Pirsch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
SarahWeidenlicht

Beitragvon SarahWeidenlicht » 05.01.2017, 19:03

Pirsch

Hast du den Arzt kommen hören-
Oder hast du zu tief geschlafen


Nachts war ich jagen in Gründen
mitten im Wald wo ich wohnte.

Nebenan lebte ein junger Mann
oder war mindestens zu Besuch.

Ohne Rhythmus ging er aus und ein
doch mir standen keine Fragen zu.

Hast du das weiße Bett gesehen-
Man weiß jetzt noch nicht viel


Zu zweit schossen wir einen Bären
schleiften den Kadaver in die Wiese.

Eine Frau weinte doch unbeirrt rissen
wir ihm Fell vom blutig rosa Fleisch.

So wie in Träumen vieles grundlos
bleibt, so wollte ich das warme Fett

Ich rief dort an wegen dem Geräusch-
Sagte man mir es war richtig so.


Das mollige und noch flüssige Fett
habe ich mir in die Haut gerieben

Beine, Busen, mein Bauch und Hals
rochen dann vollständig nach Wild.

Ich wusste genau, dass es sein muss
Denn ich konnte nur so einschlafen.

Wann er ging war wohl unsagbar-.
Man weiß jetzt nicht mehr viel


So bin ich aufgeschreckt gerade
als es sehr ruhig geworden war.

Dass er ging, hörte ich nicht.
Aber die Stille erschlägt mich.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 06.01.2017, 18:45

Zwei miteinander verflochtenen Gedichte.

Wirklichkeit und Traum.

Ein Liebesakt?

Auf jeden Fall, ein wunderbares Gedicht.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 06.01.2017, 22:51

Pjotr nannte das Bild "nassrot", wie wäre es mit diesem Wort?
Ich gestehe, jeder andere Vorschlag wäre mir nicht krass genug.

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 06.01.2017, 22:56

SarahWeidenlicht hat geschrieben:Puh! Mir ging es insgesamt darum eine bestimmte, sehr körperliche Haptik zu vermitteln. Wichtig ist mir, eine körperliche Berührung und nicht nur eine Betrachtung zu skizzieren. Darum stimmt es vielleicht, dass blosses "rosa" Fleisch nicht dasselbe Gefühl von Faszination/ Ekel/.. vermittelt. Man müsste dann auch den ganzen (eh freien) Rhythmus etwas abändern:
Eine Frau weinte doch unbeirrt
rissen wir Fell vom rosa Fleisch.

Andere Variante: Das Wort blutig durch "feuchten" oder "nassen" zu ersetzen.

Was meint ihr? :)

Wenn das Publikum faszinierender Ekel direkt sinnlich spüren soll, bedarf es kräftigerer Ausdrücke, glaube ich. Dann warst Du mit dem direkten Bild vom Blut vielleicht doch auf dem passenden Weg, wobei das "literarsche Blut-Problem" womöglich nur nicht darin lag, dass es zu direkt vermittelt wurde, sondern zu unfaszinierend vermittelt wurde. Also direkt darf es schon sein, wenn es denn ekeln soll. Wenn es dazu auch faszinieren soll, muss der Text neben dem Ekel eben auch Faszination vermitteln. Beide Eigenschaften -- ekelig und faszinierend -- müsste diese eine Zeile präziser vermitteln. Wahrscheinlich sind Wortkombinationen nötig. Ein einzelnes Adjektiv wie rosa klingt eher zärtlich; feucht oder nass allein klingt eher nach dünnem Wasser, ist nicht so dick wie Blut, oder es klingt nach erotischem Sekret. Letzteres könnte allerdings eine gute alternative Richtung andeuten, hin zum körperlichen, faszinierenden ... Fehlt nur noch das ekelige Element dazu ...

Dieser Kommentar hier hat sich mit dem von Zefira oben überschnitten.


P.S.:

Vielleicht beim Verb "reißen" ansetzen. Stattdessen: "Fletschten wir Fell vom ..." oder so. Ein Verb, das das sinnliche Gefühl während des Vorgangs genauer beschreibt. Und da gibt es unendlich viele kreative Möglichkeiten. Ververbte Substantive und so ...

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birke
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Beitragvon birke » 07.01.2017, 00:02

hallo sarah, toller einstand, ein interessantes, tiefgehendes gedicht.
noch eine idee zum fleisch, wie wäre es einfach mit "... vom rohen fleisch"? für mich wäre da alles enthalten...
und ich würde doch unbedingt nach "wegen" den korrekten genitiv setzen.
herzliche willkommensgrüße!
birke
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Beitragvon Pjotr » 07.01.2017, 00:28

Bei "rohem" Fleisch denke ich an einen gewissen Abstand zum Tier; ein Abstand, aus dem das Tier nicht mehr in Sichtweite ist. "Roh" ist für mich eher ein Begriff aus der Fleischverarbeitung. Wenn ich aber noch ganz nah am Tier bin, ist dessen Fleisch weder gekocht, noch gegart, noch kühl, noch roh -- sondern pochend lebendig und heiß.

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birke
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Beitragvon birke » 07.01.2017, 00:46

hmmm... also, für mich ist "rohes fleisch" sehr lebendig und - empfindlich, weil gänzlich ohne schutz, vor allem hier, in diesem zusammenhang. aber diese textstelle wird wohl ohnehin recht unterschiedlich empfunden.
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 07.01.2017, 10:55

Im 12.ten Vers ist von "Kadaver" die Rede.

Erst durch das adjektiv "blutig" wird das Tier wieder lebendig.

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Beitragvon ZaunköniG » 11.01.2017, 10:02

Klimperer hat geschrieben:Im 12.ten Vers ist von "Kadaver" die Rede.

Erst durch das adjektiv "blutig" wird das Tier wieder lebendig.


Ein Steak kann auch blutig sein. Warum wird der Kadaver lebendig?
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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Beitragvon Amanita » 11.01.2017, 12:17

Das verstehe ich auch nicht. Warum sollte er denn lebendig werden?


Wie wäre es, die zwei Wörter zu einem zusammenzufassen – zu blutigrosa?

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Beitragvon Pjotr » 11.01.2017, 12:28

Vielleicht ein bläulich-grünes Aschgrau mit etwas Rotstich ...

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Beitragvon Pjotr » 11.01.2017, 14:12

Laut internationaler Vereinbarungen gilt der Tod erst dann als inkraftgetreten, wenn der Hirntod eingesetzt hat. Jetzt fragt man sich als Beobachter natürlich, wann ist das Hirn tatsächlich tot? Also womöglich bleibt der Kadaver noch länger lebendig als man denkt, egal ob mit oder ohne Blut ...

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Beitragvon nera » 12.01.2017, 01:12

mal einen krankenschwesterspruch von einer ollen krankenschwester: wo blut ist, ist leben.
und ich habe keine ahnung, ob man sich mit fett von einem baer einreiben kann, wenn er gerade gestorben ist. fett ist nicht so, wie wir uns das gerne vorstellen. viel zu fest, um sich damit einzureiben. aber es ist eine schutzschicht und ein reservoir.
aber ich finde diese idee interessant. die in dem text spricht.
und klimperer hat recht. durch das blut wird der kadaver wieder lebendig. ich glaube darum geht es im dem text. dass der tod soetwas absolutes ist und man leben dagegen setzen möchte und hier, in diesem text, ein opfer bringt. wie eine beschwörung: leben gegen leben oder leben für leben. das scheint mir so ein bedürfniss nach trost zu beinhalten und natürlich auch wut? haare oder fell auszureißen erfordert wirklich kraft oder wut. schon ein tier aus seiner haut zu lösen ist ein kraftakt und es riecht komisch. vorausgesetzt das tier ist tod. verstorbene sind nicht blaustichig eklig grün, pjotr, sie sind blutleer und deshalb gelbweißfahl. und tatsächlich spürbar kalt. bei einem tod, der nicht gewaltsam eintritt, zentralisiert der organismus. dh... nur noch die notwendigsten organe werden mit blut versorgt, bis gar nichts mehr versorgt wird. das kann man künstlich verlängern. ( und da sehe ich persönlcih auch ethische probleme) aber das ja jetzt nichts mit dem text zu tun?

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Beitragvon Pjotr » 12.01.2017, 07:35

Zwei Sachen, Nera: Eine zur Farbenlehre und eine zum Humor: "Gelbweißfahl" lässt sich herstellen, indem man -- wie ich zitierte -- blau, grün, rot und aschgrau entsprechend mischt. Also widersprechen wir uns gar nicht (zumal es um Bäreninnereien geht, nicht um tote Menschenaußenhaut). Wenn ich drei Grundfarben mische, kann ich theoretisch alle erdenklichen Farben herstellen. Darin liegt der erste Witz. -- Der zweite Witz basiert auf der Art der hier laufenden Farbdiskussion an sich, und vor allem liegt er darin, dass dieses Nachdenken über einen optimalen Farbton schon bei Loriot karikiert wurde, den ich oben zitierte; dort fragte eine Psychotherapeutin einen Mann nach seiner Lieblingsfarbe, und der zählte viele Farbnuancen auf, so dass das Resultat am Ende völlig neutral war und die Psychotherapeutin ihre Farbtabelle nicht mehr zur Hilfe nehmen konnte.

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Beitragvon nera » 14.01.2017, 04:13

dachte ich mir schon;) aber bockig, wie ich bin; es geht für mich nicht um innereien sondern um außereien, also haut und blut von säugetieren.und es geht um innereien. nee, mal ernst. das ist ja jetzt alles beckmesserei oder so? und blut ist für mich nicht eklig. liegt wahrscheinlich an meinem beruf. und deshalb ist das mit dem flüssigen fett für mich komisch. aber den text mag ich. er wirkt authentisch auf mich. er hat etwas verzweifeltes und lebendiges oder besser lebenbejahendes? die bilder sind ein surreales/ reales gemälde, verzweifelt und trotzig und sie müssen nicht auf ihre wirklichkeit hin abgeklopft werden. sie beschreiben etwas anderes, was genauso real ist. ich weiß, das widerspricht sich jetzt. ich verstehe nicht alles in diesem text, aber er berührt mich. und er stellt fragen.


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