Pirsch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
SarahWeidenlicht

Beitragvon SarahWeidenlicht » 05.01.2017, 19:03

Pirsch

Hast du den Arzt kommen hören-
Oder hast du zu tief geschlafen


Nachts war ich jagen in Gründen
mitten im Wald wo ich wohnte.

Nebenan lebte ein junger Mann
oder war mindestens zu Besuch.

Ohne Rhythmus ging er aus und ein
doch mir standen keine Fragen zu.

Hast du das weiße Bett gesehen-
Man weiß jetzt noch nicht viel


Zu zweit schossen wir einen Bären
schleiften den Kadaver in die Wiese.

Eine Frau weinte doch unbeirrt rissen
wir ihm Fell vom blutig rosa Fleisch.

So wie in Träumen vieles grundlos
bleibt, so wollte ich das warme Fett

Ich rief dort an wegen dem Geräusch-
Sagte man mir es war richtig so.


Das mollige und noch flüssige Fett
habe ich mir in die Haut gerieben

Beine, Busen, mein Bauch und Hals
rochen dann vollständig nach Wild.

Ich wusste genau, dass es sein muss
Denn ich konnte nur so einschlafen.

Wann er ging war wohl unsagbar-.
Man weiß jetzt nicht mehr viel


So bin ich aufgeschreckt gerade
als es sehr ruhig geworden war.

Dass er ging, hörte ich nicht.
Aber die Stille erschlägt mich.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 05.01.2017, 20:01

Hallo Sarah! Das finde ich interessant!

Niko

Beitragvon Niko » 05.01.2017, 22:41

Geht mir auch so, Sarah, und.....herzlich willkommen! Besonders die letzten beiden "Strophen" finde ich sehr nahegehend! Noch bin ich wohl nicht in jegliche tiefe vorgedrungen... Aber das werde ich noch, wenn sie sich dann doch mir öffnet!

Herzlichst - Niko

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 05.01.2017, 22:46

Mich bewegt dieses Gedicht sehr, weil es mich an persönliche Erlebnisse (das miterlebte Sterben eines Verwandten) erinnert.

Das einzige, was sich für mich sperrig anhört, ist das "mollige" Fett.

Herzlich willkommen und Glückwunsch für diesen gelungenen Einstand!

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.01.2017, 09:45

Willkommen S.,

oh wie schön, ein frischer Wind. Auf den ersten Blick dachte ich, bestimmt so ein Riraringeltext. Umso größer die Freude über das, was ich lesen durfte, ein bildkräftiges Gedicht, das mich in seinen Ton einspinnt und mitnimmt. Gekonnt Metaebene und Greifbares verbandelt. Das "Fett" evoziert für mich am stärksten (das Bild haut rein) und zwar in alle Wahrnehmungsrichtungen, sei es der Geruch, sei es die Haptik, sei es sei es, es ist!
(Deshalb auch ein deutliches Plädoyer für das "mollig", was für mich nochmal die Komplexität steigert, weil es so einen Widerspruch "verkörpert", mit einer Ambivalenz kokettiert. Heimeliges, Aufgehobenseiendes in den Konflikt mit Bäh setzt.)
Ich könnte jetzt noch lange lamentieren, viel viel steckt da drin in dem Text.
An einer Stelle würde ich streichen/umgestalten:


Beine, Busen, mein Bauch und Hals
rochen dann vollständig nach Wild.

"dann vollständig nach" ... viel zu technisch/statistisch/unträumig/hohlraumversiegelungsbewertig

Grüße
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 06.01.2017, 10:13

Hallo und willkommen,

das finde ich spannend.

eine Frau weinte doch unbeirrt rissen
wir ihm Fell vom blutig rosa Fleisch.

hier würde ich "blutig" streichen, wegen des Taktes und weil ich es unnötig finde

So wie in Träumen vieles grundlos
bleibt, so wollte ich das warme Fett

Hier könnte man noch dichter machen, weniger erklärend, in die Richtung "Wie in Träumen wollte ich grundlos/das warme Fett" oder so

Ich rief dort an wegen dem Geräusch-
Sagte man mir es war richtig so.
Hier bin ich nicht sicher, ob mich der umgangssprachliche, wenn auch dudenseitig legitimierte Dativ stört oder ob er genau richtig ist.

Mit dem molligen Fett geht es mir wie Zefira. Kann mir nichts drunter vorstellen außer Redundantes.
Vermutlich gewinnt der Text eher durch Streichung von Adjektiven

Beim "rochen dann vollständig" bin ich anderer Ansicht als Nifl, obwohl sein Kommentar nachvollziehbar und gut begründet ist. Für mich klang das nicht nach Gebrauchsanweisung, oder vielmehr: Ich finde es stimmig, dass es so klingt! Das LyrIch scheint doch sich selbst (Gebrauchs)Anweisungen zu geben, während des Tuns, sich am logisch Technischen des Nichtbeherrschbaren festzuklammern. ("Nichtbeherrschbares" ist vorläufig, ebenso vorläufig könnte ich "Wahnsinn" schreiben oder "Leben" oder "Tod")


Danke fürs Teilen

klara

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 06.01.2017, 11:21

Hallo, nur an dieser einen Stelle bin ich gestolpert:

"... dann vollständig ..."

Ich finde ...

Das "dann" klingt wie aus einem Schulaufsatz. Passt nicht zum ansonsten sehr literarischen Stil.
Das "vollständig" klingt zu bürokratisch. Passt nicht zum ansonsten unbürokratischen Stil.

Nur ein kleiner Stilbruch. Wie eine Gebrauchsanweisung klingt die Stelle für mich nicht; und wenn sie eine wäre, würde mich das nicht stören, solange sie unbürokratisch klingt. Aber wahrscheinlich meinen wir alle dasselbe.

Aber es ist auch die Wort-Kombination "riechen ... vollständig", die sprachlogisch nicht flutscht, finde ich. Weniger Silben dürfens allerdings auch nicht sein; die Rhythmik in der Zeile gefällt mir. Man müsste für "... dann vollständig ..." einfach nur andere Wörter finden, die zugleich den Rhythmus erhalten.

Das ist jetzt Kritik an zwei Staubkörnchen ... :-)


Cheers

Pjotr

SarahWeidenlicht

Beitragvon SarahWeidenlicht » 06.01.2017, 14:08

Danke euch allen!
Das "mollig" behalte ich nach der Diskussion hier trotzdem bei. Ich mag es, weil es eben ein weiches und liebes Wort ist, das für mich eine bestimmte Konnotation von "Fett" hervorhebt.

Mit eurer Kritik des "dann vollständig" habt ihr recht- war vielleicht eine Verlegenheitsformulierung.
@Klara: Das "blutig" rauszustreichen, finde ich einen sehr guten Hinweis.

Liebe Grüße!
Sarah

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 06.01.2017, 14:39

Klara hat geschrieben:hier würde ich "blutig" streichen, wegen des Taktes und weil ich es unnötig finde

Takt im Sinn des Anstands oder im musikalischen Sinn? Ich würde gerne verstehen, warum das Wort streichenswert ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 06.01.2017, 14:55

@Pjotr: entweder blutig oder rosa, sonst wirkt es auf mich redundant. Musikalisch könnte ich nur für diesen Zweiervers argumentieren, weil der Rhythmus insgesamt ja nicht einheitlich ist, aber wenn ich nur diese zwei Verse betracht: auch rhythmisch mag mein Ohr das blutig nicht. Inhaltlich ist es mir zu direkt, ich möchte eher anders das Gruseln bekommen als mit der Nase hineingedrückt zu werden. Oder so. Mag falsch sein für die Autorin, aber ich kann ja nur von meinem Leseeindruck und Sprachgefühl ausgehen. Eine der schwierigsten Sachen bei Textbesprechungen ,die noch "roh" oder zumindest nicht fertig sind (BLUTIG sozusagen ;) ist, sich ni ht von den Eindrücken und Hinweisen erster Lesender verunsichern zu lassen in der eigenen Gewissheit, aber dennoch die jeweils im Eigensinn stimmigen Argumente zu nutzen. Den Job kann den Schreibenden und Zeigenden aber niemand abnehmen. Und glaub mir: I know what I'm talking about, lasse mich oft viel zu leicht verunsichern, hat sich etwas gebessert, hab meinem Eigensinn erlaubt zu wachsen :) Ein Selbes erwarte ich hoffe ich wünsche ich (von) allen Schreibenden, damit ich in Ruhe kommentieren kann ;)

Bedenkend, dass Kommentierende meist oberflächlicher, distanzierter und weniger parteiisch sind als die Textzeigenden - das ist gut, aber das heißt eben auch: Vorsicht. Je apodiktischer oder scheinbar sicherer, desto mehr Vorsicht ist geboten. Bitte um Vorsicht bei meinen Kommentaren und im Zweifel Rücksicht aufs Eigene. Ist aber eh klar, oder?

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Beitragvon Pjotr » 06.01.2017, 15:21

Klar.

Bei "blutig" dachte ich, die Autorin will etwas "blutiges" zeigen.

Klara
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Beitragvon Klara » 06.01.2017, 15:23

Klar.

Aber ist es notwendig bzw. verstärkt oder schwächt es die Textsprache, wenn das Zeigen von etwas Blutigem über das Adjektiv blutig erfolgt? Oder sehe ich, Leserin, das Blutige viel deutlicher (zugleich subtiler) ohne den Fingerzeig des Adjektivs?

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Beitragvon Pjotr » 06.01.2017, 15:27

Also das Wort nicht streichen, sondern ersetzen. Und das nassrote Bild behalten.

Wenn Ihr das so meintet, dann meine ich auch: das wäre eine Verbesserung.

SarahWeidenlicht

Beitragvon SarahWeidenlicht » 06.01.2017, 17:06

Puh! Mir ging es insgesamt darum eine bestimmte, sehr körperliche Haptik zu vermitteln. Wichtig ist mir, eine körperliche Berührung und nicht nur eine Betrachtung zu skizzieren. Darum stimmt es vielleicht, dass blosses "rosa" Fleisch nicht dasselbe Gefühl von Faszination/ Ekel/.. vermittelt. Man müsste dann auch den ganzen (eh freien) Rhythmus etwas abändern:
Eine Frau weinte doch unbeirrt
rissen wir Fell vom rosa Fleisch.

Andere Variante: Das Wort blutig durch "feuchten" oder "nassen" zu ersetzen.

Was meint ihr? :)


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