An den Bauch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 09.02.2018, 15:22

Missglückte an den Bauch

Hej, Bauch, ich komm nicht mehr / um Dich herum. Muss Dich zur Kenntnis nehmen: Rund / bist Du geworden, weich (ich hätte schreiben mögen „schwabbelig“, aber das hast Du Dir trotz allem / nicht verdient). Ich hab / so viel Mühe vergeben, all die Jahre. Die Jahrzehnte! Lang / hat es geklappt, mit Ach und Krach und Disziplin, und mit so-tun-als-ob, Dich flach/zuhalten. Immer gab ich Acht auf Dich, doch nahm Dich nicht für voll. Hab Dich auch nach der dritten Schwangerschaft / rasch wieder kleingekriegt, faltiger zwar, die Zwillinge / leierten Dich ziemlich aus, doch immer noch nicht voll. Dann brach die Zeit um, und Du hast / Dich nicht mehr von mir kontrollieren lassen, wehrtest Dich, was ich auch tat und unterließ, setztest Dich um mich ab, fordertest / Weite, bist nun da / um meine Mitte, mir so fremd, unheimlich kühn, hast Du Dich breitgemacht um meinen süßen tiefen Nabel. Nein, mag sein, dass ich Dich zwar gerufen hab‘, aber ich will Dich nicht! Fünf Kilo mehr bauchst Du mir auf, mein Weh.

O Du, Schmerzbauch! Immerhin frier‘ ich / nicht mehr ganz so arg, seit Du Dich deutlich machst. Und lasse mich nicht ganz so schnell mehr / in den Magen treten. Du mein Schutz/bauch, Wärmebauch, mein / „Ich-bin-da-egal-was-Du-mir-antust“-Bauch. Mein „Ja-ich-werde-alt-doch-was-wäre-die-Nichtalt-er-native?“-Bauch. Andre / sind dicker, wieder andre dünn. Ich halte nicht mehr / mit und würd’s so gern und ich finde alle Frauen schön, jede auf ihre Art ist wunderbar, nur ich bin‘s / nicht.

O Bauch, mein Jammerbauch, Du quältest mich, und ich quäl‘ Dich zurück (oder / ist’s umgekehrt?). Ich musste Dich unter- und weg / drücken, damit ich weniger / nicht hässlich sei. Ich habe Dich / mit Anspruch und Befehl so zugeballert, dass nur erstaunlich ist, wenn Du nicht ganz Durchlöchert bist von meinen Kugeln, Kugel Du! Hast Dir in Deiner nerv/tötenden Weisheit meine Fettschicht zugelegt. Hattest ja / lang genug auf mich gehört, gehorcht, so dass ich Dich nicht hören konnte: Hej, Du willst ja gar nicht mehr / als für Dich richtig ist! Du willst nur brauchen / dürfen, was Not tut, geliebt und werdend sein, wie alle Körper/ Teile, Seelen, Geiste! (Ist von Geist der Plural Geiste? Geister keinesfalls.)

O Gespensterbauch! Am Abend bist Du krass, bist nicht zu übersehen. Da schaue ich mich nicht mit Dir im Spiegel an. Ich schäme mich für Dich! Nur, wenn ich Dich nicht ansehn muss, berühre, zart, fehlt dies „muss-weg“-Gefühl. Dann spüre ich, / wie weich Du bist, und warm, das macht mir Angst und Freude.

O wacher Wattebauch! Erinnerst mich daran, dass nichts hilft, wenn das alles fehlt. Zeigst mir, dass ich gelebt habe, noch lebe, ja, wer hätte das gedacht!, obwohl ich Dich so missbehandelt habe, all die Zeit. Wollte ich / Dich nicht sehen, Dich / so klein wie möglich machen, unsichtbar, blass angepasst an all die Bäuche, die ich mir / vormachen ließ, die flachen, toughen, hungersatten, muskelharten, arbeitsamen, strengen Aufpass-Bäuche. Training. Schwimmen. Joggen. Sit-und-up und nie / das essen, was Du willst, sondern was mein Kopf Dir befiehlt. Nun ist es Dir genug, Du lässt Dir nichts / vormachen, von mir / einreden, machst nichts mehr nach. Du bist, was Du nie sein Durftest, und bleibst. Selbst wenn ich hungerte bis zum Krepieren, bliebest Du, weil Du zu mir gehörst, ich sehe das jetzt ein.

Einst litt ich Dich, damals, als Du bescheiden tatest, so / lang ist das her, weit wie ein andres Leben, weil ich Dich / bezwang. Als Du noch keine Falten mir am Rücken warfst, und rund um mich herum. Sogar auf meine Stirn hast Du drei Meter tiefe Falten eingegraben, doch selbst damals, als die Falten nicht über die Knochen krochen, mochte ich Dich nicht, sondern be-/arbeitete Dich ohn‘ Unterlass, mein Pflichtgefühl solltest Du sein, ein Nachweis meiner Mühe. (Nur als Kind wusste ich nicht um Dich, danach / wiesest Du auf Dich hin, so dass ich Dich daran hinderte, mein zu sein.) O Deine Flachheit mahnte jederzeit mit Bangigkeit, Du könntest damals schon / ausbrechen. Jeder Bissen / konnte Dich gefährden, jederzeit / Aufgabe, kein Ereignis, sondern Forderung, die mich erfüllte, ich erfülle / meine Pflicht, auch jetzt noch, doch / Du lässt Dich nicht mehr / darauf ein, Du füllst Dich. O / mein Fast-schon-50-Jahre-Bauch. Verdaust für mich all das, was ich nicht schaffe und so gerne / hätte, wäre: Eine andere, mit einem andern Bauch, der mir von Liebe spricht.

O Superbauch, Du schlucktest all mein Streben nach Vollkommenheit, Du Sehnsuchtsbauch, der mich niemals in Ruhe lässt; ich atme tief in Dich hinein, obwohl Du wackelst, Wagebauch; noch tiefer schöpfe ich / Atem in Dich, hol‘ Luft, o Urbauch, Dir zu geben, was Du brauchst; es ist gar nicht so viel, im Grunde nur / das wenigste, das leichtest-Schwerste – ah! Ich habe so viel Stress in Dich hinein / gefressen. Habe Dir so viel Eile, so viel Kalt gegeben, krude Speisen, all zu heiße Bissen, Schlingen, Traurigkeit, Verachtung, so viel Dunkelheit hast Du für mich ertragen! Halbverdaut / liegt alles da, in Dir, verwandelt in den Speck der Jahre, der da wabbelt; immer wieder / falle ich ins sehnende Versuchen, den Speck wegzuzwicken, dich ganz wegzudrücken, einfürallemal und mich / für Dich zu hassen, als seist Du / nichts als ein hässlich‘ Zeichen wider mich, all das bezeugend, was ich nicht vermag und bin, Beweis / für all mein Brauchen, die Bedürftigkeit. Mein halbes Leben / hab‘ ich Dich / mit mir betrogen.

O Stressbauch mein! Du sagst mir: Nimm Zeit, lass sie los, gib frei: diese banalen Sachen, die so leicht / zu sagen und so schwer zu machen sind. Die Worte hör‘ ich wohl, doch weiß ich nicht, wie ich drauf hören soll. Ich würde Dich / und mich so gern in Ruhe lassen, mich dem Lieben – Dir! – hingeben, Bauch, mit Dir Durchs Leben gehen, nicht mehr gegen Dich, mein Lamentier-, mein Wehe-du-gibst-auf-Bauch, ach, mein Gebe- und mein Hebe-Bauch. Mein Tränen-Bauch. Mein Schwebe-Bauch! Ah, jetzt, wo ich mit dir spreche, ehrlich bin, spüre ich Dich zum ersten Mal genau, ganz ohne / „Du sollst weg“: Mein Lachbauch auch, mein Mach-Bauch und mein Trotzdem-Wackelbauch. Gut, dass Du bist! Was wär‘ ich / ohne Dich? Vielleicht nicht nichts, jedoch nicht wirklich / ich.

Niko

Beitragvon Niko » 09.02.2018, 18:55

Hallo Klara!

LYRIK???

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birke
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Beitragvon birke » 09.02.2018, 19:11

famos! und ja, ich find's lyrisch, die sprache und auch den duktus.
oh, du bauch, meine mitte!
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Kurt
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Beitragvon Kurt » 09.02.2018, 19:22

Echt? Ich würde eher sagen, lyrische Prosa, als prosaische Lyrik.
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 09.02.2018, 19:35

Wie muss ich beim Sprechen die Schrägstriche vertonen?

Klara
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Beitragvon Klara » 10.02.2018, 14:02

Tja, wer bestimmt, was LYRIK ist - Niko, du?
Oder darf ich selbst?

Die Genre-Bezeichung würde die Rubrizierung jedenfalls rechtfertigen, Kurt, - immerhin handelt es sich um eine, wenn auch missglückte - ODE.
Oder auch der Rhythmus?

Vielleicht wie Verssprünge, Pjotr? Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, da sind Hebe-Pausen, oder nicht zwingend Hebungen, aber jedenfalls Striche, ///, die aber für die weiße Freiheit der lyrischen Großzügigkeit im Flattersatz nicht ausreichend dick sich anfühlten.

herzlich
klara

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Beitragvon Pjotr » 10.02.2018, 16:02

Visuell und akustisch könnte ich mir bei jedem Schrägstrich eine kreisende, streichelnde Handbewegung über den Bauch vorstellen.

Klara
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Beitragvon Klara » 10.02.2018, 19:57

schöne Idee

Kurt
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Beitragvon Kurt » 10.02.2018, 22:20

Mir hat es viel Lesevergnügen bereitet. Und ich war erstaunt, was du so alles aus dem Bauch hervorgeholt hast. Super.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Niko

Beitragvon Niko » 11.02.2018, 00:35

Liebe Klara,
das klingt für mich etwas vorwurfsvoll und anklagend.
Ich habe mich lediglich gefragt, ob das wirklich noch lyrik sein kann.
Und..... Ich finde es auch etwas zu einfach zu schreiben "wer zieht hier die Grenze.... Du, Niko?" - Nein, Klara. Ich bin ganz klar niemand, der irgendwelche Regeln aufstellt. Wohl aber jemand, der nichts anderes schreibt als lyrik und dessen (vielleicht spießigen Grenzen) hier überschritten werden. Und ich halte es in einem Literaturforum für legitim, soetwas zu hinterfragen. Klar ist es schick, so grenzenlos und so zulassen zu sein. Nur muss man sich halt dann generell fragen.... Warum gibt es solche Unterscheidungen? Wozu sind sie da? Und wo kann, wo sollte man unterscheiden, Grenzen ziehen? Oder ist ein Roman lyrik?

Herzlichst - Niko

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.02.2018, 04:30

Ist doch egal, wie die Schublade heißt. Warum ist das Schubladenschildchen so wichtig?

Grenzen gibt es, weil es Grenzzieher gibt.

Zum Teufel mit den Grenzen.






Der Text gehört zu einem Genre namens Poesa. Poesa gedeiht, wenn Poesie und Prosa sich umarmen.

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birke
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Beitragvon birke » 11.02.2018, 09:59

Pjotr hat geschrieben:

Der Text gehört zu einem Genre namens Poesa. Poesa gedeiht, wenn Poesie und Prosa sich umarmen.


:daumen: das gefällt mir!
es gibt eben texte, die lassen sich nicht so ohne weiteres zuordnen, sie haben elemente von beidem.
ich mag diese "(über)grenzgänge".
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Klara
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Beitragvon Klara » 11.02.2018, 17:20

Der Text gehört zu einem Genre namens Poesa. Poesa gedeiht, wenn Poesie und Prosa sich umarmen.

Das klingt ja cool - danke :)
Vor allem, weil der Po ja quasi zum Bauch dazu gehört ;)

Freut mich, dass du etwas damit anfangen konntest, Kurt!

Nix anklagend, Niko. ich habe gelächelt beim Schreiben meiner Frage auf deine Reaktion, ganz heiter, ehrlich: Wollte nur nachfragen. Bzw. dich herausfordern zu einer Begründung, warum es offenbar deiner Ansicht nach keine Lyrik ist (interessiert mich tatsächlich!). Hab noch überlegt, wo gehört der Text hin? Und dann dachte ich, hey, es ist eine Ode https://de.wikipedia.org/wiki/Ode, also ist es wohl Lyrik. Mich würde interessieren: Ist es eine Ode? Kann man das machen?
Ich hätte sie auch ins Blaue Café stellen können :)

herzlich
Klara


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