immer wenn

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 22.01.2017, 14:35

immer wenn ich
an dem laden vorbeigehe
denke ich an sie
als sie dort ein geschäft hatte
wo sie luftballons
und windräder verkaufte
schräg gegenüber
wohnte sie
parterre
von dort lief sie dann
zu ihrem neuen job
aufsicht im museum
wo sie eine uniform trug
und ein permanentes lächeln
sie schien stolz
auf ihre krawatte zu sein
zeitschriften
für exklusive möbel
las sie gerne
blätterte sie sehnsüchtig
nachdenklich
sie war schmal
wurde immer schmäler
dünn
dünner
fing an
schwarze handschuhe zu tragen
verliebte sich in dieter
den objektleiter

er war der einzige
der nicht bei ihrer beerdigung war
Zuletzt geändert von Klimperer am 25.01.2017, 08:27, insgesamt 1-mal geändert.

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 24.01.2017, 21:01

hallo klimperer,

ich finde es schwierig, dass der text sich anmaßt, den suizid der frau, ihr motiv, zu erklären. ("so brachte sie sich um")
ich fürchte, so einfach ist es nicht.

a.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 25.01.2017, 08:32

Liebe Allerleirauh,

danke für deine konstruktive Kritik.

Ich habe versucht, mein Gedicht mit deinen Augen zu sehen ... Und habe verstanden.

Wenn du weitere Vorschläge hättest, wäre ich gerne bereit, es weiter zu verbessern.

Liebe grüße

Carlos

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 11.03.2017, 19:31

Hallo Klimperer,
in dieser Fassung (die erste Version kenne ich nicht), finde ich den Text gelungen - vor allem, weil der Schluss zu vielen Spekulationen/Interpretationen Anlass gibt. Er ist interessant, spannend und verrät nicht alles, lässt Freiraum für Mutmaßungen des Lesers.
Ein Leben wird beschrieben, das mit bunten Sachen begann, das immer dünner, schwärzer wird und schließlich rätselhaft in düsterer Einsamkeit endet.
Viele Grüße
tulpenrot
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

carl
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Beitragvon carl » 12.03.2017, 18:51

Hallo Klimperer,

ein berührender Nachruf!

Klimperer hat geschrieben:verliebte sich in dieter
den objektleiter

Das ist das einzige, was du ggf. nochmal überdenken könntest.
Ich versuche zu begründen:
Das ganze Gedicht ist für mein Empfinden aus einer teilnehmenden Distanz geschrieben. Der einfühlsame Beobachter, der mit dem Objekt seiner Beobachtung heimlich sympathisiert, aber über gutnachbarschaftliche Kontakte nicht hinausgeht. Erst die Begegnung im Laden, dann im Museeum, wo er sie in Zeitschriften blättern sieht, dann die langsamen Veränderungen...
Da ist jedenfalls nichts dabei (so empfinde ich es) was man über jemanden zu allererst sagen würde, den man gut kennt.
Deshalb auch die überraschende Stärke des Schlusses!
Dazwischen nun intime Kenntnisse bis hin zum einzigen Eigenamen?
Wie wär's mit
"verliebte sich, so munkelt man
in den objektleiter...
Oder was in diese Richtung...

Viele Grüße, Carl


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