Magischer Moment

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
carl
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Beitragvon carl » 27.12.2016, 06:19

Ihr kleid über zweige geworfen
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die weiden

mit füßen im wasser
stehn wir
in wogen aus licht.



1. Version:

Ihr kleid in die zweige gehängt
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die weiden

die füße im wasser
stehn wir für immer
in den wogen aus licht.



2. Version (nach Anregungen s.u.)

Ihr kleid über zweige geworfen
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die erlen

mit stiefeln im wasser
stehn wir für immer
in wogen aus licht.
Zuletzt geändert von carl am 11.03.2017, 08:54, insgesamt 2-mal geändert.

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 27.12.2016, 17:40

hallo carl,

mir gefällt die momentaufnahme, die ein naturbild enthält und gleichzeitig eine sommerliebesgeschichte zu erzählen scheint. leicht, heiter und hell.

a.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 27.12.2016, 18:08

Was soll ich da sagen? Ein Meisterwerk!

Ich kenne aus Filmen, dass jemand verschwindet um sich im fernen Osten von einem Meister in einem Kampfsport ausbilden zu lassen und, Jahre später, zurückkehrt ...

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birke
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Beitragvon birke » 27.12.2016, 23:46

wirklich schön!

zwei kleinigkeiten vielleicht zum überdenken -
"das kleid in die zweige gehängt..."?

und um die etwas gehäuften "die" zu umgehen: "wie zwei weiden"?

lg
birke
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carl
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Beitragvon carl » 29.12.2016, 06:38

Liebe Allerleirauh,

Dank für deinen Kommentar!
Das Gedicht ist vor drei Tagen entstanden und so müsste es streng genommen heißen:
„mit stiefeln im wasser“
Das gibt dem Sommerbild eine Drehung. Deshalb die Frage an dich:
Lenkt die „Sommer-Sonne-Strand“ Assoziation vielleicht zu sehr vom Thema des Gedichtes ab, dem Schauspiel der Spiegelungen, die Lichtwellen über Zweige und Betrachter laufen lassen?

Viele Grüße, Carl

carl
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Beitragvon carl » 29.12.2016, 06:40

Hallo Klimperer,

Dank für dein Kompliment: Lyrik als Kampfsport, das hat was!
Ob ich aber schon „zurück“ bin, weiß ich allerdings nicht.
Ich fragte meinen Meister beim Eintritt ins Kloster: „Bedeutet das Schweigegebot jetzt, dass ich überhaupt nichts mehr sagen darf?“
Er antwortete: „Natürlich nicht. Wenn du was zu sagen hast, sag es... aber das kann schon mal 20 Jahre dauern.“
Die Früchte dieser 20 Jahre hatte ich hier im Salon vor 10 Jahren abgeladen.
Jetzt ist also erst wieder Halbzeit :-)

Lieben Gruß, Carl

carl
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Beitragvon carl » 29.12.2016, 06:47

Liebe Birke,

(Birken stehen da auch :-)) da hast du einen Punkt getroffen!
Ich würde sogar weitergehen: Personalpronomina stehen nur Akteuren zu.
Nicht also den Zweigen, den Füßen oder den Wogen, sondern nur der Sonne und, ja, den Erlen...
„wie die Weide(n)“ im Zusammenhang mit den „Wogen“ sind eine Erinnerung an einen Satz aus der Lyrikgeschichte, der mich am tiefsten bewegt hat.
Außerdem sind die Weiden in „gebannt... wie die weiden“ Akteure, weil sie eben in Weiden verwandelte Beobachter sind. Das ist klassisch die Folge, wenn man Gottheiten beim Baden zuguckt :-)
Jetzt stellt sich die Frage, für wen ich dichte. Für mich und meine Schöne? Dann dürfte ich das konsequenter Weise nicht einstellen. Denn die lyriklesende Öffentlichkeit hat ihre eigenen Probleme und interessiert sich nicht für meine persönlichen Lyrikadaptionen oder antike Mythen.
Von daher die Frage an dich: ist die 2. Version (s.o.) besser zur Veröffentlichung geeignet?

Viele Grüße, Carl

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birke
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Beitragvon birke » 29.12.2016, 10:22

hey, carl,
alos, was die personalpronomina angeht, kann ich deine ausführungen nachvollziehen -
warum du allerdings die weiden in erlen verwandelst, erschließt sich mir nicht...? die weiden klingen mir geschmeidiger und ja, korrespondieren fein mit den wogen. auch finde ich die füße passender als stiefel, denn die bäume stehen ja auch nicht in stiefeln dort...?
soweit ... schau mal, was du damit machst... :-)
liebe grüße
birke
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 29.12.2016, 10:48

Ich persönlich interessiere mich schon für antike Mythen.

Abgesehen davon, es kann gut sein, dass manchmal dem Autor nicht ganz bewusst ist, wenn er ein Meisterwerk geschaffen hat.

Die erste Version, ohne an antike Mythen zu denken, ist einfach wunderbar, es hat etwas magisches an sich. Für mich, wohlgemerkt!

Ich lese oft in Anthologien, bei manchen der dort ausgewählten Gedichten bleibe ich inne, wie gebannt, habe für einen Augenblick wieder die Hoffnung an die Lyrik, an die Poesie. Dieses Gedicht ist so eins.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.12.2016, 12:43

Weiden sind weich, Erlenholz ist hart ...

Klara
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Beitragvon Klara » 29.12.2016, 14:19

Lieber Carl,

das gefällt mir sehr (erste Version).
Ich mag das in die Zweige gehängte Kleid, die Weiden und die Füße im Wasser und das Plantschen in der Sonne.
Es hat etwas Kindliches, Leichtes, mit dem "Kosmos" Verbundenes.

Die zweite Version überzeugt mich nicht (habe die Kommentare nicht gelesen), die Änderungen leuchten mir nicht ein, sie nehmen dem Text die Leichtigkeit, als wollten sie ein Bild PRODUZIEREN, das aber ganz leicht mit Aquarell hingeworfen wurde und die Konturen oder das Ausfüllen mit Öl, das FIXIEREN gar nicht nötig hat.
Das Verschwommene muss m. E. unbedingt bleiben.
Das - Hingeworfene, in die Zweige gehängte, das nackte (Füße) - und nicht das Stieflige.
Leider rein subjektiv werfe ich dir diesen Eindruck so hin - ohne literarische Begründung.

herzlich
klara

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 29.12.2016, 18:49

lieber carl,

zunächst einmal: ich finde total spannend, wie allein der austausch des baumnamens die wirkung eines textes ändern kann.
aber ich glaube, wie andere leser hier auch, dass version 2 längst nicht mehr so leicht und hell ist wie version 1.

und um auf deine frage zurückzukommen: nein, ich meine überhaupt nicht, dass die
sommer-sonne-strand-geschichte (wieso eigentlich strand???? :-)) das bild der lichtreflexionen überlagert.

beim ersten (zugegebenermaßen flüchtigen) lesen hatte ich das bild eines paares im kopf. (ein flusslauf im sommer. "sie" hat ihr kleid in die zweige gehängt. in einer umarmung verharrend und den gemeinsamen moment genießend stehen die beiden - "wir" - im lichtdurchfluteten wasser.)

erst beim genaueren hinschauen ist mir aufgefallen, dass das paarbild wohl in erster linie meinem weiblich-romantischen wunschdenken entsprungen sein muss. (ein flusslauf. die sonne spiegelt sich auf der wasseroberfläche. menschen - "wir" werden zum beobachter des naturschauspiels.)

lg
a

carl
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Beitragvon carl » 25.01.2017, 16:41

Hallo ihr alle,
nochmal vielen Dank für eure Komments!
Ich bleibe bei der ersten Version...

@Allerleirauh: deine weibliche Intuition trügt nicht: es ist ein Paar in Betrachtung der Sonne, die ihr Kleid über die Äste gehängt hat (die Sonne ;-).

Viele Grüße, Carl

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.01.2017, 23:10

Ich würde das "den" vor "wogen" unbedingt weglasssen, das Bild wirkt für mein Empfinden dann ungleich stärker. Vielleicht würde ich sogar auch das "die" vor "füße"streichen...

LG
leo


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