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kreuzholz

Verfasst: 13.12.2017, 15:03
von allerleirauh
hast mich zum narren gehalten
am anderen ende der welt
weil du daherkamst wie eine wunderschöne blüte
deren namen keiner zu sagen wusste
deine blätter lederne gabeln
angenehm in den händen und erinnerung an alte gärten
verrieten dich
du hast tod gebracht wie du ihn immer bringst
ohne hast
schleichend und still
ein sterben stück für stück
es ist so schwer dir nicht auf den leim zu gehen
unmöglich nicht an dir klebenzubleiben
du bist im kopf
verzweigst dich im hirn
lebst und wächst
lebst und wächst
lebst
bist die sichel dich vom denken trennt
und man dich auf weiße tücher breitet damit du bleibst
hast mich zum narren gehalten
am anderen ende der welt
an einem staubigen tag meine blicke verrieben


und nun
am ende der zeit
in der geklonten stadt am fluss
die so ungerecht ist
kommst du plötzlich zurück
wagst es mir unter die augen zu treten
traust dir mich zu berühren
in einer anderen namenlosen gestalt
deine blätter lederne gabeln
angenehm in den händen und erinnerung an alte gärten und schotterpisten
verraten dich
du bist fluch
segen zugleich
und vielleicht: ein geschenk
das mich schützt vorm feuer, vor gift, missgunst und der vergangenheit
so lass ich dich nicht gehen
scheinst du zu sagen
küsst mich
im schatten der häuser

Verfasst: 13.12.2017, 18:50
von Nifl
traust dir mich zu berühren

dich? (nur kurz Zeit)

Verfasst: 15.12.2017, 12:16
von allerleirauh
Der Duden sagt: beides funktioniert.

Verfasst: 15.12.2017, 21:05
von Niko
Hallo allerleirauh!

Das ist wirklich ein Juwel. Es spricht zu mir als sei es ein Meisterwerk. Aber ich würde gerne mit meinem subjektiven Empfinden den Text durchkämmen.

"hast mich zum narren gehalten"

Das kann man so machen, allerdings habe ich immer latent ein Problem mit Anfängen, die gleich zum einstand das Personalpronomen missen lassen. Es ist ok, wenn du es so machst, nur mich persönlich stört es etwas.


"am anderen ende der welt
weil du daherkamst wie eine wunderschöne blüte
deren namen keiner zu sagen wusste"

Diesen Absatz finde ich traumhaft schön!

"deine blätter lederne gabeln
angenehm in den händen und erinnerung an alte gärten
verrieten dich"

Der Bezug von "Erinnerung" ist irgendwie hakelig. Ich fände "erinnerungen an alte gärten" oder wahlweise einen Artikel vor der singulären Erinnerung eindeutiger.

"du hast tod gebracht wie du ihn immer bringst
ohne hast
schleichend und still
ein sterben stück für stück
es ist so schwer dir nicht auf den leim zu gehen
unmöglich nicht an dir klebenzubleiben
du bist im kopf
verzweigst dich im hirn
lebst und wächst
lebst und wächst
lebst"

Dieser Absatz ist unglaublich intensiv für mich als Leser. Es ist leidenschaftlich und das spürt man im Text lesen und in dem, was darin schwingt. Das ist wirklich extrem großartig. Für mich.
Aber heißt es nicht "kleben zu bleiben"?

"bist die sichel dich vom denken trennt"

Wieder fehlt das Personalpronomen..... Oder sollte es dort heißen "bis die sichel dich..."? Klingt wahrscheinlicher.....

"und man dich auf weiße tücher breitet damit du bleibst
hast mich zum narren gehalten"

Auch hier fehlt es....

"am anderen ende der welt
an einem staubigen tag meine blicke vertrieben"

Diese letzte Zeile "an einem staubigen tag...." ist wieder wundervoll komponiert.


"und nun
am ende der zeit
in der geklonten stadt am fluss
die so ungerecht ist
kommst du plötzlich zurück"

Das "die so ungerecht ist" braucht es für mich absolut nicht.

"wagst es mir unter die augen zu treten
traust dir mich zu berühren"

Auch ich bin mir eigentlich ganz sicher, tausendprozentig sicher, dass es "traust dich, mich zu berühren" heißen muss.

"in einer anderen namenlosen gestalt
deine blätter lederne gabeln
angenehm in den händen und erinnerung an alte gärten und schotterpisten
verraten dich
du bist fluch
segen zugleich
und vielleicht: ein geschenk
das mich schützt vorm feuer, vor gift, missgunst und der vergangenheit
so lass ich dich nicht gehen
scheinst du zu sagen
küsst mich
im schatten der häuser"

Dieser komplette Abschnitt rührt mich extrem an. Mich berührt ein Text, der unglaublich wirkt. Er ist in erster Linie Gefühl und dann Text! Und beides perfekt in Szene gesetzt.

Das ist ein wunderbarer Text, allerleirauh!

Herzlichst - Niko