Herbst

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Cicero
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Beitragvon Cicero » 12.10.2016, 16:55

Herbst

Kalt fegt der Wind durch alle Gassen,
treibt bunte Blätter vor sich her,
die Tage sind nun grau und neblig,
die Sonne zeigt sich fast nicht mehr.

Das ist die Zeit der warmen Stube,
schnell Feuer im Kamin entfacht,
leise Musik, Chopin, Vivaldi,
und in der Kanne Tee gemacht.

Ein gutes Buch neben das Sofa,
drei Kekse noch, oder auch vier,
nun kann getrost der Abend kommen,
die Kälte bleibt jetzt vor der Tür.

Der Regen prasselt an die Scheiben,
drin flackert leis das Kerzenlicht,
wer so den Herbsttag enden lässt,
den stört das Wetter wahrlich nicht.
Zuletzt geändert von Cicero am 16.10.2016, 14:36, insgesamt 1-mal geändert.
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 14.10.2016, 10:02

Also, von vornherein, bei der ersten Lektüre, hat mir dieses Gedicht gefallen.

Jetzt, nach mehrmaligem Lesen, gefällt mich immer noch, sogar besser.

Und ich spüre Lust, etwas gründlicher in meiner Interpretation desselben vorzugehen.

Eine persönlich, subjetive, quasi für mich selbst Interpretation.

Ein mich selbst fragen: Warum gefällt es mir?

In erster Linie, glaube ich, weil mir die Form gefällt, der ungezwunge Reim, der sich nur in zwei der vier Versen jeder Strophe perfekt reimt.

Ich habe dabei das Gefühl von Echtheit, nichts Erzwungenes.

Es vermittelt mir auch direkt ein Bild des Charakters des Dichters. Fast jeder hätte versucht, es in ein Sonett zu zwingen, er nicht. Er hat was zu sagen, und er sagt es, wie er will.

Und die Aussage gefällt mir.

Der Herbst als ein fast zerstreuter, etwas gelangweiler Fußgänger, der Blätter vor sich verstreut. Oder wie ein verspieltes Kind.

Kein Kampf, aber auch keine Resignation, sondern tiefer Realismus, die Fähigkeit, die Sachen zu sehen und zu nehmen, wie sie sind.

Jemand, der klassische Musik liebt und tatsächlich hört, in einer intimen, angenehmen Atmospähre.

Er lebt, so wie ich gerne leben würde.

Dabei spüre ich keinen Neid, ich gönne es ihm, und freue mich wirklich. Auch weil ich sehr gut finde, dass man fähig ist, auch ohne abenteuerliche Reisen oder luxuriöse Kreuzfahrten glücklich zu sein.

Gewiss, vor vierzig Jahren hätte ich nicht so gedacht.

Auch vor fünfzehn Jahren nicht. Der Mensch verändert sich vollständig alle 15 Jahre, sagt José Ortega y Gasset.

Wie dem auch sei, erst jetzt fange ich an, selbständig zu denken, und darauf kommt es an, wie Mnemosyne sagt.

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 15.10.2016, 10:18

Mensch, Carlos,

da hast Du Dir ja viel Zeit genommen mein kleines Herbstgedicht zu kommentieren. Es freut mich sehr, dass es Dir gefällt.

Schön, dass auch "einfach gestricktes" funktioniert.

:smile:

Ein herzliches Danke ist per Herbstwind unterwegs,
Cicero, der Franz
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 15.10.2016, 17:31

Hallo Franz,
darf ich einen Winzmeckerer loslassen: "leise flackert das Kerzenlicht" funktioniert rhythmisch nur, wenn "flackert" auf der zweiten Silbe betont wird, und das kann's doch nicht sein, oder?
"Es flackert leis das Kerzenlicht"?
Oder "drin flackert leis das Kerzenlicht"?
Oder liege ich falsch?
Herbstliche Grüße!
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 15.10.2016, 17:53

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 16.10.2016, 14:50

Hallo Zefi,
jetzt hast Du mich total verunsichert, aber ich habe einen Deiner Vorschläge übernommen. Müsste jetzt bei drin oder leis noch ein Apostroph gesetzt werden? Deutsche Sprache, schwere Sprache ...

:smile:

Hallo Pjotr,
wäre nur noch zu klären: Wiener Walzer oder Langsamer Walzer?

:smile:

Ich danke Euch, eine Einladung zum Kaminabend mit Tee und Keksen folgt noch,
Cicero, der Franz
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Werner
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Beitragvon Werner » 17.10.2016, 22:08

der arme herbst wird hier auf seine klischees, die wir uns von ihm machen, reduziert? da ist mir Rilke lieber "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr"

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 21.10.2016, 21:17

Ich mag
in Büchern schmökern
vor dem Kamin
Chopin und Vivaldi
Kerzen und Kekse

Ich mag
den Herbst
mit seinen Farben
Düften
Klängen

Klischee

mag sein
aber schön

:smile:
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