Weisheit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 08.10.2016, 09:15

Wer
Heidegger liest
liest Aristoteles
Augustinus
Husserl
Hegel
Kant
all die Philosophen
die er internalisiert

Wer gar nichts liest
stirbt auch

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 12.10.2016, 17:09

Heideggers Projekt besteht zu einem Teil darin, die Befangenheit in als solchen unerkannten Vorannahmen (wie die oben genannten) dadurch aufzulösen, indem er ihre Entwicklung in der Tradition des westlichen Denkens rückwärts entlang geht (er nennt das auch die "Destruktion", "Dekonstruktion" wäre vielleicht auch passend, aber weniger martialisch). Um die Tradition kommt man daher leider nicht ganz herum, wenn man dabei mitgehen will.
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 12.10.2016, 17:13, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Pjotr » 12.10.2016, 17:12


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Beitragvon Mnemosyne » 12.10.2016, 17:56

Auch ohne die etwas verengten bis unsauberen Lesarten, die in dieser Debatte ziemlich verbreitet sind (gerade auch bei Wortführern wie Faye, und auch in diesem Artikel) steht außer Frage, dass Heidegger ein Nazi war. Die Frage ist natürlich, welchen Schluss man daraus für sein philosophisches Werk ziehen soll. Die moderne formale Logik ist eine wichtige und technisch wie philosophisch fruchtbare Denkweise, auch wenn ihr Begründer, Gottlob Frege, Antisemit und Hitler-Fan war. Die Mathematik Teichmüllers ist ein wichtiges Hilfsmittel u.a. in der Stringtheorie, auch wenn Teichmüller ein fanatischer Nazi war und im zweiten Weltkrieg an der Ostfront gefallen ist (für die er sich nach der Rückeroberung Stalingrads freiwillig gemeldet hat). Die Gedichte von Gottfried Benn haben eine große Ausdruckskraft und einen faszinierenden gedanklichen Tiefgang, auch wenn er sowohl für den italienischen Faschismus als auch für den deutschen Nationalsozialismus Partei ergriffen hat. Und so weiter. (Und ohne sich in totalitarismustheoretischen Gleichsetzungen zu verlieren, kann man hier auch an Brechts und Sartres Stellungnahmen für Stalin denken.)

Wenn man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten will, muss man es wohl aushalten lernen, dass große Gedanken von einer Person kommen können, die außerdem noch ganz andere hat.
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 12.10.2016, 20:46, insgesamt 2-mal geändert.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 12.10.2016, 18:40

Hallo Mnemosyne,

es handelt sich um ein unheimlich wichtiges Thema.

Ich selbst habe daran gedacht, wusste aber nicht, wie ich es sagen sollte, ich wusste keine Namen, wie Teichmüller, zum Beispiel. Du weißt es.

Irgendwann muss man lernen, nicht alles Schwarz-Weiß, sondern differenziert, menschlich zu sehen.

Hannah Arendt, eine Jüdin, hatte das gelernt.

Ich danke dir

Carlos

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Beitragvon Pjotr » 13.10.2016, 06:02

Ja, bei der Personenverehrung -- ich verehre zum Beispiel Beethoven --, oder besser gesagt bei der Taten- und Werksverehrung -- ich verehre zum Beispiel Beethovens Taten und Werke; ich kenne ihn ja nicht persönlich --, gerät oft in Vergessenheit, worauf genau sich die Verehrung bezieht. Denn wie der gerne pauschalierende Betrachter beim Entdecken eines schmutzigen Einzelteils tendenziell gleich das unbekannte Gesamte als Schmutz abtut, genauso erhebt er dieses wiederum sofort zum tendenziell Schönen auch wenn er nur einen einzelnen schönen Bruchteil erblickt. Mit diesem Pauschalismus geraten schnell auch verschiedene Arten von Taten in den selben Topf: Taten musikalischer Art, oder politischer, finanzieller, technischer, putzender, kochender, sexueller, baulicher, mathematischer, philosophischer, sozialer Art. Und so weiter. Welche dieser Tat-Arten genau definiert den Charakter? -- Man kann nicht sagen, jegliches Tun sei charakter-irrelevant. Es ist relevant. Ein Mensch tut immer etwas, auch wenn er nur schlafen tut. Wenn nicht sein Tun, was sonst macht den Menschen aus? Ich meine, der Charakter ist die Summe alles Tuns. "Guten Tag"-Sagen ist Tun. Jedes Verb ist ein Tunwort.

(Und die Taten aller Art sind meiner Ansicht nach höchst interaktiv. Was sind soziale Taten etwa? Einige der anderen genannten Taten haben schließlich soziale Wirkungen!)

Die altbekannten Fragen: Wenn ich ein Gedicht mag, mag ich dann damit den Autor? Er ist die Summe all seiner Taten. Also mag ich dann damit die Summe all seiner Taten? Und darf der Autor sich somit geschmeichelt fühlen? Darf er nicht, wenn ich die Taten nicht pauschaliere; ich mag in dem Fall nur diese eine Dichter-Tat, nicht alle Taten, also nicht die ganze Lebenssumme. Andererseits funktioniert diese Trennung in der Praxis nur schwer. Wenn mir ein Gedicht missfällt, missfällt mir damit auch der Autor? Also die ganze Summe seiner Taten? Man kann nicht einerseits verlangen, dass der Autor die Anerkennung seiner Gedichte gerne persönlich nehmen darf, während er abgelehnte Gedichte bitte nicht persönlich nehmen soll. Entweder sind seine Dichter-Taten mit ihm verbunden oder nicht. Wenn ein wichtiges, autorverbundenes Gedicht missfällt, fühlt sich der Autor mehr oder weniger geschwächt. Zu Recht. Es gibt immer Verbindungen aller Taten. Man kann die Taten nur selten voneinander lösen. Sie gehören zur Identität der Person, zu ihrer Geschichte. -- Das hört sich so wichtig an. Übrigens, was spricht dagegen, die Identität alle paar Wochen zu beenden und neu zu beginnen wie eine Neugeburt, wie ein Wechsel des Avatars oder Nicknamens in einem Forum? Die Liebe zur Identität spricht dagegen. Das Missfallen der Identität spricht dafür. Soll sich jeder entscheiden, wie er will, sofern er kann.

(Das geht noch weiter: Wenn ich die Identität meiner Person ausdehne auf die Geschichte meiner Moleküle vor meiner Geburt, dann beinhaltet diese Identität auch die Hitler-Zeit, und die Dinosaurier-Zeit. Mir missfällt die Hitler-Zeit, daher beginne ich meine Identitätsliebe erst bei meiner Geburt. Manch andere dehnen ihre Identität in jene Zeit hinaus, oder auf ein größeres geografisches Gebiet, weil sie es lieben. Wie weit kann man die Liebe oder das Missfallen manipulieren?)

Die Trennung einer Tat von allen anderen persönlichen Taten ist natürlich einfach, wenn das Resultat objektiver Natur ist. Bei einer emotionalen, musikalischen Tat hingegen ist es fast unmöglich, wobei hier jedoch die abgelaufene Zeitspanne helfen kann; sie stellt eine Verjährungsfrist dar, ein Haltbarkeitsdatum: Der Antisemit Richard Wagner etwa ist seit über hundert Jahren tot; nur noch wenige Juden beschweren sich heutzutage, wenn seine Opern in Tel Aviv aufgeführt werden. Das ginge nicht wenn Wagner heute tätig wäre mit derselben Einstellung. -- Bei einer mathematischen Entdeckertat (ich halte solche eher für Entdeckungen als für Kreationen, auch wenn der Weg zur Entdeckung ein steiniger, kreativer ist; das bezieht sich aber auf den Weg, nicht auf das entdeckte Ziel) fällt die Trennung von anderen persönlichen Taten wiederum völlig leicht, weil das entdeckte mathematische Gesetz objektiv für alles gilt und von jedem hätte entdeckt werden können. Wir alle identifizieren uns mit der Tatsache, dass 2+2 gleich 4 ist. -- Wir identifizieren uns auch in der allgemeinen Tatsache, dass jeder Mensch Fehler macht. Es fällt uns daher ziemlich leicht, ab und zu einem anderen Menschen seinen eingestandenen Fehler zu verzeihen.

Habe ich den Faden verloren?

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Beitragvon Mnemosyne » 13.10.2016, 17:04

Den Faden hast du wohl nicht verloren, und deine Betrachtung gefällt mir durchaus.
(Mir ging es nicht um die Bewertung von Personen, sondern nur um die Werke, die man ja auch lesen kann, wenn man vom Urheber nichts weiß. Verfehlungen des Urhebers sind ein Hinweis darauf, dass man einem Autor nicht trauen sollte, also nicht glauben sollte, was er geschrieben hat, bloß darum, weil er es geschrieben hat - aber das sollte man natürlich ohnehin nicht (und zuletzt in der Philosophie, wo alles auf das Selberdenken ankommt). )

KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 14.10.2016, 09:19

.... das ist alles Nichts!!!

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Beitragvon Pjotr » 14.10.2016, 10:02

Kannst Du das erläutern?

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Beitragvon Pjotr » 18.10.2016, 17:51

Ist Karoline schon wieder weg? Hats ihr bei uns nicht gefallen?

KarolineJasper

Beitragvon KarolineJasper » 19.10.2016, 12:55

... lach* nein ich bin nicht weg, nur das Bild. Ich antworte auch noch hier auf deine Frage.
Lg karo


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