Berlin I

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 26.05.2006, 21:41

Der Regen trommelt
seine Trauermelodie
auf Ahornblatt
und Innenhofbeton.

Dunkelgraue Tränen
weint er zerlaufner
Schminke gleich
ans Vorderhaus.

Kastanienschwerer
Duft steigt in
mein Zimmer, denn
die Fenster stehen
weit auf.

Mich friert.
Auf Holzdielen
gebettet, den Kopf
ans nutzlose
Heizungsrohr

gepresst,
klebst Du im Hirn
mir fest wie
kalter Zigarettenrauch.

Erste Version

Der Regen trommelt
seine Trauermelodie
auf Ahornblatt
und Innenhofbeton.

Dunkelgraue Tränen
weint er zerlaufner
Schminke gleich
ans Vorderhaus.

Kastanienschwerer
Duft steigt in
mein Zimmer, denn
die Fenster stehen
weit auf.

Mich friert.
Auf Holzdielen
gebettet, den Kopf
ans Heizungsrohr

gepresst,
klebst Du im Hirn
mir fest wie
kalter Zigarettenrauch.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 28.05.2006, 12:22, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.05.2006, 22:13

Ja, ja, Paul Ost,
Rauchen gefährdet die Gesundheit...
Dein Gedicht gefällt mir gut in seiner anfänglichen Melancholie.
Im klebrigen Vergleich am Schluss schwingt eine gesunde kleine Aggression mit, wer wird schon gern mit kaltem Rauch verglichen, den das lyr.Ich vermutlich gern loswerden würde...

Zur Sprache:
„Der Regen trommelt
seine Trauer“
fände ich noch stärker, die Melodie hat schon wieder so was Versöhnliches.
„denn die Fenster stehen weit auf“ würde ich ersatzlos streichen.
Liebe Grüße; ein weiches Ruhekissen und sanfte Träume
wünscht leonie

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 27.05.2006, 01:54

Hallo Paul

Großstadthinterhaus versus angenehmer Naturempfindungen, Frieren mit dem Kopf am Heizungsrohr, dieses Gedicht bietet keine platten Gegensätze, sondern ist spannungsgeladen in seinen Bildern.

Das Du hat einen schweren Stand, da es mit kaltem Zigarettenrauch verglichen wird.

:thumbleft:

MfG

Jürgen

rockandrollhexe

Beitragvon rockandrollhexe » 27.05.2006, 06:58

Sehr schön diese Stimmung eingefangen. Erinnert mich an die Zeit als ich eine Hinterhofwohnung hatte und an trüben Tagen aus dem Fenster auf den tristen Hof schaute.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.05.2006, 10:22

Hallo Paul,

Städte haben es schwer bei dir :grin:

Was Gurke schreibt empfinde ich genau so, neue (eigene) Bilder, das mag ich an deinen Gedichten sehr.

Zwei Dinge sind mir aufgefallen:

1) Tauchen unverbunden zwei verschiedene Baumarten auf (Ahorn und Kastanie), da der leser ja nicht "sieht" wirkt das etwas unvermittelt.

2)
Mich friert.
Auf Holzdielen
gebettet, den Kopf
ans Heizungsrohr


Selbst im übertragenden Sinne wirkt das auf mich sehr sehr..heiß..ein Kopf am Heizungsrohr ist schon eine Meisterleistung...vielleicht würde ich am "alten" Heizungsrohr, oder am müden Heizungsrohr nehmen, um die Hitze etwas abzuschwächen...oder willst du den Schmerz dabei mittransportieren? Dann würde ich es in bezug auf deutlichkeit hier verschärfen...

Gern gelesen,
Lisa

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 28.05.2006, 12:20

Liebe Kommentatoren,

danke für die Hinweise. Ich werde noch ein wenig über dieses Gedicht nachdenken müssen. Mir stand eine ganz besondere Situation vor Augen, die ich irgendwie in Worte fassen wollte.

Leonie: Die Melodie ist mir wichtig, auch das Versöhnliche. Gelegentlich spiegelt das Wetter ja völlig freiwillig unsere Emotionen wider. Deshalb ist auch das Fenster auf.

Gurke: An den heiß/kalt-Gegensatz habe ich gar nicht so sehr gedacht. Aber diesen interpretativen Spielraum will ich auch keinem nehmen.

Lisa: Der Innenhof hatte mehrere Bäume. Was die Heizung angeht. Ich kann ja mal versuchen, das zu qualifizieren, ohne etwas über die Wärme zu sagen.

Grüße

Paul Ost


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