pandoras Vorschlag finde ich allerdings sehr gut!

Ich würde mir überlegen, ob ich das Aufzählungskomma setzen würde - ich würde es streichen.

Was sind Scheuer?

Dieses Gedicht zählt mit zu deinen allerallerbesten und ist (gleich zwei heute habe ich gelesen) auch ein echter Favourit für den text des Monats!

Liebe Abendgrüße,
Lisa

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Beitragvon Lisa » 24.05.2006, 21:47

achso...ich vergaß: das "wissend" ist mir noch etwas zu direkt...zu menschlich. Da gibt es sicher ein gleichbedeutendes sprachlich passenderes Wort?

scarlett

Beitragvon scarlett » 25.05.2006, 13:46

hallo an alle und vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

@ pandora: was das "leuchtend Gelb" anbelangt- da hast du nicht unrecht, ich müßte es vielleicht wirklich anders setzen, weil "leuchtendES Gelb" fällt zu sehr aus dem Rhythmus, das geht m. M. nach nicht. Vielleicht laß ich die Sonnenblumen allein in der Zeile stehen und ziehe "leuchtend Gelb" dann zusammen- was meinst du?

@ Gerda: was die "Dauer" in meinem Gedicht anbelangt - dein Einwand kommt zu recht, es könnte schon der Eindruck entstehen, daß die Abfolge zu dicht ist - allerdings sollten die Akazien dieses Element übernehmen, ist das zu schwach...? Sie sind das Bindeglied zwischen Mohn und Sonnenblumen -

Ich wüßte auch ehrlich gesagt nicht, wie ich das anders machen sollte, der Text ist über ein Jahr alt und eigentlich schon sehr verfestigt, da nochmal ranzugehen fällt mir unglaublich schwer.

Der Sonnenblumenkern rollt tatsächlich nicht - ich hatte da ein ganz anderes Bild noch vor Augen, aber das ist zu makaber... :mrgreen:
Wenn man an die traurigen, hängenden Köpfe der Sonnenanbeter denkt...
Ich werde mir das mit dem "fallen" noch überlegen...

@ Lisa: Scheuer ist ein altes Wort für Scheune (wird in manchen Gegenden noch verwendet).
Das Aufzählungskomma nehm ich raus, danke, das bringt nichts.
Tja und für das "wissend" der Akazien - das wird schwierig. Hast du einen Vorschlag? :smile:
Nee, zunächst wird es wohl so bleiben...

Es freut mich, daß ihr mein Gedicht so ansprechend empfunden habt - merci und einen schönen Feiertag wünscht

scarlett

Louisa

Beitragvon Louisa » 25.05.2006, 14:01

Hallo scarlett,
deine Anmerkungen haben mir sehr viel weitergeholfen. Ich finde das sind wunderschöne Bilder und dass die Akazien "wissen" gefällt mir auch sehr, sehr gut!

-Ich habe nichts daran zu kritisieren und würde es so lassen.

Schön!

Grüßlein, louisa

Trixie

Beitragvon Trixie » 25.05.2006, 14:06

Servus scarlett!

Ich habe dein Gedicht nun schon sehr oft gelesen, wusste aber nicht recht, was ich dazu schreiben soll. Ein "Ich finde es wunderschön" schien mir irgendwie zu schwach... Es weckt sehnsüchtige Erinnerungen in mir und lässt mich seufzen. Die beiden Ebenen von dem, was ich sehe und dem, was das Gedicht über die Bilder hinaus vermittelt, finde ich einzigartig und einfach perfekt. Dies wird wohl mein Favorit für den Text des Monats sein!

schwelgende Grüße, Trixie

scarlett

Beitragvon scarlett » 25.05.2006, 18:59

Servus Trixie,

danke dir für die Rückmeldung!
Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, daß dieser Text so viel Beachtung findet - meiner Meinung nach hab ich wesentlich bessere, wie man/frau sich doch täuschen kann.
Der HIntergrund dieses Gedichtes ist eigentlich ein ganz anderer gewesen, erst durch den Titel, der sehr spät (!) dazu kam, hat es diese Richtung, diese Doppeldeutigkeit bekommen...

Danke nochmals für dein Lob :smile:

Liebe Grüße,

scarlett

Trixie

Beitragvon Trixie » 25.05.2006, 20:05

Hm, also, eigentlich wird in diesem Gedicht ja gar nicht gesagt, um wen es geht. Es gibt eigentlich gar kein lyrisches Ich, sondern "SIE", die das alles erledigen. Ich dachte damit an die Menschen im Allgemeinen. Wobei solche Arbeiten meistens die Männer vornehmen. Eine Lobeshymne an der schwer für uns arbeitenden Mann? Und der Kern, der in die Erde rollt... ähäm, könnte das ihr Samen sein, um mal ein wenig andersrum zu denken? Also, ich kann jezt keine ausführliche Interpretation geben, da ich nur bei Freunden zu Besuch bin momentan, aber später noch mehr. Langsam zeigt sich mir, dass da noch viel viel mehr hinter dem Gedicht steckt...

interpretierende Grüße, Trixie

Trixie

Beitragvon Trixie » 25.05.2006, 23:56

So, da bin ich wieder. Zur "Geisterstunde" müsste es sich doch eigentlich am besten arbeiten lassen -->> Begeisterung, Entgeisterung, Geistesblitze, etc!

Also, wenn es hier um die Männerschaft geht und nicht um den Lebenskreislauf, also das allgemeine Altwerden mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter, dann... ja. Der Titel "späte Jahre" heißt ja schon, dass es nicht um das ganze Leben geht, sondern vielleicht um die Lebenserfüllung gen Ende hin? In dem man oder Mann alles zu erreichen sucht? Es ist wohl keine Ode oder Lobeshymne an einen bestimmten Mann, sonst stünde es ja unter den Liebesgedichten. Nun ein wenig zur Analyse, also einer der vielen Deutungen, die ich mir hier herausgesucht habe:

Sie haben die Ernte eingefahren = Sie haben erledigt, was noch zu erledigen war. Vielleicht sind sie in Rente gegangen oder ähnliches. Oder sie haben einfach etwas abgeschlossen, geordnet. Den wilden Mohn zu köpfen könnte mich für Kindererziehung stehen. Es heißt ja auch oft: Was du säest, wirst du ernten. Die Ernte sind die groß gewordenen Kinder? Hm...Die wissenden Akazien sind die, die vielleicht lehrerhaft darüber kommen und meinen, einem sagen zu können, wie was geht? Vielleicht sogar die Mutter? Die Sonnenblumen, die noch am Wege stehen, aber schon verdorrt sind, sind die inzwischen älteren Frauen? Oder die Ziele, die man langsam aus den Augen verliert? Oder die eigene Lust, der man nacheilen muss, solange es noch geht? Lust am Leben, Lust bei..äh...im Bett? Und naja, das mit dem Kern und der Erde als Fruchtbarkeitssymbol, das auch die Frau darstellt, habe ich ja schon erläutert. Ich könnte total daneben liegen, aber eigentlich lässt sich das doch als gültige, wenngleich auch völlig andere Interpretation lesen oder? :mrgreen: War jedenfalls sehr spannend, die zweite Ebene zu durchforsten. Vielleicht war es ja auch die dritte Ebene oder eine Parallelwelt!!

Weltraum-Grüße, Trixie


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