Sommerabschied

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 09.09.2016, 18:36

Sommerabschied

Kühler Morgen -
eine Ahnung von Sommervergangenem.
Du siehst die langen Schatten,
Wehmut streift dein Herz.

Abschied von des Lebens Lust -
was kommt später?
Dunkelheit, mit ihr die Schwärze der Gedanken?

Oder Lebenslust in strahlend kaltem Winterlicht?
Entscheide -
und doch bist du ohne Wahl!

Karoline

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birke
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Beitragvon birke » 09.09.2016, 23:28

... und doch bist du ohne wahl.
das springt mir direkt ins herz, weil es sich grundsätzlich so wahr anfühlt.
gefällt mir! :)
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 11.09.2016, 11:54

hallo karoline, wir hatten noch nicht das vergnügen. willkommen im blauen salon!

ich schleiche nun schon eine weile um deinen text, der vom sommerende erzählt, herum.

um ehrlich zu sein, kommt er mir in der wortwahl ziemlich gestelzt und gekünstelt daher. ("Sommervergangenem" / "Wehmut streift dein Herz" / "Abschied von des Lebens Lust"...) das gedoppelte wort "LUST" finde ich ungünstig.

außerdem gefällt mir, im gegensatz zu birke, dieses "Entscheide - und doch bist du ohne Wahl!" , nicht. in meinen ohren klingt dieser passus, der zwei alternativen aufzeigt, sehr altklug-belehrend. das ist es nicht, was ich von einem gedicht erwarte. ich möchte als leserin gern selbst entscheiden, wohin der text mich trägt.

lg
a.

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birke
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Beitragvon birke » 11.09.2016, 12:11

interessant, dass wir das so unterschiedlich empfinden, allerleirauh...
vielleicht noch zur erklärung, warum mich der letzte satz so anspricht: es ist doch so, dass das befinden letztlich weniger von den jahreszeiten abhängt als doch vielmehr von ganz anderen dingen. deshalb kann es so oder so sein, im sommer (kalt) oder im winter (warm) - rein vom gefühl her. so jedenfalls verstehe ich das gedicht; und vor allem den letzten satz, weil er für mich heißt, dass niemand vor bestimmten ereignissen im leben gefeit ist.
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.09.2016, 12:26

"Abschied von des Lebens Lust" klingt natürlich schon gestelzt, in meinen Ohren sogar übertrieben gestelzt, so übertrieben, dass ich diese Formulierung gar nicht als ernstgemeint auffassen kann, sondern eher als absichtliche Selbstironie. Allerdings klingen die anderen Zeilen nicht so ironisch. Vielleicht ist die Phrasierung doch hochseriös gemeint?

"Entscheide - und doch bist du ohne Wahl!" -- Das kommt mir nicht altklug-belehrend vor, sondern wie die Beschreibung eines Dilemmas, also kann es kein Befehl sein. Ich meine, es zeigt nicht zwei Alternativen auf. Es gibt keine. Du hast keine Wahl. Das ist nur eine Feststellung, kein Rat.


P.

Niko

Beitragvon Niko » 11.09.2016, 14:16

Ich bin dankbar für diesen Text, weil er mich erneut vor die Frage stellt: Wann ist ein Text ein Gedicht?
Mir fehlt ein wenig das, was dazu nötig ist. Es ist mir zu prosaisch. Der Text - das scheint mir für ein gedicht wichtig - lässt nahezu nichts offen. Er konfrontiert, aber er lässt zu wenig Wahl. es ist nur meine Meinung. Aber ich wünsche mir Gedichte so, dass mir die Möglichkeit gegeben ist, in einem wortangebot meine Inhalte zu finden. Das finde ich hier für mich nicht gegeben.

Liebe grüße - niko

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.09.2016, 15:16

Für mich ist das Offenlassen nichts gedicht-spezifisches; das kann Prosa auch.

Für mich besteht ein gutes Gedicht aus Musik. Und ein sehr gutes aus Musik und Bildmetaphern.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.09.2016, 17:57

Da hat er Recht, der Käptn.
Ich finde auch, dass eine künstliche Patina über dem Text liegt, als wäre es sonst zu unsicher und prompt ...

und doch bist du ohne Wahl!

Und auch ich bin der Meinung, dass die letzte Zeile das Gedicht trägt, eine Offenheit transportiert durch das Geschlossene. Und die Möglichkeit des Fatalismus habe ich auch für mich noch nicht ganz abgeschrieben.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Beitragvon Ylvi » 13.09.2016, 08:50

Hallo Karoline und willkommen im Salon. :)


Nifl hat geschrieben:Und auch ich bin der Meinung, dass die letzte Zeile das Gedicht trägt, eine Offenheit transportiert durch das Geschlossene.
Interessant, wie unterschiedlich das Gedicht wahrgenommen wird, auch die letzte Zeile. Für mich zieht sich durch das ganze Gedicht, dass ich keine Bilder sehe, mir (fast) nichts "gezeigt" wird, und auch der Klang, die Sprache mich nicht einfängt, etwas anschlägt, sondern mir Dinge "gesagt" werden. Das ist etwas, was für mich in Gedichten nur selten aufgeht und was mir auch nicht "ins Herz springt". ;-) Als Essenz, oder das, was "trägt", bleibt für mich:

Kühler Morgen -
Du siehst die langen Schatten


Liebe Grüße
Ylvi
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 13.09.2016, 13:25

Zunächst meinen Dank an birke, allerleirauh, Pjotr, Niko, Nifl!

Ihr setzt euch mit den Texten auseinander und ich bin wirklich überrascht wie viel ihr durch diese wenigen Zeilen erfasst. Ich habe in vielen Jahren nur sehr wenige Gedichte geschrieben und ich bin sicher das merkt man, aber ich lerne :-)

@ allerleirauh, Niko, Pjotr, Nifl
Ja die Sprache ist, - altmodisch, stimmt.

Man könnte auf die Idee kommen, ein mit Kniehosen und Gehrock angezogener Mann schreitet über einen schmalen Weg inmitten von Stoppelfeldern. Eine schon tief stehende Sonne wirft lange Schatten und taucht diese Welt,- einmal noch,- in ein weiches goldenes Spätsommerlicht.
Dieses Licht ist Gottes Geschenk an uns, es einzuschließen in unseren Herzen, zu bewahren, wenn der Novembernebel über den Feldern liegt, oder die kalt strahlende Januarsonne die zarten Gebilde der Schneekristalle prismenartig, wie einen Teppich aus Diamanten erscheinen lässt.

@ alle:
Sommer ist für mich Lebensfreude, Lust auf Leben, Natur, frisch gemähtes Gras, einen Korb voller Früchte.

Hingegen, wie empfindet man im Gegenzug den Winter, die dunkle Jahreszeit.? Gemütliches Kerzenlicht, Tee, leise Musik im Hintergrund, ein besinnen auf sich selbst?
Oder vielmehr das Sehnen nach jedem Lichtstrahl, so schwach er auch sein mag, eine bedrückend dunkel Welt?

@ Niko: Ja vielleicht hast du recht, vielleicht ist es eher Prosa...

@ der letzte Absatz:
Hier kannst du nun entscheiden- je nach Naturell, die schwarzen Gedanken oder das auf sich besinnen, das inne halten, wenn die Welt schläft.
Aber:
... und da bist du ohne Wahl, der Jahreszeitenwechsel vollzieht sich- egal was du tust, egal wie es in dir aussieht - fast schon in religiösen Kontext zu sehen- und doch bist du ohne Wahl...

Herzliche Grüße
Karoline

KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 13.09.2016, 13:28

Hey Ylvie,
entschuldige bitte , ich habe dich vergessen.... auch dir danke schön... hatte den Text ausgedruckt und irgendwie fehlte dein Beitrag.

lg Karoline

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 24.09.2016, 14:59

"Was kommt später? Dunkelheit, mit ihr die Schwärze der Gedanken oder Lebenslust in strahlend kaltem Winterlicht?

Entscheide - und doch hast du keine Wahl!

Wieso habe ich keine Wahl? Ich kann ja mich dafür entscheiden, bei Kerzenlicht glücklich zu sein.

Es gehört zum Wesen der Lyrik, subjektiv zu sein.

Die Autorin zeigt uns hier großzügig ihr Herz, was sie innerlich bewegt.

Sie scheint sehr von den Jahreszeiten abhängig zu sein, das ist ja ihr gutes Recht, ich lese es so hier.

Auch die Wahrnehmung des Gedichts ist subjektiv, das wird durch die verschiedenen Reaktionen darauf belegt.

Ich versuche dieses Gedicht als ein Dialog zwischen Ich und lyrischem Ich zu lesen. Das lyrische ich sagt zum Weltich (oder umgekehrt?) "Du" hast keine Wahl. Wir müssen aber "Ich" habe keine Wahl lesen.

Wie dem auch sei, ich bin der Autorin dafür dankbar, dass sie einen Einblick in ihre innere Welt gewährt.

KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 25.09.2016, 21:15

...Vielen Dank Klimperer.
Lg Karo


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