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Im Schattenland (geändert)
Verfasst: 26.05.2006, 22:19
von leonie
Sie findet ihr Gesicht
im Spiegel nicht mehr.
Als sei der eigene Schatten
vor sie getreten.
Sie will ihn
beiseite schieben,
doch er
hält stand.
Mit bloßen Händen
versucht sie
Funken zu retten
will einen Windhauch
in ihre Lungen zwingen,
die Augen
glühen sehen.
Die Luft aber
ist stiller
als der Tod.
Er mäht
sich den Weg frei
durch ihre Träume
unter die Haut,
Jagt Angstschweiß
die Adern
zum Nacken hinauf
schüttelt sie
bis sie fällt.
Mit festem Griff
zieht er sie
über die Grenze
ins Schattenland.
II.
Sie kreist lange
jenseits
des Spiegels
hin und her
suchend nach
Augenlicht
um sich anzustecken
und endlich
aus ihrem eigenen
Schatten zu treten.
Erstfassung:
Sie findet ihr Gesicht
im Spiegel nicht mehr.
Als sei der eigene Schatten
vor sie getreten.
Sie will ihn
beiseite schieben,
doch die Füße
halten nicht stand
Mit bloßen Händen
versucht sie
den Funken zu retten
will einen Windhauch
in die Lungen zwingen,
um ihre Augen
glühen zu lassen.
Die Luft aber
ist stiller
als der Tod.
Als Sieger mäht er
sich den Weg frei
durch ihre Träume
unter die Haut
Jagt Angstschweiß
die Adern
zum Nacken hinauf
schüttelt sie
bis sie fällt.
Mit festem Griff
zieht er sie
über die Grenze
ins Schattenland.
Sie geht jenseits
des Spiegels,
sucht Strohhalm und Streichholz,
um aus ihrem eigenen
Schatten zu treten.
Verfasst: 26.05.2006, 23:18
von Paul Ost
Liebe Leonie,
was für schwarze Gedanken Du Dir des Abends noch machst. Dein Gedicht ist gruselig, wenn auch auf eine altbekannte Art. Es erinnert mich an eine Fantasy-Geschichte, die ich vor langer Zeit mal gelesen haben. Darin wird ein Zauberer von seinem Schatten ermordert. Jetzt, da ich das schreibe, meine ich mich zu erinnern, dass auch E.T.A. Hoffmann solche Schattengeschichten geschrieben hat. Aber geht es hier überhaupt um den Tod? :-s
Verfasst: 27.05.2006, 00:00
von leonie
Lieber Paul Ost,
Dein Kommentar hat zunächst einmal ein breites Grinsen auf mein Gesicht gebracht. Gestern böse, heute gruselig, das hatte ich noch nie im Kommentar. Da tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf!
Aber es geht hier nicht nur um den Tod. Auch um Erkrankungen, die einen zum eigenen Schatten degradieren und bewirken, dass der Tod einem ziemlich auf die Pelle rückt, zum Beispiel in Träumen. Das ist dann nicht nur in Worten gruselig. Aber man kann durchaus auch darüber lachen lernen, wenn man das Schlimmste überstanden hat!
Viele Grüße
leonie
Verfasst: 27.05.2006, 11:04
von Louisa
Hallo leonie!
-Achso. Hast Du etwa geträumt, Du wärest schwer krank? -Interessant.
Zu Deinem Text, diese Stelllen:
Als sei der eigene Schatten
vor sie getreten.
Sie will ihn
beiseite schieben,
doch die Füße
halten nicht stand
will einen Windhauch
in die Lungen zwingen,
gefallen mir am Betsen. Eine gute Idee, den eigenen Schatten beiseite zu schieben und sich Luft in die Lungen zu zwingen. Toll!
-Aber das der Tod still ist, vielleicht schon zu oft gelesen. Und ist die Luft nicht auch zumindest
sehr leise?
Ansonsten ein gutes Szenario (eignet sich füe ein Theaterstück).
Wieso sucht sie aber Streichholz und Strohhalm? Ist das ein fernöstlicher Brauch, der Todesgeister vertreibt? Oder ist sie Raucherin und hat Durst?
Grüßlein, louisa
Verfasst: 27.05.2006, 15:57
von Trixie
Servus leonie!
Ich find dieses Gedicht ganz wunderbar schaurig. Eine tolle Beschreibung der altbewährten Angst vor Schatten und was sich darin verbergen könnte...( Krankheit? Selbstzweifel? ) Und ich finde, sie wird nicht langweilig oder ermüdend, obwohl sie eigentlich recht lang ist! Den Strohhalm am Ende habe ich nach dem Sprichwort verstanden, in dem man sich an einem Strohhalm in der Not festklammert. Aber die Streichhölzer? Dazu fällt mir jetzt spontan kein Sprichwort ein :shock: ! Was ich auch nicht ganz klar verstehe ist: "Sie will ihn beiseite schieben, aber die Füße..." Was haben denn die Füße damit zu tun? Oder meinst du, dass sie ihn mit den Füßen beiseite schieben will? Das kann ich mir aber ohnehin nicht gut vorstellen. Hm, irgendwie steh ich hier vielleicht auf der Leitung. Aber insgesamt eine wirklich schöne Umsetzung. Also, nicht schön, aber gut gelungen

!
schattenlose Grüße, Trixie
Verfasst: 27.05.2006, 16:52
von leonie
Liebe Louisa, liebe Trixie,
danke für Eure Rückmeldungen. Ich habe versucht, einen Moment im Leben zu beschreiben, in dem der Schatten stärker ist und „sie“ nötigt, die Plätze zu tauschen. „Sie“ versucht, den Funken zu retten, der den Schatten zurückweichen lassen kann an seinen richtigen Platz, aber das misslingt.
So wird „sie“ zum Schatten ihrer selbst. Während der vormalige Schatten so stark ist, dass er „sie“ z.B. mit Todesträumen quälen kann.
Die Streichhölzer sollen dazu dienen, das Feuer wieder anzufachen, Licht herzustellen, damit „sie“ den Schatten zwingen kann, die Plätze wieder zu tauschen.
Wenn man versucht, jemanden wegzuschieben, dann sind das die Füße, die als erstes zurückweichen
Ich weiß von kranken Menschen, dass sie oft dieses Gefühl haben, ein Schatten ihrer selbst zu sein. Und oft von dem gequält werden, woran sie sonst nicht zu denken versuchen, z.B. Todesträumen. Das war der Anlaß für dieses Gedicht.
Viele Grüße
leonie
Verfasst: 27.05.2006, 18:53
von Lisa
Hallo Leonie,
das Thema des Gedichts und die Wendung finde ich serh gelungen (wie immer

).
Mit der sprachlichen Umsetzung habe ich allerdings noch ein paar Probleme bei diesem Gedicht.
Erstens:
Sie will ihn
beiseite schieben,
doch die Füße
halten nicht stand
Ich verstehe schon, was die Füße damit zu tun haben, nur dass die eigenen Füße (die des Schattens können ja nicht gemeint sein) beim Schieben standhalten...ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das so ausdrücken würde...
Wenn zwei sich gegeneinander lehnen oder wenn sich jemand gegen einen selbst lehtn, dann halten die Füße nicht stand, wenn man aber jemanden schiebt, der schwerer/stärker ist, würde man nicht schreiben, dass die Füße nicht standhalten oder? (natürlich halten sie auch da nicht stand, aber die Perspektive ist eine andere und somit kann man die Formulierung so nicht verwenden, in meinen Augen (ohje, war das wirr?)
Diese Stelle habe ich jetzt so für mich erschlossen, dass der Funken IN ihr entfacht werden muss (daher: nur noch der Schatten ihrer selbst), daher auch der (tolles Bild) Windhauch der in die Lungen gezwungen werden muss. Warum allerdings müssen gerade die Augen glühen? Weil sie die sind, die sich selbst sehen? ich würde den Funken allerdings dennoch eher im Inneren ansiedeln...
Die Luft aber
ist stiller
als der Tod.
sehr gelungen (in meinen Augen :grin: )
Als Sieger mäht er
sich den Weg frei
durch ihre Träume
unter die Haut
was soll das Mähen bedeuten?
Jagt Angstschweiß
die Adern
zum Nacken hinauf
schüttelt sie
bis sie fällt.
das sie bezieht sich grammatikalisch auf die Haut. Ist die gemeint? Zieht er die Haut ins Schattenreich und zieht sie an? oder meinst du mit sie die Frau?
Sie geht jenseits
des Spiegels,
sucht Strohhalm und Streichholz,
um aus ihrem eigenen
Schatten zu treten.
Der Strohhalm ist mir zu viel Wortspiel (er ist in keinem weiteren Bild aufgefangen, außer in der Redewendung nach einem Strohhalm greifen...). Hm, auch das Streichholz will mir nicht so richtig gefallen, ich verstehe deine Erläuterungen dazu, aber es fällt aus der Bildebene...vorher war es doch die Luft, die den Funken entfachen sollte..
Ohje, serh viel Kritik, ich hoffe, du legst den text trotzdem nicht in deiner berühmten Schublade ab, denn das Thema finde ich sehr bedichtugnswert...meine erste überhaupt je entstandene Kurzgeschichte (Die roten Socken oder so, ganz greulich) handelte eben genau davon...
Liebe Grüße,
Lisa
Verfasst: 27.05.2006, 21:10
von leonie
Liebe Lisa,
danke für die ausführliche Kritik. Ich überlege, ob ich den Schluss ganz weglasse. Ich mache das mal probehalber und hoffe auf noch ein paar Rückmeldungen.
Mit den Augen überlege ich noch, ich finde, man sieht in den Augen eines Menschen am ehesten, ob er „für etwas brennt“. „Den Weg freimähen“ soll an den Tod mit der Sense erinnern. Und das „sie“ bezieht sich für mich auf die Frau, nicht auf die Haut. „Er“ ist ja schon unter der Haut und treibt dort sein Unwesen.
Schatten und Tod sind fast austauschbar, vielleicht ist auch das verwirrend. Andereseits gehören sie für mich ganz nah zusammen.
Ich überlege weiter, meinst Du, ich sollte es in die Werkstatt schieben?
leonie
Verfasst: 28.05.2006, 13:38
von Trixie
Servus leonie!
Ich finde das mit dem standhalten jetzt besser. Aber den Schluss ganz weglassen? Dadurch erhält das Gedicht eine komplett andere Wendung. Ist das beabsichtigt? Denn nun scheint es, als habe der Schatten/Tod gesiegt und sie hätte aufgegeben, da es scheinbar kein Entrinnen mehr gibt aus dem Schattenland. Vorher hat sie trotzdem noch, obwohl sie im Schattenland angekommen ist, versucht zu kämpfen, hat nicht aufgegeben. Ich finde beide Versionen gelungen, nur die Umsetzung in der ersten Version irgendwie nicht. Ich wüsste nur leider auch nicht, wie ich dieses Strohhalm/Streichhol-Bild ändern könnte. So wirkt es noch viel deprimierender und endgültiger, wie es jetzt dasteht. Das ist natürlich auch gut... Je nach dem, wie du es haben möchtest, dann überleg ich mir auch noch etwas!
lg Trixie
Verfasst: 28.05.2006, 17:44
von Lisa
Hallo leonie,
mit der Werkstatt weiß ich nicht,..nun ist es hier, ich glaube, ich würde es erst einmal hier lassen, hier lässt sich ja auch daran arbeiten. Ich finde immer, das hat etwas komsiches, den text dann hinterher in die Werkstatt zu schieben...das sieht dann ein wenig aus wie eine Herabwürdigung.
Den Schluss zu streichen: Die Wendung hat mir eigentlich gefallen (dass sie dann hinter dem Spiegel geht)...nur war für mich das Bild sprachlich noch nicht so versiert...
Immoment bin ich dem Text gegenüber aber unsicher, ich möchte ihn nicht zu sehr verhaken...es kann auch sein, dass ich in das komplette Bild nicht eingesteigen bin und völlig falsche Kommentare abgebe. ...verstehst du, was ich meine? Du solltest nicht zu viele Teilstücke auf einmal für sich ändern...ich mag da etwas vorsichtig sein :grin:
Liebe Grüße,
Lisa
Verfasst: 29.05.2006, 11:22
von leonie
Hallo Trixie und Lisa,
es hat ein bisschen gedauert. Ich hatte die Idee, den Text nochmal aufzuteilen. Ob das Bild mit dem Augenlicht verständlich ist?
Bin gespannt auf Reaktionen.
Danke nochmal
leonie